Awa Ly
Safe & Sound
(Flowfish Records/Broken Silence)
Heute hätte die Senegalesin Awa Ly das Tollhaus Karlsruhe beehrt, um ihr neues Album Safe & Sound vorzustellen. Aus bekannten Gründen wird das nicht passieren. Als kleinen Ersatz hier mein Porträt dieser grandiosen Künstlerin, die wir hoffentlich nach überstandener Pandemie mit einem Ersatzkonzert begrüßen dürfen. Alles Gute nach Italien, Awa! Und bitte schaut mal auf der Seite des Tollhauses vorbei, das eine Fülle an Streams und Podcasts während dieser schwierigen Wochen anbietet. Auch Awa Ly sendet uns hier ihre musikalischen Grüße.
„Dass man im Jahre 2020 darum noch kämpfen muss! Dafür habe ich keine Worte.“ Mehrmals sagt Awa Ly das während unseres Interviews. Die Senegalesin mit Wohnsitz Italien ist eine Anwältin für die Menschlichkeit, und das probate Mittel für ihren Kampf ist Musik, denn damit, so ihre Überzeugung, könne man eben am direktesten die Herzen erreichen. Nachdem sie auf ihrem Debüt Five And A Feather, das sie 2017 im Jazzhaus und auf dem Stimmen-Festival vorstellte, noch eher akustisch unterwegs war, hat sich ihr Sound mit dem Produzenten Polérik Rouvière jetzt merklich verändert. „Schon als ich die ersten Lieder schrieb, fühlte ich eine hypnotische, berauschende Rhythmik in mir“, erklärt sie. „Eine Rhythmik, die mich an die Erde erinnert, fast tribal ist, aber nicht nur im afrikanischen Sinne. Denn der Rhythmus spielte ja seit der grauen Vorzeit in der Menschheitsgeschichte immer eine Rolle, wenn man sich in einen anderen Zustand, eine Trance versetzen wollte.“
Tatsächlich sind die Songs auf Safe & Sound geprägt von Call and Response-Chören, von jeder Art von perkussiver Gestaltung bis hin zu Klatschen und Trommeln auf der Wasseroberfläche, aber auch dem dezenten Gebrauch von Elektronik. Den Gegenpol stellt ein Streichquartett dar, das in einigen Songs für eine europäische Akzentuierung sorgt. „Ich bin sehr zufrieden mit dem Gleichgewicht, das wir da gefunden haben“, sagt Awa Ly, für die die Arbeit mit klassischen Streichern ein Premiere war, bei der sie viel gelernt habe.
Awa Ly sieht sich als eine moderne Schamanin, die ihrem Publikum mit jedem Song eine kleine Frage mit auf den Weg gibt, Fragen nach dem Platz des Einzelnen in seiner Umgebung, in der Natur, ja, im Universum. „Es ist eine Einladung zur Innenschau, dafür, dass du dich selbst kennenlernen kannst. Erst einmal für seine Seele zu sorgen hat nichts mit Egoismus zu tun, erst wenn du dich selbst kennst, kannst du Neugier für die anderen entwickeln.“ Diese Innenschau fehlt heute, so sagt sie.
Ein schönes Sinnbild dafür ist das Video zu ihrer Single „Close Your Eyes“. Lange Reihen von Menschen stehen da in einer Lagerhalle, sie starren auf ihre Smartphones, aber ihre Augen sind verbunden. „Das Smartphone ist nur ein Symbol für alle Bildschirme, Radios, Zeitungen, aus denen gefilterte Infos auf uns einströmen, die wir für bare Münze nehmen. Es ist wichtig, dass wir uns selbst befragen, was davon uns guttut. Der feine Unterschied zwischen anschauen und hinschauen.“ Vorbild ist für sie etwa die sudanesische Freiheitsaktivistin Alaa Sanah, die durch flammende Reden die Bevölkerung für ihre Selbstbestimmung wachrüttelte, und die sie im Clip zu „Close Your Eyes“ verkörpert. Vorbild ist aber auch eine ungenannte spirituelle Leitfigur, der sie den Song „Mesmerizing“ gewidmet hat, weil sie sie durch die Entwicklung des Albums begleitet hat. „Mir geht es nicht um feministische Appelle“, stellt Awa Ly klar, „ich kämpfe für die Menschlichkeit an sich. Aber natürlich bin eine Frau, fühle als Frau, und ich fühle, dass ich das Recht habe, alles zu tun. Bedauerlicherweise gilt das ja noch lange nicht für alle Frauen.“
Dass Awa Ly ihre neue CD Safe & Sound genannt hat, war eine Art Eingebung, wie sie sagt. Nach den Aufnahmen stand ihr diese Zeile förmlich vor Augen. Ihre Musik begreift sie als Schutzraum, eine Sicherheitszone, in die man eintauchen kann, wenigsten für die Zeit des Hörens. Für Ly, die sich als Senegalesin mit Lebenszentrum Europa für die Geflüchteten engagiert, ist es unbegreiflich, dass über das Ob und Wie der Rettung von Menschen aus dem Mittelmeer debattiert werden muss. „Ich habe das Privileg, dass ich nicht aus politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Problemen heraus fliehen musste. Daher habe ich die Verpflichtung, denen Halt zu geben, die dieses Glück nicht haben.“
© Stefan Franzen