Joyce Moreno 70

                                                        Foto: Markus Kurz

Es war am 23.9.2005, als wir zu einem ganz besonderen Hausbesuch eingeladen waren. Die brasilianische Sängerin Joyce Moreno, seit Ende der 1960er eine Ikone der zweiten Bossa Nova-Generation, empfing Markus Kurz und mich im Rahmen einer Homestory fürs Magazin Jazz thing zuhause in Rio, um über ihre Plattensammlung zu sprechen. Unterhaltsam und hochspannend habe ich diesen Nachmittag in Erinnerung, ein grandioser Streifzug durch mehrere Jahrzehnte brasilianischer Musikgeschichte. Heute wird Joyce 70 Jahre jung, und ich möchte sie mit einem ebensolchen Streifzug durch sieben herausragende Stationen ihrer eigenen Karriere ehren. Bom aniversário, Joyce!

1. Nelson Angelo & Joyce Moreno: „Comunhão“ (1972)
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Anfang der 1970er suchte Joyce noch nach ihrem eigenen Ton. Nach der Veröffentlichung ihres etwas schwülstig-orchestralen Debüts von 1968 tat sie sich vier Jahre später mit dem Liedermacher Nelson Angelo aus Belo Horizonte zusammen, der der lyrischen Bewegung der Clube da Esquina verbunden war, unter anderem an der Seite von Milton Nascimento. Herausgekommen ist ein folkiges Kleinod mit leicht psychedelischen Anwandlungen, ein typisches Dokument seiner Zeit.

2. Joyce Moreno: „Feminina“ (arr. Claus Ogerman, 1977)
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Nach einer Tournee mit dem Bossa-Lyriker Vinicius de Moraes und einem durch die Militärdiktatur bedingten Exil in Italien weilte Joyce 1977 in New York. Dort entstanden Aufnahmen mit dem deutschstämmigen Arrangeur Claus Ogerman, der auch an einigen Produktionen von Antônio Carlos Jobim beteiligt gewesen war. Diese Einspielungen sind nie regulär veröffentlicht worden, Kernstück ist diese elfminütige Version ihres federleichten frauenbewegten Hits „Feminina“. Drei Jahre später sollte er dann in einer Kurzversion auf dem gleichnamigen Album erscheinen, das Joyces Durchbruch besiegelte.

3. Joyce Moreno & Mônica Salmaso: „Mistérios“ (1980/2008)
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Ebenfalls auf Feminina zu finden ist „Mistérios“, eine Ballade, die auch durch ihren empfindsamen Text besticht. Joyce hat dieses Lied oft aufgenommen, die für mich schönste Version findet sich auf dem Album Ao Vivo von 2008, auf dem sie 40 Jahre Karriere mit zahlreichen Duettparter*innen feiert. Mônica Salmaso ist eine hierzulande eher unbekannte Kollegin aus São Paulo, die immer wieder Brückenschläge von der Música Popular und der Folklore zur Klassik unternimmt.

4. Joyce: „Tardes Cariocas“ (1983)
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1983 besang Joyce auf einem unabhängig veröffentlichten Album mit einem Ensemble um ihren Ehemann, den Drummer Tutty Moreno, Egberto Gismonti und Sivuca die Sommernachmittage in Rio – ein Lied, das ihre so bezwingende Verbindung aus folkigen und jazzigen Harmonien und ihre eigene Art des Scattens vor Ohren führt. Hier eine Solo-Liveaufnahme des Songs aus dem brasilianischen Fernsehen.

5. Joyce & Jon Hendricks: „Taxi Driver“ (1991)
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Joyce hat sich zwar bevorzugt im portugiesischen Idiom betätigt, aber immer wieder auch englische Titel eingesungen. Ihr Duett mit dem vor kurzem 96-jährig verstorbenen Jazzvokalisten Jon Hendricks ist eine der witzigsten Partnerschaften, die sie je eingegangen ist – und sie enthält zudem eine espritgeladene Story. Das Stück stammt von einem ihrer schönsten Alben namens Línguas & Amores, veröffentlicht kurz bevor sie von Deutschland bis Japan durch die Rare Groove-Gemeinde einen zweiten Frühling erlebte, der ihre Popularität in Brasilien wohl bis heute übertrumpft.

6. Joyce & Dori Caymmi: „Joãozinho Boa Pinta“ (2005)
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Als Markus und ich Joyce 2005 auf unserer Brasilienreise besuchten, hatte sie gerade das Album Rio Bahia veröffentlicht – ein Teamwork, das sie mit dem Sohn der bahianischen Liedermacher-Legende Dorival Caymmi aufgenommen hat. Dori hatte 1968 schon ihre allererste LP produziert! Für mich zählt es zu den spannendesten Werken aus ihrem etliche Dutzend umfassenden Katalog, denn es schlägt die Brücke von der Copacabana ins afro-brasilianische geprägte Salvador im Nordosten.

7. João Donato & Joyce: „E Vamos Lá“ (2010)
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Bis heute ist Joyce unfassbar rührig, veröffentlicht jedes Jahr ein Album, einige davon nur für den japanischen Markt. Zu den Perlen aus ihren jüngsten Releases zählt eine Kollaboration mit dem Bossa- und Jazz-Urgestein João Donato namens Aquarius. Ein Einblick in ihre Zusammenarbeit auf der Bühne mit Donato soll diesen kleinen Geburtstagsgruß finalisieren. Möge uns diese grandiose Senhora mit ihrer Musik noch lange erhalten bleiben.

© Stefan Franzen