Timbres in der Turnhalle

Salvador Sobral
Stadthalle Waldshut
17.05.2025

Der Tatort: eine Turnhalle in Waldshut, die eigentlich „Stadthalle“ heißt. Der Akteur: ein ehemaliger ESC-Sieger, der unweit des aktuellen ESC singt. Die Musik: feinstes portugiesisches Songwriting, garniert mit gänzlich unerwarteten Deutsch-Pop-Momenten.

Nein, als Gegenveranstaltung zum Eurovision Song Contest in Basel war das Konzert von Salvador Sobral nicht geplant, auch wenn es de facto eine ist: Denn wo am Rheinknie die überdrehte Zombie-Show ihren Lauf mit geringstem musikalischem Ertrag nimmt, zelebriert ein Ex-Gewinner 50 Kilometer weiter östlich das, worum es wirklich gehen kann in der Musik: durchdachte Songs mit pfiffigen bis berührenden Texten, elaborierte Harmonie- und Rhythmuswechsel, ungezwungene Spielfreude. Das Äußere: Ist ihm egal, Salvador Sobral trägt ein schwer geknittertes Öko-T-Shirt.

Acht Jahre nach seinem Sieg beim ESC und einer Herztransplantation ist Sobral heute einer der erstaunlichsten jungen Songwriter Europas. Wie sich bei seinem Auftritt mit – überwiegend – dem Repertoire des aktuellen Werks Timbre zeigt, hat er nicht nur die portugiesische Musik vom Fado-Klischee befreit, sondern tummelt sich auch weltgewandt in der spanischen Klangwelt, im britpoppigen Flair und im französischen Chanson, macht sich alles zu eigen. Dass das Ambiente mit einer kargen, Basketballkorb-verzierten Mehrzweckhalle und einem spärlichen Publikum aus ungefähr dreihundert Menschen (Silbersee trifft junge Portugiesinnen) nicht gerade seinen sonstigen Abendveranstaltungen entspricht, ficht ihn nicht an. Er turnt unter Zirkuszelt-Leuchtketten übermütig über die Bühne und durch den Saal, kann kraftvolle Rock-Shouts raushauen, ergeht sich aber meist im feinziselierten, sehr intonationssicheren Falsett.


Und er hat eine feine Band mitgebracht, weitaus mehr als Begleitfunktionäre: Eva Fernández doppelt mit ihrer gedeckten Stimme seine Gesangslinien, agiert im Duett „Per La Mano De Tu Voz“ als berührender Kontrapart und edelt viele Songs mit ihren Sopransax-Soli. Am Flügel brilliert Lucía Fumero mit virtuosen, einfallsreichen Flanken, Bassist André Rosinha hält das Fundament nicht nur, sondern greift mit weiten Bocksprüngen aus, Gitarrist und André Santos zelebriert glühende Riff-Finesse an der E-Gitarre, greift für das Lied über den kleinen Vogel („Canta, Passarinho“) auch mal zur ukulelenartigen Braguinha.

Allein am Piano lässt Sobral nochmals seine ESC-Ballade „Amar Pelo Dois“, anders rhythmisiert, aufleben, dreht sich dann kurz mit verschmitzt-irrem Blick zum Publikum und singt tatsächlich seine Version von „Kein Schwein ruft mich an“, wobei er das „keine Sau“ natürlich wie „canção“ ausspricht. Und frönt seiner neuen Liebe für deutsches Liedgut nochmals auf der Zugabe-Strecke mit „Küssen verboten“ von den Prinzen. Doch das größere Highlight kam zuvor: Im intimen Schummerlicht bringt er – Mundtrompete inklusive – in Zwiesprache mit Santos eine fabelhafte Version des Jazzstandards „You’ve Changed“ zum Glänzen. Großer Abend an unerwartetem Ort.

© Stefan Franzen