„Wir sind die Krümel, die vom Flamenco-Brot abfallen“ – so formulierte es die Sängerin Sílvia Pérez Cruz einmal, als sie nach dem lustigen Namen des Frauenquartetts Las Migas (migas = Krümel) gefragt wurde. In der Tat hat die 2004 von Musikstudentinnen gegründete Band aus Barcelona voller Respekt den Flamenco immer als Anlaufstation genutzt, allerdings in einer sehr freien Les- und Spielart. „Der Flamenco hat seine Wurzeln in all unseren Familien“, sagt die klassisch ausgebildete Gitarristin Marta Robles aus Sevilla, die auch etliche der Songs schreibt, im Interview mit El Mundo. „Er berührt uns vor allem, weil er aus den Dörfern, aus der Armut kommt. Alles an ihm ist authentisch. Es ist eine Musik, die Wahrheit atmet.“
Anfangs traten die vier als multinationale Angelegenheit mit katalanischer Vokalistin, zwei andalusischen und bretonischen Gitarristinnen und einer deutschen Geigerin auf den Plan, und sie deckten auch abseits des Flamenco von Klassik bis Bossa viele Facetten über Iberien hinaus ab. Schnell machten sich die Frauen über Spanien hinaus einen Namen, galten als sympathisch-sinnliche Vorreiterinnen eines neuen weiblichen Aufbruchs in der mediterranen Weltmusik. Turbulent drehte sich in den letzten Jahren das Besetzungskarussell der „Krümel“. Sílvia Pérez Cruz ist ausgestiegen und verfolgt mittlerweile eine grandiose Solokarriere. Geblieben ist im neuen, wiederum rein weiblichen Aufgebot von den Gründerinnen nur Marta Robles. Geblieben ist aber ebenso die Vorliebe für den Flamenco, auch wenn nach der Experimentierphase nun alles ein wenig poppig gestrafft tönt.
So zumindest auf dem dritten Album Vente Conmigo, das in Spanien zum besten Werk des Jahres in diesem Genre gekürt wurde. An der Vokalposition agiert seit einigen Jahren Alba Carmona: Sie wurde als Flamencosängerin ausgebildet, hat das Genre mit koreanischen und brasilianischen Begegnungen bereichert, sang in Carlos Sauras letztem Bühnenspektakel oder mit dem aufstrebenden Flamencogitarristen Jesus Guerrero. In ihrer Stimme finden sich noch Spuren aus dem rauen, traditionellen Cante Jondo, doch sie ist genauso imstande, einen Popsong mit romantischem Schmelz zu krönen. Marta Robles und Alicia Grillo, die beiden Andalusierinnen, teilen sich die Gitarrenarbeit in ausgefeilten Arrangements, ohne sich mit allzu viel Virtuosität hervortun zu müssen. Auch die Geige ist weiterhin fest im Las Migas-Sound verankert: Roser Loscos flicht mit ihr jazzige Töne und Anklänge an Bluegrass ein; besonders wenn sie Carmonas Stimme umgarnt, führt das zu einem geschmeidigen Dialog.
Auffällig am neuen Repertoire ist ein Hang zum lateinamerikanischen Flair: Immer wieder mischen sich in die Flamenco-Vokabeln Rhythmen und Melodien, die aus der kubanischen oder argentinischen Musik bekannt vorkommen. Schließlich zollt das Quartett auch seinem Standort Barcelona Tribut: Mit „La Plaça Del Diamant“ ist ein Klassiker aus dem Repertoire von Ramon Muntaner eingeflossen, einer der Liedermacher-Protagonisten aus der heißen Phase der Nova Cançó-Bewegung Kataloniens. Las Migas sind mit ihrem katalanisch-andalusischen Doppel ein besonders charmanter Beweis dafür, dass über alle politischen Unebenheiten hinweg diese beiden Regionen gemeinsam großartige Kultur hervorbringen können.
Las Migas sind auf Tournee durch D-A-CH:
23.11. Mainz, 24.11. Innsbruck/A, 25.11. Biel/CH, 27.11. Freiburg, 28.11. Schaan/LIE, 30.11. Stuttgart, 1.12. Berlin. mehr Infos auf ihrer Website.
© Stefan Franzen