(he)artstrings #28: Electro-Dramolett

Ultravox
„Vienna“ (Midge Ure, Billy Currie, Warren Cann, Chris Cross)
(aus: Vienna, 1980/81)

In der Nachbetrachtung wurden diese fünf Minuten oft zur größten New Wave-Hymne aller Zeiten erklärt. So weit würde ich vielleicht nicht gehen, doch die Kombination aus den Ultravox-typisch wimmernden Synthesizern, den harten Zisch- und Wummer-Beats vom Roland CR-78, der Piano-Grandezza, verfremdeten Bratschensounds und dem leicht selbstgefälligen Vokalpathos von Midge Ure hat mich als Zwölfjährigen sehr begeistert. Es gab damals wenige Electro-Stücke, die es soweit in den Mainstream geschafft haben, Ghosts von Japan fällt mir aus diesem Zeitraum noch ein.

Das Video erinnert eher an ein Schauermärchen à la Der Golem, wurde in großen Teilen in London und nur auszugsweise in Wien gedreht. Und auch die Geschichte hat eher wenig mit der Donaumetropole zu tun: Ure und Co hatten zwar die Irrfährte gelegt, dass die Lyrics mit der Secession zu tun hätten, stellten aber später richtig, dass es einfach um eine vergangene Liebesaffäre ging. Noch aberwitziger ist, wie die Band überhaupt auf das Wort „Vienna“ kam: Ure wurde angeblich von einer Bekannten angeregt, ein Lied im Stil des Fleetwood Mac-Hits „Rhiannon“ zu schreiben, doch diese hatte den Namen nie richtig verstanden und als „Vienna“ abgespeichert.

Als ich vor Jahren den Roman Die Arbeit der Nacht von Thomas Glavinic las, hörte ich den Ultravox-Song als latenten Begleitsoundtrack in meinem Kopf – die Geschichte von einem, der morgens in einem menschenleeren Wien aufwacht und feststellt, dass er der einzige verbliebene Mensch auf Erden ist, hat eine ebenso düster-morbide Atmosphäre, die die Nerven aber deutlich mehr belastet als diese tolle Electro-Hymne der aufkeimenden Achtziger. Und auch jetzt, bei einem mehrtägigen Aufenthalt in Wien, in Sturm und Regen, ging mir Ultravox nicht mehr aus dem Kopf.

Ultravox: „Vienna“
Quelle: youtube