Foto: Neil Smith – Flickr, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=35142689
Was macht die Faszination dieser „Romanze“ aus, wie RVW sie selbst betitelte, was macht sie zum derzeit beliebtesten Klassikstück in England überhaupt? Jennifer Pike hat versucht, das zu erklären:
Why Does Everyone Love The „Lark Ascending“?
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Ich kann Vieles unterschreiben, was Jennifer sagt. „The Lark Ascending“ ist eines der dankbarsten Stücke für Geigerinnen und Geiger. Es kostet sowohl im meditativen Ausdruck als auch in der Virtuosität das Instrument vollkommen aus, man kann sich in einigen Passagen während des Spielens buchstäblich auf die Violine setzen und mit ihr wegfliegen. Denn genau darum geht es: RVW beschreibt den Flug einer Lerche, die sich im Sommerhimmel immer höher schraubt. Dabei bildet er sowohl ihre flatternden, kapriolenhaften Bewegungen als auch ihren trillernden, silbernen Gesang ab. Beide hat auch der Dichter George Meredith in der gleichnamigen poetischen Vorlage bewegend in Verse gefasst. Um das abzubilden, hat RVW lange Solopassagen komponiert, in denen das Orchester nur einen fernen Bordun liefert, als ob irgendwo da unten noch ein paar Geräusche gen Himmel empordringen, die aber bald auch ersterben. In solchen Stellen ähnelt das Stück fast der langsamen, improvisatorischen Einleitung eines indischen Raga. Doch dann gibt es auch wieder Passagen, in denen der Komponist von der Strahlkraft seiner orchestralen Farbpalette Gebrauch macht.
Für mich ist „The Lark Ascending“ allerdings mehr als eine Naturromanze. Der Flug der Lerche in immer höhere Höhen, die am Ende der Komposition auch Lagen erklimmen, die auf einer Geige gerade noch so einigermaßen darstellbar sind, hat auch eine spirituelle Note: das unbeschwerte Hinübergehen in eine grenzenlose, schwerelose Sphäre, die nicht mehr von dieser Welt ist. Ich habe „The Lark Ascending“ viele Monate geübt, die langen 32tel-Tonketten und die Doppelgriffe sind anspruchsvoll. Die wahre Herausforderung ist aber, den Flow, die musikalische Thermik zu schaffen, auf der die Lerche emporsteigen kann. Irgendwann konnte ich es dann so einigermaßen spielen, mit etlichen Sinkflügen, auf denen sich die Lerche wieder berappeln musste. In der Akustik eines Zimmers hört sie sich allerdings schal und spröde an. Deshalb bin ich auch mal in eine Kirche oder sogar raus aufs Feld. Das Stück braucht diesen „sustain“.
Es gibt unzählige Versionen des Stücks, von Pinchas Zukerman über Nigel Kennedy bis Hilary Hahn, auch die ursprüngliche Besetzung nur mit Klavierbegleitung ist in jüngerer Zeit etwa von Matthew Trusler und Iain Burnside eingespielt worden. Die Lerche hat auch Popmusiker inspiriert, etwa Kate Bush in ihrem 1989 erschienenen Stück „The Fog“ (mit Nigel Kennedy an der Violine), oder das Worldbeat-Duo Loop Guru in seinem Stück „Tam Duugi“. Ich habe untenstehend eine Interpretation mit der britischen Geigerin Nicola Benedetti und dem LPO ausgesucht. So aktiv die Lerche musikalisch ist, so bestürzend ist ihr Rückzug in der Natur. Um die Feldlerche hierzulande zu unterstützen, bietet der NABU Projekte an, bei denen sich jede/r engagieren kann.
Am 14. Juni vor 100 Jahren ist die Lerche in Londons Queen’s Hall – nach ihrer kammermusikalischen Uraufführung mit Violine und Klavier – zum ersten Mal mit Orchester geflogen, in Gestalt der Violine der Elgar-Schülerin Marie Hall und dem British Symphony Orchestra unter der Leitung von Adrian Boult. „The Lark Ascending“ beweist: Die Geige kann fliegen, und sie kann Zeit und Raum außer Kraft setzen. Und noch etwas zeigt dieses Stück: Vaughan Williams begann die Komposition bereits 1914 und musste im 1. Weltkrieg die Arbeit daran unterbrechen. Als Sanitäter in Frankreich hat er grauenhafte Dinge gesehen. 1920 komplettierte er die Arbeit: Die Lerche erhob sich aus der Verwundung.
© Stefan Franzen