„Was bei uns in so kurzer Zeit passiert ist, ist kaum vergleichbar mit einer anderen Band in letzter Zeit“, sagt Bassist Lukas Kranzelbinder. „Und das meine ich jetzt nicht selbstlobend, sondern einfach euphorisch, begeistert darüber, wie das alles explodiert ist.“ „Bei uns“, das heißt beim Septett Shake Stew, in dem sich mit hochsolistischem Bläsersatz sowie doppelt besetztem Schlagzeug und Bass eine neue Jazzdimension öffnet. Eine, die arabische Farben und afrikanisches Flair einbezieht, die Filigranes mit Funk und Free verknüpft. Regelmäßig rastet das Publikum bei Shake Stew-Shows aus, bekundet seine Sympathie mit „Schreien von ganz innen“, wie Kranzelbinder erzählt, mit Komplimenten wie „eure Musik kann die Toten erwecken“.
Was ist das Geheimnis dieses jungen Haufens exzellenter Musiker, in denen Persönlichkeiten von der Steiermark bis Hamburg aufeinanderclashen? Zunächst ist es die harte Arbeit am Arrangement. Nachdem Kranzelbinder die Stücke geschrieben hat, arbeiten die Bandmitglieder von der vierköpfigen Rhythm Section ausgehend detailliert an den Grooves und Patterns. „Ich gebe zunächst ganz klar alles vor, und ich bin auch der Leader, aber was dann musikalisch passiert, ist das Ergebnis eines Kollektivs“, sagt der 31-jährige Klagenfurter. Dieses Ergebnis ist derzeit nicht nur auf der Bühne zu belauschen, sondern auch auf dem Magnum Opus der Band, „Gris Gris“, ihr drittes Werk, das während eines intensiven zweitägigen Studio-Flows in eine Doppel-CD ausgeufert ist.
„Klar, ich mag schon die frühe Phase von Dr. John und sein Debütalbum ‚Gris Gris‘“, preist Kranzelbinder die im letzten Sommer verstorbenen New Orleans-Ikone. „Aber wir beziehen uns auch auf den Begriff, der viel älter ist: Er bezeichnet in etlichen Kulturen ja ein Objekt, einen Fetisch, der Energie verleiht, ganz wie in unserer Musik.“ In den mitunter 15 Minuten und mehr dauernden neuen Stücken offenbaren sich tatsächlich spiralförmige Steigerungen, die zuweilen in Ekstase münden können. Da entlädt sich in „I Can Feel The Heat Closing In“ eine hitzige Jagd zwischen Swing und Free zu epischen Trompeten- und Saxophonsoli. New Orleans und zugleich der Miles der Cool-Ära lugen in „No More Silence“ durch die Blechtextur.
Mit geheimnisvollem Mäandern und anschließender Sax-Ekstase wird in „You Let Go You Fly“ den Rhythmen der marokkanischen Gnawa-Bruderschaften gehuldigt. „Für mich ist die Musik der Gnawa wahnsinnig magisch“, sagt Kranzelbinder. „Seit ich begonnen habe, die archaische Gnawa-Laute Gimbiri zu spielen, hat das auch meinen Zugang zum Bass verändert. Und ich kann mich sehr gut mit dem Trance-Aspekt identifizieren: Da werden ja die Geister angerufen, und ich bin der Überzeugung, dass Musik dazu da ist, die Menschen zu erhöhen, sie ‚raufzubringen‘.“ „Raufgebracht“ werden die Hörer auch mit einem epischen Stück wie „Grilling Crickets“, das er bei großer Hitze als Spannungsbogen zwischen Sahel-Blues und der Saitensprache eines Bill Frisell komponierte und das schließlich in Disco-Flair mündet. Für die Bühne dürfte das jede Menge Zündstoff geben. Wie fasst Kranzelbinder das Erlebnis einer Shake Stew-Show zusammen? „Unglaubliche Konzentration und Fokus, gepaart mit körperlicher Energie am Limit.“
© Stefan Franzen, dieser Artikel erschien in der bz basel, Ausgabe 09.01.2020
Radiotipp: am 14.1. sendet SRF 2 Kultur in der Sendung „Jazz & World aktuell“ meinen Beitrag mit dem Interview mit Lukas Kranzelbinder ab 20h, hier im Live-Stream
live: 14.1. Theaterforum Gauting, 16.1. Moods Zürich, 17.1. Sudhaus Tübingen, 18.1. Kulturtreff Baudergraben Altdorf bei Nürnberg