Mit Soul statt Schmäh

Foto: Edwin van der Sande

Wien bringt derzeit viele erstaunliche Bands hervor, unter ihnen sticht das Quartett Elsa um Sängerin Elsa Steixner nochmals mit einer eigenen Klangsprache heraus. Elsa eröffnen das Jazzfestival Freiburg, und veröffentlichen die neue CD Jump! auf dem Freiburger Label Jazzhaus Records. Mit Sängerin und Bandchefin Elsa Steixner habe ich vorab gesprochen.

Elsa Steixner, wie kommt eine Band aus der Weltstadt Wien auf ein Label im beschaulichen Freiburg?

Elsa Steixner: Wien ist zwar eine Weltstadt, aber Österreich doch überschaubar. Wir haben uns ein bisschen umgeschaut und gesehen, dass auf Jazzhaus Records Acts von überall her im Boot sind, und wir dachten uns, das ist ein guter Anker, um die internationale Arbeit aufrechtzuerhalten und gleichzeitig auf Deutsch mit unserem Label kommunizieren zu können.

Sie haben im holländischen Arnhem Jazzgesang studiert, dort auch einige der Bandmitglieder kennengelernt. Wollten Sie Jazzmusikerin werden, oder war die Jazzausbildung von Beginn an nur als Rüstzeug gedacht?

Steixner: Da ich nicht aus einer Musikerfamilie komme, war für mich Musizieren immer etwas sehr Impulsives und Intuitives. Ich habe gemerkt, ich muss mir einen Rahmen schaffen und einen Austausch mit anderen Menschen, deswegen wollte ich studieren. Vom Jazz war ich fasziniert, seit ich zwölf war. Ich dachte am Anfang des Studiums, irgendwann werde ich imstande sein, über jede beliebige Form zu improvisieren. Bis ich dann sehr in sehr kurzer Zeit darauf gekommen, dass das überhaupt nicht mein Ziel ist, die beste Scat-Queen oder so etwas zu werden. Arnhem kam mir entgegen, weil an der dortigen Uni die individuelle künstlerische Entfaltung sehr im Fokus steht. Sie fragen dich: Was willst du eigentlich mit dir machen, regen dich an, eigene Musik zu schreiben.

Ihre Songs, und vor allem die Färbung ihrer Stimme klingen ja auch oftmals eher nach Soul als nach Jazz, an anderen Stellen haben sie viel mit Folk zu tun.

Steixner: Ja, vom Soul komme ich eigentlich her. Etta James, Aretha Franklin, Ray Charles haben mich schon vor Ella Fitzgerald fasziniert, und dann habe ich Nina Simone entdeckt, für die ich bis heute eine ungebrochene Liebe habe. Sie könnte darüber singen, dass sie zum Supermarkt geht, und ich wäre trotzdem total bei ihr. Auf der anderen Seite habe ich immer mehr Zugang zu Joni Mitchell gefunden. Was mich an ihr so überzeugt, ist, dass sie vom Folk kommt, und dann auf jedem Album Neues ausprobiert, sich nie hat einsperren lassen. Immer wieder mit allem zu brechen, das schaffen nicht viele Musiker.

Viele Ihrer Songs haben eine überraschende Struktur, die vom herkömmlichen Schema mit Strophe, Bridge und Refrain weggeht. Auch die Dynamik wird gerne ausgereizt: Oft wird man von er sehr extrovertierten Stimmung in etwas Träumerisches zurückgeworfen, oder umgekehrt.

Steixner: Lustigerweise ist es überhaupt kein Anspruch von mir, so zu schreiben, ich finde Strophe, Bridge, Refrain super. Aber ich habe in vielen Songs ungeplant eine ganze Lifetime untergebracht. Und das Spannendste im Leben ist ja auch Dynamik, das Dasein besteht aus Kontrasten. Dann haben wir in der Band gemerkt: Wow, die Hälfte der Songs auf dem Album hat eigentlich keine klassische Songstruktur. Aber das wir nichts bewusst Angestrebtes, ich bin keine Konzept-Schreiberin.

Würden Sie sagen, im Sound von Elsa steckt auch irgendwas Wienerisches auch drin?

Steixner: Mir wurde tatsächlich mehrere Male nach Konzerten gesagt, man würde ja merken, dass wir aus Wien sind, weil ich mich in den Texten oft humoristisch mit dem Tod auseinandersetze. Könnte sein, dass diese charmante Tiefe schon etwas Wienerisches ist, kann man so interpretieren. Ich mag jedenfalls diese extrem gesunde Art, den Schmerz mit Humor zu umgehen, das macht ihn ja nicht weniger berührend. Einer Wiener Szene zugehörig fühle ich mich aber nicht, denn in Wien ist momentan alles ziemlich auf Hochdeutsch gesungenen Indie-Rock ausgerichtet. In meiner Musik steckt eher noch etwas vom Kärntner-Lied drin, das hat eine Melancholie, die ich extrem einzigartig finde und die wunderschön ist.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe 15.09.2025

CD: „Jump! (Jazzhaus Records)
live: Eröffnungskonzert des Mini-Gipfels beim Jazzfestival, Jazzhaus Freiburg, 20.9., 20h

Elsa: „No Anger“ (live)
Quelle: youtube

Leeds statt London

Foto: Emily Dennison

London ist im britischen Jazz nicht alles: Mit Jasmine Myra eröffnet am 17.9. im Jazzhaus Freiburg eine junge Saxophonistin und Komponistin aus Leeds das Jazzfestival Freiburg. Vorab habe ich mit ihr gesprochen.

Langsam dürfte hierzulande durchsickern, dass die Jazzszene in Großbritannien nicht nur mit Londoner Leuchttürmen wie Nubya Garcia oder Shabaka Hutchings bestückt ist. Nördlich der Hauptstadt – und dafür steht mit dem Schotten Fergus McCreadie ein weiterer Festival-Act – gibt es derzeit viel Entdeckenswertes. „In Leeds bekommen Musikerinnen und Musiker natürlich nicht so leicht Zugang zu einem Label oder Unterstützung durch ein Management. Das hat dazu geführt, dass wir dort einen enormen Gemeinschaftssinn entwickelt haben, alle helfen sich gegenseitig“, so Myra. „Und dabei spielt es keine Rolle, was für ein Genre man pflegt, der Jazz dort fächert sich von Einflüssen aus Hip Hop bis Afrobeat auf.“ Stilistisch, so beobachtet sie, gibt es aber eine klare Tendenz: Während man in London auf Improvisation setzt, bevorzugt man in Leeds durchkomponierte Stücke und ausgefeilte Arrangements. Und das ist auch charakteristisch für ihre eigene Arbeit.

Mehrere Vorbilder waren es, die Jasmine Myra während ihres Jazzstudiums am Leeds Conservatoire prägten. Es kostete sie einige Zeit, um für ihr Instrument, das Altsaxofon, einen Leitstern zu finden: „Ich mochte schon viele Saxophonisten, aber oft war mir ihre Musik technisch zu kompliziert, oder sie hatten eine angeberische Attitüde. Dann hörte ich Cannonball Adderley, und ich stellte fest, dass er einfach und kraftvoll zugleich spielt, dass er Humor hat. Aber was er macht, ist natürlich sehr weit weg von meinen Kompositionen.“ Was die hohe Kunst des Arrangierens angeht, da schwärmt sie vom Kanadier Kenny Wheeler, der mit seinen elaborierten Schichtungen für Large Ensemble wegweisend war. „Wie er Harmonie und Melodie in Beziehung setzt, das ist unglaublich clever.“ Schließlich gibt es eine ausgeprägt lyrische Seite in Myras Kompositionen, die stellenweise fast an die klassischen Komponisten der englischen Spätromantik wie Frederick Delius oder Ralph Vaughan Williams denken lässt. Hier haben ihr die ruhigen Klanggemälde des Isländers Ólafur Arnalds auf die Sprünge geholfen.

Mittlerweile hat Myra ihren eigenen Sound gefunden, und man kann ihn auf dem im letzten Jahr erschienenen Album Horizons erkunden. Ihr Ziel war es, sich mit ihrer Instrumentalmusik von den konventionellen Besetzungen einer Jazzband zu entfernen. Zwei Flöten, Harfe und Streichquartett formen neben Sax, Gitarre, Keys, Bass und Percussion die Textur der Stücke. Unterstützung erfuhr sie vom Produzenten Matthew Halsall aus Manchester, der mit seinem Gondwana Orchestra im Norden Englands seit Jahren ebenfalls einen starken Large Ensemble-Akzent setzt. „Matthew hat ein exzellentes Ohr dafür, was zusammen funktionieren kann. Er hat mich sehr ermutigt, als ich mit der schrägen Idee ankam, eine Harfe ins Ensemble zu integrieren.“ Myra zieht als Ideengeber für den Kompositionsprozess eine riesige Spotify-Playlist hinzu und schreibt ihre Stücke am MIDI-Keyboard, fixiert dann Note für Note. „Ich bin eine sehr visuelle Person und habe gerne alles, was ich entwerfe, vor mir auf dem Bildschirm. Aber nachher lasse ich meinen Musikern auch mal die Möglichkeit, sich vom niedergeschriebenen Arrangement zu entfernen.“

Von dieser spannenden feinen Linie zwischen Freiheit und Fixiertem lebt Horizons. Die Flöten und die Harfe sorgen für pastorale Pastelltöne, die Grooves schmiegen sich an eine tanzbare Downbeat- Philosophie, in den Harmonien gibt es einen spannenden Widerstreit zwischen klassischem Jazz, minimalistischem Pop und dezenten Verweisen auf die Ästhetik der Electronic Dance Music. Dabei ist Myra wichtig, dass trotz opulenter Besetzung eine luftige, transparente Architektur bleibt, kein Wall of Sound entsteht. In Freiburg wird sie das Album mit acht Musikern – inklusive Harfe! – auf der Bühne umsetzen. „Mein Management fragte mich: ‚Jasmine, du willst also tatsächlich mit einem Oktett auf Tour gehen?‘ Und ich sagte: ‚Ja, sicher!‘ Meine Musik braucht eben jeden Musiker, die Stücke würden leiden, wenn man auch nur eine Flöte wegließe!“

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung (Ausgabe vom 13.09.2023)

Infos zum Jazzfestival Freiburg: Jazzfestival Freiburg | Einmal jährlich: Ein einzigartiges Programm mit regionalen sowie internationalen Jazzgrößen und Newcomer*innen (wpcomstaging.com)

Jasmine Myra: „Horizons“
Quelle: youtube