Hoffnung für Tunesien?

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Ich setze heute meine Reihe der Interviews mit Sängerinnen aus der arabischen Welt fort.

Während der Jasminrevolution wurde sie in ihrer Heimat Tunesien mit dem Lied „Kelmti Horra“ („meine Rede ist frei“) zur Symbolfigur der Jugend. Heute steht Emel Mathlouthi an der Spitze der selbstbestimmten Künstlerinnen mit arabischen Wurzeln, lebt in Paris und New York. Anlässlich ihres bevorstehenden Auftritts beim Stimmen-Festival in Lörrach (Rosenfelspark, 21.7.) habe ich dieses Interview mit ihr geführt – wenige Tage vor den Anschlägen auf den Badeort Sousse, der einige ihrer optimistischen Ausblicke hoffentlich nicht zunichte machen wird.

Emel Mathlouthi, in Ihrer Musik begegnen sich arabische Wurzeln, Rock und elektronische Musik. Was waren Ihre frühesten musikalischen Einflüsse?

Mathlouthi: Von klein auf habe ich die arabische Musik durch ganz verschiedene Interpreten entdeckt. Ich mochte Cheikh El Afrit, ein jüdisch-tunesischer Künstler aus den 1930ern, der sprach sehr frei über Liebe, Beziehungen, Sexualität. Außerdem hörte ich Cheikh Imam, ein Vorläufer des engagierten ägyptischen Chansons, auch den Erneuerer der libanesischen Musik Marcel Khalifé. Es ging bei diesen Interpreten immer um Rebellentum, um die Probleme der Gesellschaft. Die rein klassische arabische Musik dagegen war nie mein Ding.

Man kennt hierzulande die tunesische Musik eher durch Jazzer wie Anouar Brahem oder Dhafer Youssef. Ihr Stil ist da ein ganz anderer, rockorientierter. Man sieht Sie im Internet sogar mit einem Cover von Rammstein.

Mathlouthi: Meine erste Band an der Uni, so um 2000 herum, war eine Metalband und ich war eine der ersten Sängerinnen überhaupt. Danach habe ich mich entschieden, Gitarre zu lernen und kritische Texte zu schreiben, auch da war ich als Frau eher die Ausnahme. Alte Musik habe ich von der arabischen Laute auf die Gitarre übertragen, so konnte ich zwei Generationen versöhnen. Revolte und Freiheit, das waren meine Themen, und ich habe in meiner Poesie keine gedrechselten Worte verwendet, meine Sprache war sehr spontan. Es fiel den Journalisten und dem Publikum nicht leicht, das zu akzeptieren. Was Rammstein angeht: Eine ganze rockbegeisterte Generation hat die in Tunesien gehört. Was uns mit Deutschland verbindet, ist eine Sprache, die schwierig zu populärer Musik zu setzen ist. Bei Rammstein finde ich eine Sensibilität, die mich sehr berührt. Gerade in dem Song „Frühling In Paris“, der auch eine Hommage an meine neue Heimat ist.

Emel Mathlouthi: „Frühling In Paris“
Quelle: youtube

Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie mit Ihrer Einstellung unter dem Ben Ali-Regime Probleme bekommen haben…

Mathlouthi: Die Regierung hat damals die Initiativen der Jugend ignoriert, ohne sie zu bedrohen oder ins Gefängnis zu stecken, war aber zugleich so dumm, zu glauben, dass wir auf die tunesische Gesellschaft keinen Einfluss hätten. Dabei haben wir letztendlich geholfen, das Regime zu stürzen. Die größten Zwänge bestanden für uns darin, keinerlei Unterstützung zu bekommen, weder finanziell noch moralisch. Wir hatten keine Instrumente, keine Übungsräume, keine Strukturen, keinen Zugang zu professionellen Karrieren. Uns blieb nur der Untergrund. Doch ich glaubte an mich, und ich war verrückt genug, meinen Weg in Frankreich weiterzugehen, wo es genug Rückhalt gab, um an meinem Debütalbum zu arbeiten und Auftritte in kleinen Clubs zu bekommen. Gleichzeitig wollte ich in Tunesien immer präsent bleiben mit meiner Arbeit und habe die Franzosen aufgefordert, das Regime zu boykottieren und den Aufstand zu unterstützen.

Als 2011 der der Diktator entmachtet wurde, haben Sie auf der Avenue Bourguiba in Tunis das Lied „Kelmti Horra“ angestimmt. Auf Youtube kann man noch sehen, wie Sie da in einem leuchtend roten Mantel mit einer Kerze in der Hand stehen und für Meinungfreiheit singen. Was ging in diesem Moment in Ihrem Kopf vor?

Mathlouthi: Wir fanden uns an diesem Tag im Januar 2011 auf der Avenue ein, um den Märtyrern der Revolution Tribut zu zollen. Ich hatte keinerlei Ahnung, was geschehen würde. Einige Leute dort ermutigten mich, das Lied zu singen. Es hat viele Leute begleitet während ihrem Kampf ums Überleben, hat ihnen Hoffnung gegeben, gerade Künstlern und Schauspielern. Ich bin also aufgestanden, obwohl ich große Angst hatte, aber ich habe aus vollem Herzen gesungen. Heute bin ich natürlich glücklich, dass das Lied diesen großen Tag erleben durfte.

Emel Mathlouthi: „Kelmti Horra“ sur l’Avenue Bourguiba 2011
Quelle: youtube

Ihr Debütalbum war geprägt von melancholischen Melodien, die mit fast kalten Industrialkängen kombiniert wurden. Wie unterscheidet sich die neue Platte, die Sie beim Stimmen-Festival in Lörrach vorstellen werden?

Mahtlouthi: Das erste Album habe ich quasi mit den Tränen einer Emigrantin geschrieben, denn ich war sehr traurig, dass ich meine Leute in Tunesien in einer so schwierigen Lage zurücklassen musste. Meine neue Arbeit entstand unter anderen Voraussetzungen: Ich habe an sieben Orten produziert, von den Cevennen über New York bis Rejkavik. Es war mir ein Anliegen, durch verschiedene Produzenten, unter ihnendere Björk- Producer Valgeir Sigurðsson, verschiedene Farben einzufangen. Die rhythmische Basis besteht aus arabischen und afrikanischen Rhythmen und Perkussion, die wir dann durch einen Computer geschleust haben, um Elektro-Beats zu kreieren. Ich habe auch sehr viel mit der Stimme experimentiert und sie durch Effekte verändert.

Sind Sie textlich noch beeinflusst durch die Ereignisse in Ihrer alten Heimat?

Mathlouthi: Auf diesem zweiten Album sind die Lyrics literarischer, abstrakter. Es sind Improvisationen über Worte, reine Poesie, es geht um die Suche nach sich selbst, nach der Identität. Ein paar Songs drehen sich noch um die Aktuallitäten in der arabischen Welt, um die Leute, die unter Bombardements leiden müssen, Kinder, die in Massakern sterben. Der Rest ist eher persönlich, taucht in die Seele, in die Psyche ein.

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Sie verbringen nicht mehr so viel Zeit in Tunesien. Wie nehmen Sie die aktuellen Veränderungen von außerhalb wahr? Gibt es noch die Aufbruchsstimmung von damals, hat sich für die Künstler etwas bewegt? Oder droht nach den Attentaten im Museum Bardo ein Rückfall?

Mathlouthi: Nach allem, was ich beobachte, haben die Anschläge keine großen Auswirkungen auf die Gesellschaft. In Tunis gibt es immer mehr junge Leute, die kreativ sind, Festivals und Projekte auf die Beine stellen, die vielversprechend sind. Auf dem Land ist natürlich noch nicht viel von der Kultur angekommen. Dort würde ich gerne mitarbeiten, Workshops aufbauen in den entlegenen, armen Regionen. Denn von Regierungsebene fließen wie früher keinerlei Gelder für kulturelle Belange.

Trotz des Wahlsieges der säkularen Koalition über die islamistische Ennahda-Partei?

Mathlouthi: Das ist eher eine Frage der Mentalität. Ich habe noch keine einzige politische Partei in Tunesien gesehen, die ein Programm zur Kulturarbeit hätte. Das sind immer die selben Cliquen, die zuständig für Subventionen sind und keine Ahnung von Kunst haben. Die Veränderungen müssen die Künstler selbst herbeiführen. Wir brauchen also mehr junge Leute in den Ministerien, die am Puls der Zeit sind, über Verbindungen zur Szene verfügen und Visionen haben.

Was können Sie da von Ihren neuen Standorten Paris und New York bewegen?

Mathlouthi: Es ist nicht wichtig, ob ich in Tunesien oder im Ausland bin. Das Wesentliche ist, dass ich den Weg, den ich angefangen habe, weitergehe, dass ich eine lebendige Zeugin bleibe, die keine Angst hat und nicht nur das beobachtet, was in Tunesien, sondern auch in der Welt vor sich geht. Denn Tunesierin zu sein, bedeutet auch, ein Teil der Welt zu sein. Dadurch, dass ich reise, singe ich überall von unserer Geschichte, aber ich kreiere mit meiner modernen Musik auch eine Brücke zwischen der tunesischen Jugend und der anderer Völker und ihrer Situation.

© Stefan Franzen

Emel Mathlouthi live à la Cigale
Quelle: youtube