Paddy Bush I: Ein Zither-Gott und königliches Theater

Paddy Bush
„The Beauty & Complexity of Malagasy Music“

Forum Schlossplatz Aarau, 21.09.2017

Bis in die letzte Stuhlreihe ist der kleine Saal im Forum Schlossplatz besetzt. Als ein „Ort der Reflexion und Debatte“ stellt sich die seit 1994 im schweizerischen Aarau bestehende Einrichtung dar. Das Publikum soll hier “zur Auseinandersetzung mit kulturellen und gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart“ angeregt werden. Dafür haben die Macher aber auch wirklich eine schöne Stätte gefunden: eine Villa, die hoch über der Aare thront, am Eingang zur Altstadt der Aargau-Metropole mit ihren trutzigen Häusern. Was hier gleich passieren wird, darauf weisen in diesem schönen Saal mit seinen knarrenden Dielenböden und dem Kronleuchter zwei Dinge hin: Vorne, auf einem kleinen Podest, ruht ein länglicher Metallkasten mit Saiten, den man als Experte vielleicht als die Zither Marovany erkennt. Und an der Wand ist eine kleine Karte von Madagaskar festgepinnt.

Von hinten erschallt ein „Good Evening“ und ein Mann mit grauem Wuschelkopf nimmt im Schneidersitz an der Marovany Platz. Im nächsten Moment ist der Raum erfüllt von filigranen Tongirlanden, die nicht nur Weltmusikfreaks bekannt vorkommen. Auf Kate Bushs Alben The Sensual World und The Red Shoes kann man solche auch entdecken. Kein Wunder, denn besagter Herr mit dem grauen Wuschel und dem fast zarten Lächeln ist ihr Bruderherz Paddy Bush. Klar, er hat sich schon ein wenig verändert, seit er in der Fernsehfassung des Songs „The Wedding List“ den Bösewicht spielte oder auf den Werbefotos für The Red Shoes posierte, doch man erkennt ihn sofort. Was um Himmels willen tut er mitten in der Schweiz? Die Antwort ist denkbar einfach: Er möchte Begeisterung wecken für seine größte Leidenschaft seit Jahrzehnten, die Musik Madagaskars. Weiterlesen

RIP: Madagaskars Tastenkönig


Er wurde dank seines virtuosen und vielgestaltigen Spiels oft im gleichen Atemzug mit den besten Akkordeonisten wie Flaco Jimenez und Richard Galliano genannt. Régis Gizavo aus der madagassischen Hafenstadt Tulear hat das Instrument, das Seeleute in seiner Heimat schon vor mehr als einem Jahrhundert heimisch gemacht hatten, auf ein Weltniveau gehoben. Im Alter von 58 Jahren ist er am 16. Juli gestorben.

Ganz und gar erstaunlich, was der Tastenkünstler in seinem Repertoire alles zusammenschweißte: seine Vergangenheit in Variété-Bands des Inselkontinents, die Tradition des Exorzismus, das Nachbilden des Sounds der Marovany-Zither sowie Facetten von Jazz bis zu Orient-Einsprengseln. Bereits 1990 bekam er dafür den Prix Découvertes von Radio France Internationale, was für ihn zum Sprungbrett für eine weltweite Karriere wurde. Während der tauchte er in die Jazz-Szene seiner neuen Heimat Paris mit der Bohé Combo ein, avancierte zum festen Mitglied der korsischen Supergruppe I Muvrini, trat mit Richard Bona und Sally Nyolo auf.

Sein ganzes Können jedoch legt Régis als Solist offen. Mit seinem chromatischen Akkordeon entfachte er Funkenflüge voller Rasanz mit der heilkräftigen Renitra-Rhythmik, streute Cajun-Anklänge ein. Die raffinierte Beherrschung der 120 Basstasten wurde sein unverkennbares Markenzeichen. Ökologisch engagiert zeigte sich Gizavo in seinen Texten, klagte die unkontrollierte Abholzung seiner Heimat an, setzte sich für den Tierschutz ein. Zu den Highlights unter seinen jüngeren Aufnahmen zählt die „Accordion Night“, ein Gipfeltreffen mit Musikern des ACT-Labels, das auf Vermittlung des Gitarristen Nguyen Lê zustande kam.

Toko Telo feat. Régis Gizavo: „Relaza“
Quelle: youtube