Les Hay Babies (Nouveau-Brunswick)
aktuelles Album: La Quatrième Dimension (Simone Records)
Die atlantische Provinz Nouveau-Brunswick ist Kanadas einzige Region mit offizieller Zweisprachigkeit. Das Englische und das Französische siedeln hier so eng beieinander, dass sie eine abenteuerliche Mischsprache, das Chiac gebildet haben. Davon machen auch drei junge Damen in ihren Texten ausgiebig Gebrauch. Die Hay Babies (Julie Aubé, Katrine Noel und Vivienne Roy) sind das aktuelle Aushängeschild einer akadischen Kultur, die sich nicht auf Traditionen festklopfen lässt, den Bonvivant-Aspekt der französischstämmigen Bewohner aber umso mehr feiert. Julie Aubé und Katrine Noel habe ich auf dem Festival Montréal en lumière getroffen, wo sie mir auch von ihrem besonderen Verhältnis zum Premier Justin Trudeau erzählt haben.
Eine offensichtliche Frage zu Beginn: Was bedeutet das „hay“ in eurem Namen?
Katrine Noel: Wir haben als 18-jährige Freundinnen angefangen, Musik zu machen, viel gejamt, Songs geschrieben, wir waren mit Feuereifer dabei. Dann haben wir einen ersten Auftritt bekommen, haben ein Foto für die Ankündigung gemacht, hatten aber noch keinen Namen. Wir waren einfach drei Mädchen, die Folk gespielt haben. Wir haben uns alle möglichen Namen ausgedacht, und Les Hay Babies hat die Zustimmung von allen drei bekommen. Eine richtige Bedeutung hat das nicht, aber es passt zu dem Folk und Country, den wir damals gespielt haben, und wir waren damals halt einfach noch Babies.
Les Hay Babies: „Fil De Téléphone“
Quelle: youtube
Jetzt gibt es einen hörbaren Stilwechsel in eurem Sound. Habt ihr das von langer Hand geplant oder ist das zufällig passiert?
Julie Aubé: Es war schon beabischtigt, denn wir wollten Rock der 70er spielen. Vier Jahre lang haben wir Folk und Country gespielt, es ist nicht so, dass wir das jetzt nicht mehr mögen, aber manchmal ist es gut, die Dinge zu verändern, um frisch zu bleiben. Auf diese Weise können wir die alten Songs auch auf andere Weise mit anderen Instrumenten spielen. Wir hatten schon lange vor, Rock zu spielen und haben ziemlich lange gebraucht, da hin zu kommen.
Das Cover der neuen CD sieht sehr nach einem billigen SciFi-Movie aus – habt ihr ein Faible für dieses Genre?
Noel: Ja, haben wir. Wir mögen die Ästhetik der 80er und 90er, Vivianne ist ein wahnsinniger Pinball-Fan, mag diese Art von Artwork…
Aubé: …und wir lieben Arcade-Spiele. Der Titel bezieht sich übrigens tatsächlich auf einen Amateur-Film namens La quatrième dimension aus Québec, der so schlecht gemacht ist, dass es schon wieder Kult ist. Das mögen wir sehr.
Ich finde auf dem Album darüber hinaus aber auch einen Chanson-Einfluss…
Julie Aubé: Wir sind sehr inspiriert von der dramatischen Seite der frankophonen Musik, Jean-Pierre Ferland, Serge Gainsbourg oder Jimmy Hunt, ein moderner Chansonnier. Aus den 70ern mögen wir die Eagles, die Beatles, Lou Reed. Julie und ich haben einen Vintage-Store besessen, und unsere bevorzugte Ära, was Kleidung angeht, sind die die 1970er. Wir sind verliebt in diese Zeit und es war cool, diese Vorliebe auf unserem aktuellen Album zu porträtieren.
Ihr kommt ursprünglich aus der Provinz Nouveau-Brunswick, lebt jetzt teilweise in Montréal. Beeinflusst euch eure Heimat beim Schreiben noch?
Noel: Der Dialekt unserer Region beeinflusst uns sehr beim Schreiben der Texte, wie die Leute bei uns sprechen, das fließt in unsere Lyrics ein. Aber durch das letzte Album zieht sich als roter Faden des Thema Trennung.
Also habt ihr alle eine Trennung durchgemacht?
Noel: Nein, niemand von uns. Wir sind alle in Beziehungen. Vielleicht sind wir deshalb alle so happy, wir können die schlimme Seite des Lebens in unseren Songs ausleben! Am Ende sind wir einen Schritt zurückgetreten, haben uns das Ergebnis angeguckt und gemerkt: Holy Jesus, das ist ein verrücktes Trennungsalbum! Echt seltsam.
Was ich über Nouveau-Brunswick gelernt habe: Es ist die einzige Provinz Kanadas, in der das Französische und das Englische als Amtssprache verankert sind und es gibt diese verrückte Mischsprache, das Chiac.
Aubé: Wenn du nicht aus Nouveau-Brunswick bist, dann denkst du, diese Sprache haben sich die jungen Leute ausgedacht, weil sie so absurd erscheint. Man denkt sich, dass kann nicht historisch gewachsen sein, das ist Straßenjargon, ein Slang. Aber das stimmt nicht, Chiac ist tatsächlich sehr alt. Meine Oma spricht mehr Chiac als ich! Es ist eine Mischung aus Englisch und einem Französisch, das vor 200 Jahren gesprochen wurde, mit Wörtern, die gar nicht mehr exisitieren, aber bei uns sehr wohl.
Noel: Und da es eine solche Mixtur aus Englisch und Französisch ist, hört es sich an, als wäre es leichter, es gibt Shortcuts, und deshalb denken die Leute, dass es ein Slang ist. Aber diese Ausdrücke wurden schon seit Urzeiten benutzt.
Ist die Kultur der Akadier in Nouveau-Brunswick stark und hat sie Einfluss auf andere Provinzen?
Aubé: Ich denke, sie ist sehr lebendig. Wir leben in der größten Stadt der Akadie, wir haben in Moncton nur 160.000 Einwohner, und gleichzeitig mit unserem Album wurden 22 weiter Alben veröffentlicht, das ist viel auf diese Zahl gerechnet. Die Leute in Québec beginnen gerade erst sich bewusst zu werden, dass es auch außerhalb ihrer Provinz frankophone Kanadier gibt, mit einem lustigen Akzent. Und die Künstler von hier machen sich in immer größerer Zahl auf, um eine Karriere zu starten, die sie auch nach Montréal führt.
Noel: Der akadische Stolz ist sehr groß, wir leben und feiern ihn sehr bewusst und sprechen auch oft darüber.
Les Hay Babies: „My Love“ – New Brunswick Nature Sessions
Quelle: youtube
Gibt es im Rest Kanadas denn Vorurteile gegenüber den Akadiern?
Noel: Eigentlich nicht, vielleicht bei ungebildeten Leuten. Für gewöhnlich ist es bekannt, dass die Akadier nett und gastfreundlich sind, genauso wie wir wissen, dass es die Franko-Ontarier und Franko-Manitober sind. Wir sind als freundlich bekannt, und wir haben schöne Strände…
Aubé: Das Problem ist: Viele Leute haben keinen Begriff von uns, wissen nicht was „akadisch“ bedeutet. Sie denken, wir sind englischsprachig und haben nur Französisch gelernt. Aber wenn sie uns kennenlernen, dann merken sie, dass wir „bonvivant“ sind, das ist der Ruf, der uns begleitet.
Ist es in der kanadischen Musikindustrie immer noch ein Thema, in einer Frauenband zu spielen? Werdet ihr respektiert?
Aubé: Manchmal ist das schon noch ein Thema. Es kommt vor, dass wir in einem Theater spielen, wo uns niemand kennt, wir kommen da an, werden nicht wie Musiker behandelt, als hätten wir nicht einmal eine Ahnung, was ein Mikrofon ist. Das ist frustrierend, wenn du schon 1000 Shows gespielt hast. Es passiert nicht oft. Wir sind ja eher Tomboys, wenn wir jetzt Popgirlies wären, sähe das anders aus.
Noel: Auf Tour sind wir mit drei weiteren Jungs und ich selbst fühle mich dann manchmal wie ein Junge. Oh my gosh, unsere Gesprächsthemen…! Aber wir sind sehr froh, dass wir so ein Umfeld haben und respektiert werden.
Aubé: Das zieht dich echt runter, wenn sie sagen: „Oh, die sind echt gut für eine Mädchenband!“
Noel: Und ich wäre echt froh, wenn sie uns nicht nur mit Girlbands vergleichen, wenn sie nicht immer sagen würden, die klingen wie die McGarrigle-Sisters, nur weil sie Satzgesang in den Arrangements haben. In Wahrheit klingen wir eher wie die Eagles oder Jean-Pierre Ferland, aber diese Vergleiche werden nicht gezogen, da wir Mädchen sind.
Ich weiß, dass in eurer Nachbarprovinz Prince-Edward-Island die keltische Musik eine große Rolle spielt. Hat die auch auf eure Heimat abgefärbt?
Aubé: Traditionelle akadische Musik ist per se sehr keltisch geprägt.
Noel: Das spielst du mit der Familie, an Weihnachten, wenn du nach Hause kommst, wird das in den Bars gespielt. Auch wenn wir das selbst nicht allzu oft hören, respektieren wir diese Musik, sie ist ein Teil unseres Erbes.
Ich möchte zum Schluss hin noch das Geheimnis von ein oder zwei Chansons auf dem Album lüften: „Fais-toi pas pogner (fucking cellulaire)“, zum Beispiel. Ist das ein Hass-Song gegen Smartphones?
Noel: Ja, ein bisschen schon. Diese Lyrics sind so deprimierend, ich weiß nicht einmal, wie ich da drauf gekommen bin. Es geht darum, dass du jemandem dein Herz ausschütten willst, sagen möchtest, wie schlecht du dich fühlst. Und das ist nicht einfach. Und dann machst du es einfach übers Smartphone, das passiert immer öfter.
Und „La Poule Aux Oeufs D‘Or“? Ist das eine mythologische Kreatur aus einem akadischen Märchen, die Henne mit den goldenen Eiern?
Noel: Das ist der Titel einer Spielshow im Fernsehen, da gehen vor allem ältere Leute hin, und die Hauptfigur ist diese Pute mit dem goldenen Ei. Wir erzählen da die Geschichte von einem kleinen Ort mit einer Kantine, wo meine Oma Polly fantastische Poutine (Anm.: das franko-kanadische Nationalgericht: Fritten mit dunkler Soße und Käsekrümeln) gemacht hat, da sind wir immer nach der Schule hingegangen, um unser Essensgeld zu sparen. Im Winter aber ging meine Oma zu dieser Spielshow und hat tatsächlich ein bisschen Geld gewonnen. Da konnte sie den Laden dann ganz dicht machen.
Zum Ende werden wir politisch. Premierminister Justin Trudeau hat gesagt, die größte Stärke Kanadas sei seine Vielfalt. Wir Europäer sehen Kanada ein bisschen als Gegenentwurf zum gegenwärtigen Amerika. Ist das naiv?
Aubé: Vielleicht sind wir da ein bisschen voreingenommen wegen unserer Herkunftsregion. Die Ostküste ist sehr dünn besiedelt, und das, was unsere Region ausmacht, ist, dass sie durch die Einwanderung und die Unterschiede gerade lebendig wird. Wir haben sehr kleine Orte, aber jeder geht nach vorne ab, alle feiern. Wenn jemand aus einem anderen Land kommt und ein Restaurant oder ein Geschäft aufmacht, dann ist das einfach nur aufregend.
Noel: Wir hoffen, dass wir nicht wie Amerika sind!
Aubé: Es ist für uns peinlich und erschreckend zu sehen, was da passiert, wir können das nicht glauben, was sich vor unserer Haustüre abspielt. Meine Schwester lebt in den Staaten, und sie ist so verängstigt, dass sie nach Kanada zurück möchte.
Noel: Und übrigens: Wir mögen Justin.
Aubé: Er ist cool!
Noel: Wir hatten die Möglichkeit, bei seinem ersten kanadischen Nationalfeiertag auf dem Parliament Hill aufzutreten.
Aubé: Und Vivienne, die jetzt gerade nicht da ist, hat ihm einen Nasenstüber verpasst. Er wurde nicht wütend, sondern fand das amüsant.
In Kanada ist es also möglich, dem Premierminister einen Nasenstüber zu verpassen…
Aubé: Sie hat uns das vorher angekündigt, und wir warnten sie: „Vivienne, wenn du den Premierminister anfasst, dann werden wir dir das nie vergeben!“ Und sie sagte: „Ich werde es tun, ich werde es tun!“
Noel: Wir haben auf die Häuserdächer geschielt, um zu gucken, ob da Heckenschützen wären, die ihr den Finger abschießen würden.
Aubé: Aber wie dem auch sei – sie hat‘s getan, und seine Frau sagte dann: „Ihr schaut aus wie Mädchen, die Aufruhr verursachen. Wir mögen Aufrührerinnen!“
Les Hay Babies: „Motel 1755“
Quelle: youtube
© Stefan Franzen