Adieu, Jujube


93 Jahre ist sie schließlich geworden und hat 70 Jahre französisches Chanson geprägt.  Eine Einzigartige, Unerreichte ist heute gegangen. Seit frühester Kindheit hat mich ihre Stimme begleitet, und ich bin dankbar, dass ich sie zweimal sehen und einmal unvermutet treffen durfte. Grand merci à une grande dame qui va me manquer amèrement.

Sieben wunderbare Momente aus ihrer Karriere.

7.  „La Complainte Du Téléphone“ (André Popp/ François Billetdoux, 1968)
Quelle: dailymotion

Angesichts des Dauerterrors der Smartphone-Ära ist es fast reizend, wie hier amouröse Kommunikationsprobleme besungen werden. Doch die letzten drei Textzeilen gelten heute auch noch: „J‘ préfère qu’on s‘ rencontre / Qu’on s‘ tienne bien tout contre / Qu’on s’embrasse, et qu‘ tu dises plus rien!“

6. „L’Ombre“ (François Mauriac/Luc Poret, 1953)
Quelle: youtube

Hier ist die Zeit ausgehebelt. Ein Rezitativ in der flirrenden Mittagshitze, vertonte Verse des Poeten François Mauriac mit einer fast spirituellen Dimension. Die orchestrale Breitwand liefert das Orchester von Jo Boyer.

5. „La Chanson Des Vieux Amants“ (Jacques Brel, 2004)
Quelle: youtube

Im Alter hat sie sich noch einmal ganz intensiv dem Werk ihres engen Freundes Jacques Brel gewidmet. Es gibt frühere Versionen mit Orchester, doch diese, mit ihrem Ehemann und langjährigen Begleiter Brels, Gérard Jouannest am Piano, lenkt die Aufmerksamkeit ganz auf den bewegenden Text von einer Liebe, die alle Stürme überstanden hat.

4. „Les Amours Perdues“ (Serge Gainsbourg, 1959)
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Der Anfang ihrer Zusammenarbeit mit Serge Gainsbourg. Ganz spannend hier zu sehen, wie sie anfangs noch mit verschränkten Händen dasteht. Ihre berühmte Gestik hat sie um diese Zeit herum allmählich entwickelt.

3. „La Folle“ (Maurice Fanon, 1972)
Quelle: youtube

Einer der unbekannteren Autoren im Chanson, den Gréco allerdings so geschätzt hat, dass sie ein ganzes Album mit seinen Texten herausgab. Die ungeheuer suggestiven Orchesterfarben kommen von François Rauber. Zu dieser Zeit war ihr Stern zumindest in Frankreich schon am Sinken und es dauerte zwanzig Jahre, bis sie von einer neuen Generation entdeckt wurde.

2. „Le Temps Des Cacahuètes“ (Claudine Garan, 1959)
Quelle: youtube

Es ist unmöglich, diesen Chanson in der Liste wegzulassen: Die Geschichte von der Ehefrau, die sich an die unbeschwerte Zeit erinnert, als sie mit ihrem Mann als  junges, verliebtes Paar durch die Straßen von Paris streifte und beide nur Geld hatten, um Erdnüsse zu kaufen. Wie schön, dass sich „cacahuète“ auf „chouette“ reimt.

1. „Miarka“ (Jean Renoir/Joseph Kosma, 1956)
Quelle: youtube

Ein nokturner Walzer, liebestrunken und fast ein wenig dämonisch. Wenn das Saxophon einsetzt, erinnert mich das an die Klangfarben aus Ravels Boléro. Ursprünglich hat Gréco ihn in Jean Renoirs Film „Weiße Margariten“ in ihrer Rolle der „Zigeunerin“ Anastasia gesungen. Überirdisch.

Juliette en allemand

Zum 93. Geburtstag einer Grande Dame, die mich nun seit fast 50 Jahren immer wieder auf meinem musikalischen Weg begleitet.

Sie, die zu Deutschland nach dem 2. Weltkrieg ein großzügiges, verzeihendes Verhältnis entwickelte, hat – was relativ unbekannt ist – auch eine Handvoll ihrer Chansons in unserer Sprache eingesungen. „Die Gammlerin“ heißt im Original „La Rôdeuse“ und stammt aus dem Jahre 1969.

Bon anniversaire, Juliette!

Juliette Gréco: „Die Gammlerin“
Quelle: youtube

(he)artstrings #15: Le Premier Souvenir

Juliette Gréco
„Les Enfants Qui S’Aiment“ (Jacques Prévert/Joseph Kosma)
(aus: St. Germain Des Prés, 1956)

Verlässlich zu sagen, welches das allererste Lied war, dass einen als Kind bewusst gefangen genommen hat, ist nahezu unmöglich. Doch ich bin mir sicher, dass „Les Enfant Qui S’Aiment“ auf mich als Vier- oder Fünfjährigen bereits einen nachhaltigen Eindruck gemacht hat.

Joseph Kosma hat die Verse von Jacques Prévert für den Film Les Portes De La Nuit (1946) vertont, auch das weitaus bekanntere „Les Feuilles Mortes“ (ebenfalls mit Versen von Prévert) kommt in diesem Streifen vor. Während „Les Enfants…“ in diesem Film von Fabien Loris zu einer Akkordeon-dominierten Begleitung gesungen wird, gibt es auch eine Version von Yves Montand, der sich nur zur Gitarre begleitet. Ein Jahrzehnt nach dem Film veröffentlichte Juliette Gréco ihre Interpretation mit dem schillernden Orchester von André Grassi, in ihrem Konzertrepertoire hatte sie es aber schon einige Jahre zuvor, und mit Pianobegleitung gibt es eine Aufahme für die italienische RAI von 1953.

Ich denke, was mich als Kind so beeindruckt hat, war das Zusammenspiel dieser dunklen Stimme mit den reichen Orchesterfarben aus der 1956er-Version. Die abgrundtief traurigen Streicher im Intro, die Harfe und die Celesta, auf die die fernen Bläser folgen. Und dann der Einsatz von Gréco, die mit einer Mischung aus herrischer Strenge und warmherzigen Pathos singt. Ich kann mich erinnern, wie mich die zweifach wiederholte Passage „Et C’est Seulement Leur Ombre..“ und „Ils Ont Ailleurs…“ in den Bann gezogen hat: Dieses Innehalten des ganzen Orchesters, während die Geigen zittern wie Espenlaub und dann am Ende gleißende Farben malen zu den glühenden Hochtönen der Sängerin, und wie dann alles auf dem Wort „éblouissante“ mit Harfengirlanden kulminiert. Auch die Dur-Lösung am Ende mit der verlorenen Flöte fand ich sehr geheimnisvoll.

Dass es in dem Chanson um die Sphäre der kindlichen Unschuld geht, wusste ich damals natürlich nicht, ist aber eine schon fast unheimliche Koinzidenz. Juliette Gréco, die im letzten Jahr ihre Auftritte absagen musste und der es offensichtlich gar nicht gut ging, will nun 2017 wieder zurück auf die Bühne. Die Frau, der ich zwei Mal im Leben begegnet bin – einmal geplant, einmal ungeplant – wird heute 90 Jahre alt. Bon anniversaire, Madame!

Juliette Gréco: „Les Enfants Qui S’aiment“
Quelle: youtube

Sept pour Juliette

An diesem Samstag (14.3.) wird sie ihre Tournee in Neuves-Maisons bei Nancy starten. Es wird ihre letzte sein, Juliette Gréco hat mit 88 Jahren ihren Rückzug von der Bühne bekannt gegeben. greenbeltofsound schaut mit sieben eher raren Chansons zurück auf eine 65-jährige Karriere.

 

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