
(alle Fotos © Stefan Franzen)
Ledisi & Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt
Heidecksburg Rudolstadt
04.07.2025
„We can’t be silent anymore“, heißt es in einer Textzeile, die sie kraftvoll in den thüringischen Nachthimmel hineinbettet. An dieser Stelle, die man am amerikanischen Nationalfeiertag natürlich bedeutungsschwanger aufladen kann, wenn man will, liegt ihr das Publikum längst zu Füßen. Ledisi Anibade Young, kurz Ledisi, zählt zu jenen Soulsängerinnen, die besonders bei uns oft unterm Radar der hochgepushten Queens hindurchgesegelt ist. Dabei lohnt es sich, ihr Werk zu erkunden: Denn da gibt es nicht nur den Grammy-Song „Anything For You“ (2020) zu entdecken, auch eine berührende Album-Hommage an Nina Simone, ein Teamwork mit Prince und nicht zuletzt ihre Rolle als Gospelsängerin im Film „Selma“. Ihre Klangsprache ist dabei in den letzten beiden Dekaden auch nicht frei von cool konfektioniertem Neo-R&B gewesen.
Ihre Stimme aber, sie ist über jeden Zweifel erhaben, und sie trägt im symphonischen Ambiente grandios. Ledisis Erfahrungen mit Orchestern reichen zurück bis ins Alter von acht Jahren, als sie mit dem Symphony Orchestra ihrer Heimat New Orleans einen ihrer ersten Auftritte absolvierte. Erprobt von Tuchfühlungen mit portugiesischen bis chinesischen Musikerinnen und Musikern erweisen sich an diesem denkwürdigen Abend die Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt unter Oliver Weder als Traumpaarung mit der Amerikanerin. Soul und Klassik im Epizentrum des größten deutschen Folk- und Weltmusik-Events – ein Wagnis, das nicht nur aufging, sondern zum ganz großen Highlight in der gesamten Festivalgeschichte wird.
Das liegt an einer Akteurin, die vokal an diesem 4. Juli Meisterin über alle Timbres ist: In ihren Nina Simone-Adaptionen aufrichtig earthy, waidwund in Brels „Ne Me Quitte Pas“, fast schwerelos in Harrisons „Here Comes The Sun“, mit bitterböser Raserei in „I Put A Spell On You“. Es gibt zahllose Augenblicke, die einem allein durch die physische Wucht ihrer Shouts Tränen in die Augen treiben: Wo holt sie diese Spitzentöne her, aus welcher Welt klaubt sie diese Schleifen in Aretha Franklin-verdächtigen Lagen?
Das Erhabene dieses Abends ist aber zu gleichen Teilen Beitrag eines Klangkörpers, der kongenial mit Ledisi zu atmen versteht: Die Streicher flirren und seufzen, swingen und jagen, in der Bläsersektion gibt es fulminante Dialoge mit der Protagonistin von Posaune, Sax und Trompete – und besonders von der E-Gitarre kommen mehrfach fein modellierte Interludien.
Diese Show ist ein einziges großes Glücksgefühl, da es wirklich keine Leerstellen gibt, alles wohldosiert zwischen orchestraler Bigband-Wucht und intimen Zwiesprachen balanciert. Und in diesen stilleren Momenten, in denen Ledisi mit dem Flügel und der Rhythmussektion in hellwachem Kontakt steht, offenbart sie eine Kopfstimme, die mit ihren still leuchtenden Farben übers Soul-Fach in klassische Qualitäten hineingreift. Während Simones „Wild Is The Wind“ gehorchen ihr sogar die Glocken des Elfuhr-Schlags, die tonart- und taktgerecht einstimmen. Man wünscht sich, dass diese Frau die perverse Verbrecherclique, die ihr Land im Griff hat, mit ihrer Stimme hinwegfegen könnte – und auf einer Metaebene hat sie es auch getan.
Mit der letzten Zugabe wandelt sich die Burg zur Kirche: „Precious Lord“ setzt einen tief gospelgetränkten Schlusspunkt, der zu Ledisis Wurzeln hinab- und zugleich ins Himmlische entführt. Dann zieht sie ihre goldenen Absatzschuhe aus und schreitet barfuß in die Sommernacht. Und zum ersten Mal ist da ein Gefühl, dass Arethas verwaister Thron doch nicht für alle Zeiten leer bleiben muss.
© Stefan Franzen