Archaik der Neuzeit

levon eskenian

Gurdjieff und Komitas – die beiden Säulen armenischer Musiktradition. Ein Gespräch mit Levon Eskenian


Levon Eskenian ist ein führender Kopf in der Bewahrung und Neuentdeckung armenischer Musik. Der Leiter des Gurdjieff Folk Instruments Ensembles hat die Pianomusik des spirituellen Lehrers Georges I. Gurdjieff auf alte Instrumente zurück übertragen. Sein nächstes Projekt befasst sich mit der Musik von Komitas, dem Begründer der modernen klassischen Musik Armeniens. Im Juli habe ich Eskenian beim TFF Rudolstadt getroffen.


Welche Bedeutung hat Gurdjieff heute in Armenien und wie ist Ihre persönliche Beziehung zu ihm?

Levon Eskenian: Wie viele Menschen wissen, wurde Gurdjieff in Armenien geboren. Während seiner Kindheit traf er auf verschiedene Traditionen, die in ihm Fragen hervorriefen. Er begann, nach Antworten für seine Fragen zu suchen, indem er verschiedene Religionen und alte Traditionen studierte. Von Armenien aus reiste er ostwärts in verschiedene Länder, nach Persien, Tibet, Indien, dann nach Afrika und in arabische Länder. Während dieser Zeiten begegneten ihm verschiedene Religionen, Volkstraditionen, Volkstänze und Musik. Er entwickelte dann eine Schule, die sich „Harmonische Entwicklung des Menschen („Harmonious Development Of Man“) nannte. Die Basis dieser Schule sind verschiedene Methoden, den Menschen zu erwecken und ihm erkennen zu helfen, dass man in einem Zustand des Schlafes ist, in einem mechanischen Zustand, da man jeden Tag das Gleiche tut. Wie kann man aus diesem Zustand aufwachen? Du bist, was deine Konzentration ist. Durch diese Methoden und die Bewegungen, die er kreierte, ist man in der Lage, in sich selbst eine bestimmte Konzentration zu schaffen. Eine Menge seiner Philosophie und seiner Methoden steht im Zusammenahng mit armenischer Philosophie und Traditionen, deshalb fühle ich mich ihm verbunden.

Als ich das erste Mal Gurdjieffs Musik hörte, fühlte ich mich, als sei ich nach Hause gekommen, denn ich habe solche Musik auch während meiner Kindheit gehört. Es war hauptsächlich Piano, da sein Assistent de Hartmann sie eben fürs Piano notiert hatte, als Gurdjieff ihm diktierte. Da dies Musik aus dem Osten war, dachte ich, es könnte zum Verständnis besser sein, sie für die Instrumente zu arrangieren, die Gurdjieff möglicherweise gehört hatte. Es gibt bei ihm Melodien aus Armenien, Griechenland, Arabien, Syrien, und die versuchte ich auf diese Instrumente zu übertragen. Als Basis für die Instrumentierung nahm ich die traditionelle Besetzung jeder dieser ethnischen Gruppen.

 

gurdjieff folk instruments ensemble


Gibt es in den Pianoarrangements irgendwelche Hinweis auf die ursprüngliche Besetzung der jeweiligen Stücke?

Eskenian: Die Struktur der Stücke kann einen zu den Instrumenten führen, aber es war auch eine gewisse Recherche nötig, um die Traditionen jedes Stückes herauszufinden. Wenn wir zum Beispiel einen Chant aus dem Holy Book spielen, ein Stück, das eng an die armenischen Hymnen angelehnt ist, dann verwende ich das typische armenische Instrument, die Duduk. Bei einem anderen Stück, wo es um den Klagegesang von Frauen geht, wird das heutzutage nicht mehr von Frauen gesungen, sondern man mietet dafür Dudukspieler. Bei einer kurdischen Schäfermelodie wird die Saz verwendet, denn sie ist typisch für die kurdischen Schäfer.

Sind die  Traditionen der Ashuks, die Barden, und die der Folkensembles, die Gurdjieff in seiner Jugend hörte, heute noch in Armenien lebendig?

Eskenian: Ja, es gibt eine Schule dafür. Es ist eine mündlich überlieferte Musik, und es gibt heute noch viele Ashuks. Einige der Musikstücke, die über Jahrhunderte oral tradiert wurden sind heute in Armenien noch lebendig, wie z.B. der „Kaukasian Dance“ in verschiedenen Versionen. Auch andere Stücke, die Zeitgenossen von Gurdjieff geschrieben haben, z.B. eines der Frauenstücke, die Komitas geschrieben hat. Komitas bietet sehr wichtige Hinweise, die auch zum besseren Verständnis von Gurdjieff führen könnte. Gurdjieff hat de Hartmann 1919 übrigens auch nach Armenien geschickt, um die Musik von Komitas zu studieren, damit er in der Lage ist, auch seine Stücke besser zu transkribieren. Wir werden uns mit Komitas in einem nächsten Projekt beschäftigen.

komitas

Was war Ihr Antrieb, die Stücke Gurdjieffs wieder auf das alte Instrumentarium zu übertragen, wollten Sie dadurch die armenische Folkmusik bereichern?

Eskenian: Ich habe nicht daran gedacht, den armenischen „Katalog“ mit mehr Stücken zu bereichern. Das Wichtigste für mich war, zu einem besseren Verständnis dieser Stücke zu gelangen. Denn die Musik des Ostens ist reich an Mikrointervallen und Rhythmen, diese kleinen Details gehen bei einer Transkription aufs Piano verloren. So kann unsere Interpretation mit den ursprünglichen Instrumenten nun auch dem Pianisten beim Aufführen wertvolle Hinweise geben, wie er sie mit der geeigneten Artikulation und der Atmosphäre des Ostens umsetzen kann.

Ist es für diese Musik am besten, wenn sie in einem stillen, sakralen Rahmen gespielt wird, denn wie ein Kritiker im Booklet Ihrer CD schreibt, ist diese Musik „aus der Stille erwachsen“?

Eskenian: Sie braucht ganz sicherlich Konzentration des Publikums, damit jedes Timbre, jede Schwingung gehört werden kann, unbd Gurdjieff spricht ja oft von Schwingung. Die Musik ist in Verbindung mit den drei Zentren: Gefühle, Verstand und Physis sollten in harmonischer Weise zusammenwirken. Jede Pause hat ihre Bedeutung.

Verstehe ich Sie also richtig, dass Sie nicht nur an den musikalischen, sondern auch an den spirituellen Lehren Gurdjieffs interessiert sind, ist das für sie eins?

Eskenian: Natürlich sind sie miteinander verbunden. Um Gurdjieffs Musik zu spielen, muss man seine Werke kennen, die Momente, seine Philosophie und Psychologie verstehen, auch die Psychologie und Philosophie des Ostens, um zu verstehen, wo diese Tradition her kommt. Und wenn wir „Osten“ sagen, dann ist das ein großes Gebiet mit vielen Verzweigungen, verschiedenen Religionen und Traditionen.

Wir im Westen empfinden den Klang des armenischen Nationalinstruments, der Duduk, als sehr melancholisch. Ist das auch die Wahrnehmung in Armenien?

Eskenian: Die Duduk wird auch bei Hochzeitszeremonien und Beerdigungen gespielt, in verschiedenen Kontexten. Sie gleicht sehr der menschlichen Stimme, die ja auch einen freudvollen, genau wie einen trauernden Ausdruck haben kann. Aber ja, es gibt etwas Melancholisches unter den Armeniern. Das findet in Armenien seinen Ausdruck in der Form des Tagh, ein Zustand des Nachsinnens, während dem du nicht sehr heiter sein kannst.

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Foto: Stefan Franzen

Die CD wird mit einem „Chant from the Holy Book“ eröffnet. Um was für ein heiliges Buch handelt es sich da, kommt das noch aus vorchristlicher Zeit?

Eskenian: Gurdjieff definiert nicht, welches heilige Buch er meint. Die Melodie ist aber ähnlich zu vielen armenischen Melodien, die spirituell, sakral sind. Sharakans oder Taghs kommen aus der Zeit vor dem Christentum, Armenien hat 301 das Christentum als erstes Land adaptiert, die Christen haben dann die Melodien genommen und die Texte geändert, aber die Musik blieb die selbe. Wir wissen nicht, wie weit die Musik zurückgeht, sicherlich aber mehr als 2000 Jahre.

Von unserem zentraleuropäischen Standpunkt aus ist georgische Musik ziemlich bekannt, von der armensichen Musik kennt man nicht so viel. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Eskenian: Ich denke, das ist ein strategisches Problem. Sie sollte mehr präsentiert werden, denn es ist eine sehr tiefe Musik, die die Leute lieben würden, wenn sie sie hörten. Sie muss mehr auf die Bühne gebracht werden, und daran arbeiten wir mit unserem Gurdjieff- und demnächst auch mit unserem Komitas-Projekt. Beide sind miteinander verbunden, aber Komitas ist die Säule der klassischen armenischen Musik, er ist der Forscher, derjenige, der definiert hat, was armenische Musik ist. Er hat dem Publikum die alte armenische Musik vorgestellt, hat die armenische Notation der sakralen Musik, die Neumen entziffert. Wir werden unbekannte Musik von Komitas vorstellen, und das wird eine Enthüllung sein. Und es gibt Pläne, damit wieder ein Album bei ECM aufzunehmen.

Können Sie einige Worte zu den Musikern des Ensembles sagen, sind das traditionelle oder klassisch ausgebildete Musiker aus einem akademischen Hintergrund?

Eskenian: Sie sind alle traditionelle Musiker, aber sie haben auch eine Konservatoriumsausbildung, denn an der Hochschule haben wir diese Abteilung mit Musik und Instrumenten des Ostens. 2008 habe ich mir verschiedene Ensembles angehört und dann aus diesen die besten Musiker zusammengestellt, von denen ich dachte, dass sie diese tiefe Musik verstehen und zusammen arbeiten können. Sie verstehen sich sehr gut, sowohl musikalisch als auch auf freundschaftlicher Basis.

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Foto: Stefan Franzen

Wie sind Sie selbst daran beteiligt, die armenische Musik im Ausland bekannter zu machen, denn Sie haben ja auch noch andere Aktivitäten abseits des Ensembles?

Eskenian: Ich bin in westlicher Musik ausgebildet, ich spiele Piano und Cembalo, aber ich bin auch tief in der armenischen Musik verwurzelt. Gurdjieff war ein Grund für mich, noch tiefer dort einzusteigen und durch Komitas recherchiere ich nun alte armenische Musik. Im Fall von Komitas hat uns die armenische Musik auch durch Piano und Gesang erreicht. Auch hier transkribiere ich die Pianostücke auf die alten Instrumente, baue sogar einige der alten Instrumente nach, die heute nicht mehr verwendet werden. Wir haben Musik aus vorchristlicher Zeit, die als Tanzmusik gespielt wurde oder auch zur Verehrung eines Gottes. Diese Bewahrung ist sehr wichtig. Viele Kulturen können überhaupt nicht definieren, wie ihre Musik vor 2000 Jahren klang, aber wir sind glücklich, dass wir das bewahren konnten.

© Stefan Franzen

 

G.I.Gurdjieff’s music – No 40
Quelle: youtube

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