Ravel, der Remixer


Seit einem Jahrzehnt zählt das Trio Vein zu den bekanntesten Jazz-Acts in Basel, doch Pianist Michael Arbenz, sein Bruder Florian am Schlagzeug sowie Bassmann Thomas Lähns arbeiten parallel auch in der klassischen Musik. Aus diesem doppelten Erfahrungsschatz erwuchs jetzt ihre Platte Vein Plays Ravel. Vor dem Konzert in Basel, das die Offbeat-Saison eröffnet, habe ich mit Michael Arbenz über die Hommage an den Impressionisten gesprochen.

Michael, was kann Maurice Ravel 80 Jahre nach seinem Tod heute einem Jazzmusiker sagen?

Michael Arbenz: Es gibt viele Facetten, die aus heutiger Sicht interessant sind. Da wäre seine Arbeitsweise, oft Stücke aus anderen Musikstilen aufzugreifen, sei es aus der spanischen Musik, dem Barock, oder eben auch aus dem Jazz. Mit einem modernen Wort gesagt hat er schon so etwas wie Remixes gemacht. Das ist ein guter Aufhänger für eine Hommage. Ravel ist auch deshalb spannend, weil er genau auf der Schnittstelle von gegenständlicher Musik des 19. Jahrhunderts zur abstrakten Musik des 20. Jahrhunderts gewirkt hat. Das Wichtigste aber: Die Musik von Ravel ist einfach wunderschön, er ist ein Meister der Klangfarben, der Melodien, auch der Rhythmen, dessen Poesie uns schon lange immer sehr berührt und auch begleitet hat.

Ihr wirkt alle drei auch in der klassischen Musik – erleichtert das den Brückenschlag?

Arbenz: Wir haben alle viel mit Orchestern gearbeitet, Ravel in vielen Zusammenhängen gespielt, und das ergibt einen ganz persönlichen Erfahrungsschatz auch auf einer gefühlsmäßigen Ebene, der natürlich von Vorteil ist. Auf der anderen Seite braucht man die nötige Distanz und Anarchie, um diese Musik nicht als heilig anzuschauen. Aber ich denke, damit haben wir alle drei nie Probleme gehabt. Wenn man das Projekt im Gesamtverlauf von Vein sieht, dann ist das eine Zusammenführung der beiden Welten: der Klassik, wie wir sie vor einigen Jahren schon mit „Porgy & Bess“ gezeigt, und der traditionellen Jazzaspekte, die wir auch mit vielen amerikanischen Gastsolisten wie Greg Osby oder Dave Liebman immer gepflegt haben. Nur dass jetzt ganz bewusst der Europäer Andy Shepphard am Saxophon unser Gast ist, um dieses europäische Thema umzusetzen.

Ravels Musik gilt bisweilen als animalisch, ist voll unterschwelliger Erotik, aber weist auch eine Liebe zur Sphäre des Infantilen auf. Konntet ihr an solche musikalischen Eigenheiten anknüpfen?

Arbenz: Was Ravel im Gegensatz zum anderen großen Impressionisten Claude Debussy auszeichnet, ist vor allem der Groove. Im „Boléro“ oder auch im „Five O‘Clock Foxtrot“ aus der Oper „L‘Enfant et les Sortilèges“ spielt schon in den Originalen der Rhythmus eine große Rolle, und das bietet natürlich auch einen Link für uns an. Ravels Stücke sind oft sehr klar, nicht so harmonisch abstrakt und polyphon wie Debussy. Wir wollten vermeiden, diese Stücke einfach mit ein wenig Schlagzeug und Bass drunter zu spielen, und die Klarheit bietet einem genug Raum, neu zu gestalten.

Die schillernden orchestralen Klangfarben Ravels nur mit Schlagzeug, Bass und Piano einzufangen, war sicherlich eine Herausforderung. Habt ihr euch – sofern vorhanden – eher an den Klavierfassungen orientiert?

Arbenz: Es hat mich sehr geprägt, dass ich bei Jürg Wyttenbach studiert habe, der war sowohl Dirigent als auch Pianist. Ich habe bei ihm mitbekommen, dass ein Klavier klingen kann wie ein Orchester. Und das ist auch ein Ansatz der Spielphilosophie von Vein: Wir sind ein kleines „Orchester“ und nicht einfach ein Klavier, das eine Melodie spielt und eine rhythm section darunter. Deshalb haben wir vielleicht bewusst nicht nur Klavierstücke gewählt, sondern Stücke, die von Anfang an ein bisschen orchestral angelegt sind.

Beim „Boléro“ lasst ihr euch durch einen fünfköpfigen Bläsersatz verstärken. Wie habt ihr diese ungeheure Steigerung des Orchesterapparats in eurer Adaption abgebildet?

Arbenz: Die Struktur haben wir eigentlich eins zu eins übernommen, denn hätten wir diese Kompromisslosigkeit aufgebrochen, wäre das Wesentliche verloren gegangen. Wir haben das Repetitive, diese Tranceartigkeit, das Afrikanische mit unseren Jazzmitteln noch mehr herausgearbeitet. Und die zunehmende Intensität haben wir dann mit Steigerung von Geschwindigkeit und mit Ausbrechen von Tonalität und Rhythmus gelöst.

VEIN plays RAVEL: „Making of ‚Boléro'“
Quelle: youtube

Ravels Beschäftigung mit populären Formen hast du schon angesprochen. Es war naheliegend, den „Blues“ und den „Five O‘Clock Foxtrot“ aufzugreifen, sie wieder aus der Klassik „zurückzuholen“.

Arbenz: Ja, das war sicher ein Reiz der Sache, auch weil die Grenzen bei Ravel durchlässig sind. Das Lustige ist: Ravel hat sich eigentlich nie wirklich mit Jazz auseinandergesetzt, in Paris vielleicht nur ein, zwei Mal Sinti-Jazz gehört. Das ist eine seiner großen intuitiven Stärken: Ohne dass er weiß, um was es geht, kann er so ein „Blues“-Stück kreieren, das eigentlich nichts mit Blues zu tun hat, auf der anderen Seite aber dieses Feeling so gut wiedergibt, dass es trotzdem perfekt passt. Der Witz an unseren Aufnahmen ist jetzt, dass wir uns jetzt wiederum aus der Sicht des 21. Jahrhunderts dieser Musik nähern, mit all der heutigen Spielerfahrung, und nicht einfach plakativ einen Bluesrhythmus drunterlegen.

Ravel hat ja eine fast schon pathologische Faszination für die Welt des Kindlichen gehabt. In eurer Version der „Pavane Pour Une Infante Défunte“ gibt es ein Daumenklavier, das auf diese Sphäre wie ein Spielzeuginstrument hinweist.

Arbenz: Wenn wir es noch etwas Poetischer ausdrücken: Es stellt einfach etwas sehr Verträumtes und Irreales dar. Die „Pavane“ ist ein naives Stück, die Musik und Harmonik sind simpel. Doch zu sehr abstrahieren konnten wir sie auch nicht, sonst hätte sie nicht mehr Ravels Vorstellung entsprochen. Deshalb war unsere Idee, das klanglich noch in eine andere Dimension zu führen.

Würde Ravel noch leben, glaubst du, er könnte mit den Adaptionen von Vein etwas anfangen?

Arbenz: Man sagt ja, dass Ravel als Person einen sehr verspielten Charakter hatte. Er hatte eine Sammlung mit Fälschungen, darunter Uhren und solche Sachen, das finde ich dann auch sehr bezeichnend für seine Kompositionen. Eigentlich war seine Musik schon eine gefälschte Originalmusik, die teilweise viel besser war als die Vorlage. Ich könnte mir also vorstellen, dass er mit unseren „Fälschungen“ von seiner Musik Freude gehabt hätte.

© Stefan Franzen

Platte: Vein plays Ravel (Double Moon Records)
live: Esse Musicbar Winterthur, 1.9. / Volkshaus Basel, 9.9., weitere Daten auf vein.ch