„Der Vers vermag es, Welten in die Welt zu schleudern“, schrieb er in seiner bekenntnisreichen Komposition „Livros“. Nach 55 Jahren Karriere und ebenso vielen Alben hat der Begründer des Tropicalismo, jener experimentellen Erneuerungsbewegung der brasilianischen Popmusik, seinem Publikum viele Welten entgegengeschleudert, doch die ein oder andere auch schmeichelnd und zärtlich in den Schoß gelegt. Caetano Veloso hat mich begleitet, seit ich in den 1990ern meine Liebe zur brasilianischen Musik entdeckt habe. Heute geht an ihn ein um einen Tag verspäteter Gruß zum 80. Geburtstag.
Mit zwölfköpfigem Orchester und einem sehr perkussiven, von der Trommelmusik Bahias geprägten Unterbau habe ich ihn am 4. Juni 2000 im Stadtcasino Basel gesehen. Er fühlte sich klimatisch sehr zuhause, schon damals gab es auch Anfang Juni Temperaturen weit über 30 Grad. Einer der Titel, die mir damals sehr gut gefallen haben, war „Mel“ (Honig). Wie ich für die Badische Zeitung schrieb, ein „überschäumender Liebestrank. Die Gabe der Inspiration kann man in seiner reichen Mimik ablesen: Selten strömt eine solche Leuchtkraft aus Mund- und Augenwinkeln.“
Als Gruß an den großen alten, aber immer auch alterslosen Nestor der modernen brasilianischen Popmusik und Dichtung also hier „Mel“ mit einem honigsüßen Text: „Oh Bienenkönigin, mach aus mir ein Werkzeug deines Vergnügens und deines Ruhms. Denn wenn die Nacht sich in komplette Dunkelheit hüllt, probiere ich von der Wabe deines Honigs, grabe ich mich in die ungeschützte Klarheit des Himmels und umfasse die Sonne mit meiner Hand“.
Caetano Veloso: „Mel“ (live 1998)
Quelle: youtube