Der Weltenbähnler – die musikalischen Zugreisen von Erik West Millette & Westtrainz SRF 2 Kultur, Die Passage, 29.01.2021, 20h
Bandleader, Bassist und Bahnfreak: Auf seinen Zugreisen in aller Welt war der Kanadier Erik West Millette stets mit Mikro und Rekorder auf der Pirsch. Mit seinem Projekt Westtrainz hat er seine Trips zu Gesamtkunstwerken aus Blues, Rock und Weltmusik geformt – inklusive Lokschnauben, Waggonrattern und Bahnhofs-Atmos von Vancouver bis Wladiwostok.
Ghana ist ein Musikkosmos, in dem sich die Sounds von der tropischen Küste krass von denen im trockenen Norden unterscheiden: Das wird einmal mehr deutlich auf dem Album der Alostmen, die ihr Album nach dem beherrschenden Savannen-Instrument, der Laute Kologo benannt haben. Stevo Atambire, Kopf der Band und ehemaliges Straßenkind, kam durch Wanlov The Kubulor ins Musikbusiness und hat wohl die bis dato ansteckendste Variante des Kologo-Funk auf die Beine gestellt, in dem sich auch Prominenz wie Highlife-Altmeister Gyedu-Blay Ambolley tummelt. Um die Laute herum: ruppige Fiedeln, beschwipste Flöten und genau die richtige Dosis Elektronik. Eines der packendsten Ghana-Alben seit Langem!
Vor vier Jahren habe ich eine weinende Statue of Liberty als Titelbild zur Inauguration gewählt. Die Statue liegt nun in Trümmern in der Upper Bay. Dass ich heute dieses Monument zu den Tönen des African American Composers William Grant Still wieder erstrahlen lasse, ist vielmehr Wunsch als Hoffnung, geschweige denn Gewissheit. Die Totengräber der Demokratie sind immer vielfältig, und sie dürfen nicht unaufhaltsam werden. Nur weil die globale Wirtschaft willfährig als Steigbügelhalter mithalf, Parteigenossen sich aus Machtgier wegduckten, fast alle Medien sensationslüstern jeden Tweet ausschlachteten, konnten die letzten Jahre diesen furchtbaren Verlauf nehmen. Schauen wir genau hin, damit Ähnliches sich nicht bei uns entwickelt. William Grant Stills Symphonie ist 84 Jahre alt, seine Utopie bis heute fast überall unerfüllt.
William Grant Still: Symphony No 2 – „The Song Of A New Race“, II. Slowly and deeply expressive
Quelle: youtube
Wohin steuert die südafrikanische Musik? Nach dem Tod von Hugh Masekela und Johnny Clegg spürt man eine Zäsur. Ohne den Leitstrahl von Ikonen splittert sich die Szene in viele Einzelfacetten von Jazz bis Zulu-House auf. Diese Band könnte die neue Supergroup Sowetos mit integrativem Potenzial werden: Urban Village bedienen sich auf ihrem Debüt einerseits traditioneller Formen wie des A Cappella-Gesangs Isicathamiya („Izivunguvungu“), des Swing-beeinflussten Marabi und des Maskandi-Pop. Auf der anderen Seite betten sie diese Roots stellenweise in Elektronik ein, die aber nie rhythmusbestimmend oder vordergründig wirkt („Dindi“). Dann wieder ziehen sie sich mal ganz auf kammermusikalische Intimität zurück („Madume“), auch eine Art Country mit Lapsteel und Farfisa-Orgel kommt zum Zuge.
Textlich spielt die Aufarbeitung der Apartheid-Ära immer noch eine Rolle, in dem Sinne, wie Lehren aus der Vergangenheit für Südafrikas Zukunft gezogen werden können. Darüber hinaus geht es um die Ehrung der Vorfahren und die Wichtigkeit der Vaterrolle. Stilistisch sind Urban Village schwer zu fassen, deutlich wird allerdings, wie man versucht, die letzten 100 Jahre Musikgeschichte schlüssig ins Heute zu transferieren – dass das immer handgemacht und band-organisch wirkt, ist durchaus sympathisch. Da passt das schöne Akustiksoul-Finale mit Gastsängerin Msaki als schönes I-Tüpfelchen.
Happy Birthday, Joan Baez. Wer wird bloß gegen die Unerträglichkeiten ansingen, wenn du mal nicht mehr bist.
Joan Baez ZMF Freiburg 14.7.2015
Wo sie ihre aktuellen Kämpfe ausfechte, wurde sie 2012 vom französischen Fernsehen gefragt. Sie selbst stehe heute nicht mehr in der ersten Reihe, entgegnete sie, vielmehr reflektiere sie über ihr Leben und kümmere sich um ihre 100-jährige Mutter. Doch es ließe sich heute ja unter einer großen Anzahl von Vietnams auswählen. Die Welt ist nicht friedlicher geworden, seit Joan Baez vor einem halben Jahrhundert ganz vorne mitmarschierte, von Selma bis Hanoi. Deshalb sind ihre Konzerte auch weit entfernt von akustischer Nostalgietapete. Das zeigte sich auch beim Freiburger Zeltmusikfestival, wo sie einen ihrer wenigen Deutschlandauftritte für dieses Jahr absolvierte.
Burschikos, in Bermudas, Sandalen und ärmellosem Top beginnt die 74-jährige im heißen Zelt ihre zweistündige Show solo. Ihre Stimme hat an dunklen Facetten gewonnen, doch die Höhen erreicht sie immer noch nahezu kristallklar. Dazu liefert sie flüssiges, swingendes Picking. Gleich zu Anfang setzt sie zwischen Steve Earles „God Is God“, „There But For Fortune“ von Phil Ochs und „Silver Dagger“ vom ersten Album die große zeitliche Klammer, die auch den Abend bestimmen wird. Potpourri-Charakter kommt trotzdem nie auf, und das liegt an der fein ausdifferenzierten Variation. Baez hat drei Mitstreiter gebracht, die ihr dienend zuarbeiten: Sohn Gabriel Harris setzt dezente perkussive Akzente an Congas, Cajón und Becken, Dirk Powell wirkt als Multiinstrumentalist. Mit schönen Mandolinenlinien schmückt er Dylans „It’s All Over Now, Baby Blue“, im Woodstock-Song „Joe Hill“ würzt er mit Akkordeon, „Long Black Veil“ bekommt durch seine Fiddle ausgeprägtes Country-Flair. Hier taugt auch das ländliche Timbre der Backgroundsängerin Grace Stumberg, die Baez meist angenehm harmonisiert, aber die Rauheit von „Me & Bobby McGhee“ zu sehr dämmt.
Man hat manchmal vergessen, dass in der Aktivistin Joan Baez auch eine fesselnde Erzählerin wohnt, die immer aufrichtig ist, im Privaten wie in der Parabel. Und so gerät ihre Eigenkomposition „Diamonds & Rust“, die intime Abrechnung mit Dylan, in abgeklärter Bitterkeit genauso zu einem Höhepunkt wie das fast aktuelle Lied für den Afghanistansoldaten „Day After Tomorrow“ und die düstere Folkballade „Seven Curses“, in der sie ihre epischen Qualitäten ausspielen kann. Konstantin Weckers „Wenn unsere Brüder kommen“ nimmt sie das pazifistische Überpathos und flankiert es mit einer Anekdote: Als sie vor Wecker, den sie verehrt, niederkniete, meinte der Charmeur: „Bist aber gut in Form für dein Alter!“ Was sie dann stimmlich auch noch mal beweist, als sie einen souligen Spiritual-Sopran durch „Swing Low, Sweet Chariot“ schweifen lässt, frei, fast ohne Akkorde.
Im Zugabenblock schließlich steht Joan Baez in einem schmucklosen Lichtkegel, 2500 Kehlen singen „Donna, Donna“ mit. Man sieht Schwarz-Weiß-Szenen aus Newport vor sich. Doch ihre Mahnung vor Vergangenheitsromantik klingt noch lange nach: „Das sind nicht die Sechziger, ihr müsst hier und heute Inseln der Gewaltfreiheit und des Mitgefühls schaffen.“ Mag sie auch nicht mehr selbst an der Frontlinie stehen, ihr engagiertes Charisma strahlt noch.
Ein Waliser auf südamerikanischen Freiersfüßen: Hauptberuflich amtiert Carwyn Ellis unter anderem als Keyboarder der Pretenders, seine Band Rio 18 ist dagegen ein amüsantes Seitenprojekt, in dem er alle möglichen tropischen Stile von Bossa über Cumbia bis Bolero mit Lyrics in walisischer Zunge, der sonderbarsten aller keltischen Sprachen, paart. Um authentisches Feeling zu generieren, ging der Mann sogar in ein Studio in Rio. Easy Brazilian Summer-Feeling wie in „Ar Ôl Y Glaw“ wechselt ab mit einer Reverenz an die Girl-Group Quarteto Em Cy in „Cynara“ oder mit einer knackigen Boogaloo-Atmo („Cwcan“).
Wie ein Zwitter aus frühem Space-Pop und einem Desperado-Soundtrack mutet „Dwyn Dwr“ an, in „Y Cariadon“ wird Andenfolklore heraufbeschworen. „Cestyll Papur“ dagegen ist träumerischer Britfolk inklusive Cembalo-Figuren. So easy listening-artig das alles auch scheinen mag, die walisischen Texte nehmen auch Bezug auf brennende Sujets wie Black Lives Matter und die Erderhitzung. Zeitgleich erscheint auch das erste Album der Band, „Joia!“ digital, beide Scheiben gibt es zudem in kleinem Vinyl-Kontingent. Ein unverschämt cooles Hijacking von Tropen-Sounds. (Veröffentlichung: 26.2.)
In der heute von Frauen dominierten Fadowelt war er der letzte große männliche Interpret: Am Neujahrsmorgen ist der portugiesische Sänger Carlos Do Carmo im Alter von 81 Jahren gestorben. Do Carmo, der in Lissabon in eine Familie von Fadistas hineingeboren wurde, startete seine Karriere im Fadohaus seiner Eltern, trat 1964 erstmals landesweit in Erscheinung und wurde rasch der bedeutendste Vertreter des Genres. Do Carmo war kein Purist, ab den 1970ern bezog er Elemente aus der Bossa Nova in seine Arbeit mit ein und ließ sich von internationalen Sängern beeinflussen, unter ihnen Frank Sinatra und Jacques Brel. Damit eroberte er die Bühnen von Paris bis Rio de Janeiro. Zu seinen Meilensteinen gehört das Album „Um Homem Na Cidade“ von 1977, einige seiner herausragenden Canções sind „Lisboa, Menina e Moça“, „Bairro Alto“ oder „Canoas Do Tejo“. 2014 erhielt er einen Grammy für sein Lebenswerk, aber erst im November 2019 verabschiedete sich Do Carmo mit einem triumphalen Konzert im Lissabonner Coliseu von seinen Fans, dekoriert mit einer Medalha de Mérito Cultutal des portugiesischen Kulturministeriums.
Verabschieden möchte ich mich von ihm mit dem “Fado Dos Cheirinhos“, wörtlich „der Fado der Gerüchelchen“, in dem er nicht nur all die Düfte seiner Geliebten, sondern gleichzeitig auch olfaktorisch das ländliche Portugal preist: „Oh welch ein Geruch hat die schöne grüne Suppenbrühe, die du in deinen Augen trägst, oh welch ein Geruch hat der Rosmarin der Hoffnung, den du mir auf die Saucen wirfst, oh welch ein Geruch haben die Leinenkleider, die du an den Fenstern ausgebreitet hast. Dein Mund riecht nach Nelken, und wenn ich deine Haare rieche, rieche ich eine rote Rose. Du riechst nach Minze im Pfeffer deiner Worte, und wenn du morgens aufwachst, riechst du nach Wildkräutern, und in den Hügeln deiner Brüste ist eine Brombeere.“
Carlos Do Carmo: „Fado Dos Cheirinhos“
Quelle:youtube