Weinendes Aprikosenholz

Foto: Sebmaouani (Creative Commons)

Im Alter von 92 Jahren ist der armenische Duduk-Spieler Djivan Gasparyan am 6. Juli gestorben. Sein Name war fast ein Synonym für die nahöstliche Folk-Oboe aus Aprikosenholz, deren dunklen, wehmütigen Klang Gasparyan weltweit bekannt gemacht hat. Der 1928 nahe Eriwan geborene Musiker fand seinen Weg zum armenischen Nationalinstrument früh. Als Jugendlicher spielte er Duduk auf den Straßen, um sich und seine Geschwister zu ernähren, während der Vater im Krieg kämpfte und die Mutter bereits gestorben war. 1948 wurde er ausgewählt, um in einem Folklore-Ensemble durch die Sowjetrepubliken zu touren und spielte auch für Stalin. Der Westen wurde durch Aufnahmen auf dem russischen Melodia-Label auf ihn aufmerksam, die Brian Eno Ende der 1980er lizensierte.

Gasparyans erstes internationales Album wurde 1989 als I Will Not Be Sad In This World veröffentlicht und war den Opfern des großen Erdbebens in Armenien im Jahr zuvor gewidmet. Nachdem Armenien 1991 Unabhängigkeitsstatus erlangt hatte, begann Gasparyans zweites künstlerisches Leben mit Tourneen weltweit und Teamworks mit einem breiten Spektrum von Musikern, Peter Gabriel, Andreas Vollenweider und das Kronos Quartet unter ihnen. Hierzulande ist er Weltmusikhörern vor allem durch seine Einspielungen auf Network Medien bekannt geworden. Dass der Duduk-Klang auch Eingang in die Filmmusik fand, ist ebenso ihm zu verdanken: Er spielte in den Soundtracks zu „The Crow“, „Gladiator“ und „Blood Diamond“ mit. 2010 hat Gasparyan die Oboe sogar auf die Bühne des Eurovision Song Contest gehievt, als er beim armenischen Beitrag „Apricot Stone“ mitspielte. Gasparyans Duduk-Erbe wird von seinem Enkel weitergeführt.

© Stefan Franzen

Djivan Gasparyan: „Sayat Nova“
Quelle: youtube

Das Schöpfen aus Armeniens Erbe


aktueller Konzerthinweis: Das Naghash Ensemble tritt am 23.1. im Freiburger E-Werk auf!

Welche Kultur kann von sich behaupten, sie wüsste, wie ihre Musik vor 1500 Jahren klang? Als eines der ganz wenigen Länder ist Armenien in dieser glücklichen Lage. Sowohl in den sakralen als auch weltlichen Aspekten gehören die Klangschätze der Kaukasusrepublik zu den faszinierendsten der Welt. Den Namen des 1947 gestorbenen spirituellen Lehrers Georges Gurdjieff zum Beispiel hat jeder schon einmal gehört – er hat seine per Gehör verinnerlichten Melodien aus der Volksmusik vom russischen Pianisten Thomas de Hartmann transkribieren lassen, und in dieser Form erklingen sie bis heute in den Konzertsälen. Die Beschäftigung mit Musik aus dem kleinen Land am Rande Europas ist auch immer eine Zeitreise: Armenien erhob bereits 301 als erstes Land das Christentum zur Staatreligion, verfügt über eineinhalb Jahrtausende ungebrochene liturgische Musiktradition, vom Liturgiebegründer Mesrop Mashtots bis zu den Vertretern des 20. Jahrhunderts, allen voran dem Mönch Komitas Vardapet. Dem Bann der Klänge Armeniens erlagen weltweit klassische Musiker genauso wie Künstler, die eher im Jazz beheimatet sind. Starpianist Keith Jarrett wagte sich 1980 an die Einspielung sakraler Hymnen fürs Label ECM, auf dem sich etwa auch Bratschistin Kim Kashkashian und das Hilliard Ensemble mit weiteren Facetten armenischer Tonkunst befassten. Und das enfant terrible unserer Tage, der Pianist Tigran Hamasyan, wandte sich nach ungestümen Jazz-Experimenten den introspektiven Klängen seiner Heimat zu. Er urteilt: „Das ist Musik, die nicht von menschlichen Händen geschrieben wurde.“

Auch für den armenisch-amerikanischen Komponisten, Dirigenten und Pianisten John Hodian ist die Beschäftigung mit armenischen Klängen eine Lebensaufgabe. „Für mich hat die armenische Kultur immer eine etwas unheimliche Melancholie, die zugleich wunderschön ist, bedingt durch die tragische Historie“, sagte er einmal im Interview. In den vergangenen Jahren ist er in Deutschland schon durch sein Epiphany Project bekannt geworden: Mit der Sängerin Bet Williams bettete er da armenische Wurzeln in eine jazzig-folkige Umgebung ein, die auch unverkennbare amerikanische Elemente in sich trägt. Hodian ist an der US-Ostküste aufgewachsen, eine intensive Bindung zum Land seiner Vorfahren hat er erst in einer späteren Etappe seines Lebens aufgebaut. „In Amerika sagt man schon, wenn etwas 200 Jahre alt ist: ‚Mein Gott, was für ein Erbe!’ In Armenien sind Traditionen, die bis in vorchristliche Zeit zurückreichen, im Bewusstsein der Leute verankert.“ Genau aus dieser Dualität bezieht seine Musik ihre Spannung, auch die der neuen Unternehmung.

Hierfür verbindet Hodian geistliche Musik mit Texten des dichtenden Priesters Mrktich Naghash aus dem 15. Jahrhunderts. Der erste Impuls hierfür kam von einem Vokalquintett, das er in einem Tempel bei Jerewan geistliche Musik des Mittelalters singen hörte. Als er sich in Naghashs Texte versenkte, verknüpften sich in seiner Vorstellungskraft die Worte mit Musik aus jener Epoche. Es war der „kreative Blitz“, der für Hodian für jede erfolgreiche künstlerische Arbeit notwendig ist, wie er versichert. Fest stand für ihn auch gleich: Er wollte die beiden Jahrhunderte alten Inspirationsquellen für eine Neuschöpfung nutzen, denn an reiner Wiedergabe traditioneller Quellen war er noch nie interessiert. Hodian folgte dabei weitestgehend seiner Eingebung: 2010 stellt er ein Ensemble zusammen, in dem er den klagenden Ton der Schalmei Duduk, Armeniens Nationalinstrument, die Knickhalslaute Oud und die Dhol-Trommel mit seinem Klavierpart und einem Streichquartett textiert. Die Sphäre des Volksmusikalischen dockt so an der abendländischen Klassik an.

Über den Instrumenten agiert ein dreiköpfiges weibliches Gesangsensemble mit zwei Sopranen und einem Alt. Seine Chorsätze für die drei Frauenstimmen sind mal archaisch getönt, mal legen sie eine fast popkulturelle, eingängige Leichtigkeit an den Tag. Die dunkelmütige Schwere, die in Armeniens Klängen oftmals lauert, ist tatsächlich weitestgehend abwesend. Das Ergebnis ist eine einzigartige Musik, die auch ohne das Verständnis der philosophischen Texte von Naghash für uns Zeitgenossen zugänglich ist. Und die trotzdem eine seelenvolle, beglückende Tiefe besitzt – denn sie schöpft aus einer der ältesten Klangtraditionen der Erde.

Naghash Ensemble: „Agahootyan“
Quelle: youtube

Die Wurzeln des Wunderknaben

tigran hamasyan 2017

Der Wunderknabe ist nach Hause zurückgekehrt: Nach Ausflügen in Dubstep, Rock und Electronica findet der armenische Pianist Tigran Hamasyan neue Inspiration in seinen Wurzeln: Voriges Jahr noch mit liturgischer Musik aus fünfzehn Jahrhunderten und einem Kammerchor aus Eriwan. Auf Ancient Observer, seinem im März erscheinenden Album (31.3., Warner) noch introspektiver, solo am Piano. „Fides Tua“ ist ein erster Eindruck. In diesen Tagen hilft der Glaube an die Kraft der Töne.

Tigran Hamasyan: „Fides Tua“
Quelle: youtube

Archaik der Neuzeit

levon eskenian

Gurdjieff und Komitas – die beiden Säulen armenischer Musiktradition. Ein Gespräch mit Levon Eskenian


Levon Eskenian ist ein führender Kopf in der Bewahrung und Neuentdeckung armenischer Musik. Der Leiter des Gurdjieff Folk Instruments Ensembles hat die Pianomusik des spirituellen Lehrers Georges I. Gurdjieff auf alte Instrumente zurück übertragen. Sein nächstes Projekt befasst sich mit der Musik von Komitas, dem Begründer der modernen klassischen Musik Armeniens. Im Juli habe ich Eskenian beim TFF Rudolstadt getroffen.
Weiterlesen