Burkina Faso: Putsch bedroht Musiker

smockey 2Foto: Outhere

Martin Bambara alias Smockey ist der populärste Rapper Burkina Fasos. Als im letzten Oktober nach 27 Jahren der Autokrat Blaise Compaoré aus dem Amt gefegt wurde, war eine Bürgerbewegung namens „Balai Citoyen“ (Bürgerbesen) maßgeblich am Umsturz beteiligt. Smockey ist zusammen mit dem Reggaemusiker Sams’K Le Jah ihr wichtigstes Sprachrohr. Legendär bereits sein Video „Le président, ma moto et moi“, in dem er den Präsidenten durch die Straßen fährt und ihm zeigt, wie er sein Land heruntergewirtschaftet hat. Doch Compaoré, Nachfolger des charismatischen Thomas Sankara, den er 1987 sehr wahrscheinlich ermorden ließ, hat noch nicht aufgegeben. Letzten Mittwoch putschte seine noch immer einflussreiche Garde, um ihrem Chef wieder zur Macht zu verhelfen, das Volk wehrte sich mit Demonstrationen. Seitdem ist die Lage fragil, das geplante Datum für Neuwahlen am 11.10. steht in Frage.

Auch für Smockey ist die Lage jetzt brenzlig. Im Zuge des Putsches wurde gezielt seine Abazon-Studio, in dem auch Kollegen wie Ade Bantu und Didier Awadi aufnehmen, mit einem Raketenwerfer zerstört. Smockey hielt sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht dort auf und befindet sich seitdem auf der Flucht. Am 10. Oktober wird er sein neues Album „Prevolution“ auf Outhere Records veröffentlichen. Zusammen mit Sams’K Le Jah will Smockey, so es die politischen Umstände zulassen, im kommenden Monat auch auf Reisen gehen und in Deutschland Konzerte geben.  Hier gibt es seine aktuelle Single „On Passe à L’Attaque“.

Smockey und Sams’K Le Jah über den „Bürgerbesen“:

 

Ein Jahrhundertwerk wird 30

kate bush - hounds of loveAm 16. September 1985, heute vor 30 Jahren,  erschien ein Popalbum, das bis heute für meine Begriffe in der gesamten Sparte unerreicht blieb: Kate Bushs Hounds Of Love.

Zum Jubiläum erlaube ich mir, die Analyse des majestätischen, furchteinflößenden, berührenden Songs „Hello Earth“ aus der Konzeptsuite der B-Seite The Ninth Wave vorzustellen, die ich vor einiger Zeit für die deutsche Kate Bush-Fanseite geschrieben habe.

Kleine Warnung vorab: Das ist wirklich nur für Hartgesottene.

Eine gespenstische Szenerie war das, als mir diese sechs Minuten und zwölf Sekunden zum ersten Mal begegneten, der Song, der mir von allen aus Kate Bushs Werk bis heute am meisten bedeutet. Ich war siebzehn, mit ein paar Kumpels hatte ich gerade eine Nachtwanderung unternommen, in tiefer Nacht stiegen wir ins Auto und fuhren Richtung Tal zurück. Jemand stellte das Cassettenradio an, und während draußen im schemenhaften Licht die Baumkronen vorbeizogen, ertönte dieser unfassbare Chor. „Was ist das?“, fragte ich sofort entgeistert. „Das ist die neue Kate Bush-Platte“, meinte der Freund. „Kann nicht sein“, entgegnete ich. Bis dahin kannte ich nur die Klangwelten entfernte Singleauskopplung „Running Up That Hill“. Doch da begann die zweite Strophe und ich hörte ihre Stimme. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mir seitdem vielleicht nie mehr bei einem Hörerlebnis so die Haare zu Berge standen.

Zum Mithören der folgenden Analyse – den  Song gibt es hier (das Begleitvideo ist nicht von Bush).
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Video killed the world music star

DJ Invizable DJ Invizable (Foto: Promotion Norient)

Die multimediale Ausstellung „Seismographic Sounds“ des Berner Netzwerks Norient zeigt, wie sich Einbahnstraßen in der globalen Musik verflüchtigen – eine Reise in Clips um den Planeten, zu sehen noch bis zum 20.9. in Forum Schlossplatz im schweizerischen Aarau und ab 1.10. bis Ende des Jahres im ZKM Karlsruhe. Weiterlesen

Popklassisches Tête-à-tête II

Noch ein Jahrestag, bei dem sich eine Verbindung von Pop und Klassik feiern lässt:
Estlands stiller Gigant wird heute 80.

Aus diesem Anlass ein kleines sympathisches Interview, das Björk 1997 anlässlich einer BBC-Dokumentation mit ihm geführt hat.  Die Liaison zwischen der Islanderin und dem Esten hat inzwischen weitere Früchte getragen: Pärts Sohn Michael hat auf dem aktuellen Album Vulnicura den Supervisor für die Streicheraufnahmen gespielt.

Björk interviewt Arvo Pärt
Quelle: youtube

Popklassisches Tête-à-tête I

Heute vor 35 Jahren erschien Kate Bush drittes Studioalbum Never For Ever. Nicht das humoreske „Babooshka“, nicht die apokalyptische Vision von „Breathing“, sondern die außergewöhnliche Widmung an den deutsch-englischen Komponisten Frederick Delius ist das, was das Album für mich immer so besonders gemacht hat.

Hier (ab 1:18) spricht sie über den Einfluss von Delius auf ihren Song. Im Studio anwesend damals noch Delius‘ Adlatus Eric Fenby, der in ihrem Song auch erwähnt wird und als junger Mann ab 1928 dem blinden, syphilitischen Meister die letzten Töne abhorchte, was in den 1960ern auch in einem Film verewigt wurde.

Und hier Bushs Delius-Tribut (ab 1:01)

Nach dem Gospel Sinnenfreude

lizz wright - freedom & surrenderLizz Wright
Freedom & Surrender
(Concord/Universal)

Auf ihrem letzten Werk „Fellowship“ war sie tief in den Gospel hinabgetaucht. Nun ist die 35-jährige aus Hahira, Georgia mehr der irdischen Liebe zugetan, der sie diesen neuen Songzyklus mit all ihren Facetten gewidmet hat. Produzent Larry Klein (Joni Mitchell, Tracy Chapman, Melody Gardot) lässt ihren fantastischen Alt in dem genauso sinnenfreudigen wie entspannten Album zur Geltung kommen. Funky der Einstieg mit „Freedom“, bluesrockend mit Twang-Gitarre und blubbernder Orgel „The New Game“. In „Lean In“ residiert eine erotische Spannung zu pumpendem Bass, die Wright mit belegt-schmachtender Stimme als „Katz- und Maus-Spiel“ auskostet. Nick Drakes „River Man“ gestaltet sie mit träumerischem Wandeln zwischen Dur und Moll, Till Brönner mogelt sich mit ein paar Trompetentrillern rein. Der Überflieger ist jedoch das sehr räumliche „Somewhere Down The Mystic“, in dem eine sphärische Folkpop-Dramaturgie hingezaubert wird. Im Finale wird mittels der glühenden Chorsätzen von „Blessed The Brave“ und „Surrender“ schon fast wieder sakrale Qualität erreicht: So schließt sich der Kreis vom Irdischen zum Himmlischen.

Lizz Wright: Freedom & Surrender – behind the scenes
Quelle: youtube

Schatzkiste #21: Lieblose Stadt

bobby blue bland - dreamerBobby „Blue“ Bland
Dreamer
(ABC Records, 1974)

gefunden bei: Second Hand Records, Stuttgart

Sollte ich auf Kommando sagen, welcher mein liebster Soulsänger ist, würde ich ihn nennen – und nach längerem Überlegen wohl auch. Bis zu seinem Tod 2013 ist der Mann aus Rosemark, Tennessee in sechs Karriere-Jahrzehnten durch fantastische Metamorphosen gegangen. Vom falsettigen Rhythm’n’Blues-Sänger zum – dank einer Mandeloperation – eruptiven Soulshouter und schließlich zum mellow Crooner mit zurückgelehntem, fast kalifornischen Sonnensound. Dreamer ist eines seiner Siebziger-Highlights  mit den Krachern „Ain’t No Love In The Heart Of The City“ und dem Überflieger „Yolanda“, der Bobby offensichtlich völlig hilflos ausgeliefert war.

Bobby „Blue“ Bland: „Yolanda“
Quelle: dailymotion

Bobby „Blue“ Bland – Yolanda von EmilieMccollum

Side tracks #13: Helvetisches Haiku

mani matter - ir ysebahn

flagge-schweiz-flagge-button-70x70Mani Matter: „Ir Ysebahn“
aus: Ir Ysebahn
(Zytglogge 1971)
Gerade wird ein Schweizer „Krokodil“ von Olten ins schwedische Gävle überführt, es ist dort beim großen Fest zu „100 Jahre elektrische Züge“ Stargast. Heute hat das grüne Ungetüm auch unsere Region passiert.

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Foto © Stefan Franzen

Von allen Schweizer Eisenbahnliedern ist dieses immer noch eines der schönsten – es behandelt das Problem des Sitzens in und gegen die Fahrtrichtung fast schon in der Manier eines helvetischen Haikus:

Mani Matter: „Ir Ysebahn“
Quelle: youtube

Side Tracks #12: Legendäre Schnauze

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Kraftwerk: „Trans Europa Express“ / „Metall auf Metall“ 
aus: Trans Europa Express
(rem. Parlophone 2009, orig.: Klingklang 1977)

Seine Geschichte währte von 1957 bis 1991, und musikalisch verewigt wurde er auf dem Zenit seiner ruhmreichen Karriere. Der Trans Europ Express (kurz TEE) ist der legendärste Zug der europäischen Neuzeit. Bei der größten Netzausdehnung 1974 fuhren TEEs bis nach Reggio di Calabria und Kopenhagen, bis nach Wien und Barcelona, ausschließlich erste Klasse, versteht sich. Die verschiedenen Länder entwarfen charakteristische Designs für die Dieseltriebwagen, der schönste aber kam zweifellos aus Deutschland, der VT 11.5 mit seiner riesigen roten Schnauze und der erhöhten Lokführerkanzel. Weiterlesen

Pastoraler Soulfolk

eska - eskaEska
Eska
(Naim/Indigo)

Nach dem dritten Hören bin ich mir sicher: Eine heiße Anwärterin auf die Scheibe des Jahres. Die Schnittstelle zwischen Retrosoul und Folk ist derzeit im UK schon durch Michael Kiwanuka besetzt, doch die Newcomerin mit simbabwischer Abstammung zeigt sich an ebenjener Naht weitaus ausgefuchster: Eska eint unter der Pultregie von Matthew Herbert verschiedene Welten, in denen sanfte Gitarren und Glockenspiel genau so Raum haben wie ein ausgewachsener symphonischer Apparat und eine poppige Rhythmussektion zu einer zeitlosen Soul-Pastorale, die auch ein paar psychedelische Anteile hat. Mit einem triumphal-ätherischen Timbre, das an die sehr frühe Joni Mitchell erinnert, führt sie durchs versponnene „To Be Remembered“, „Boundaries“ bäumt sich großorchestral auf, einen filigranen Roots Reggae zaubert sie in „Heroes & Villains“. Clevere Stimmenschichtungen bauen die fantastische Marschhymne „Gatekeeper“ auf, „She’s In The Flowers“ könnte mit luftigem Dulcimer und dräuendem Bass-Ostinato eine verlorene Nokturne des britischen Folkrevivals sein. Und im unangezweifelten Hit dieses grandiosen Debüts, „Shades Of Blue“ finden Sitarrock der Sechziger und R&B der Neuzeit zusammen. Release in Deutschland am 7.10.

Eska: „She‘ s In The FLowers“ (Barn Sessions)
Quelle: youtube