Entgrenzter Schumann

Foto: Gregor Hohenberg

Johanna Summer
Fuge trifft Fuge, Denzlingen
17.10.2020

Eine Trias der Künste lässt Goran Kojic in seinem Ladengeschäft aufeinander wirken: Coronen-Stelen von Michael Bögle und Bilder von Anke Rösner umgeben den zentral platzierten Flügel, an den der Fliesenlegermeister und Pianist seit 2019 regelmäßig Musiker bittet. Nach acht Konzerten ist die passend betitelte Reihe „Fuge trifft Fuge“ bestens eingeführt, wird auch in Corona-Zeiten gut angenommen. An solchen Abenden wie diesem, an denen er seine beiden Passionen Handwerk und Klang in warmer Wohnzimmeratmosphäre vor Publikum zusammenführen kann, gehe ihm das Herz auf, sagt Kojic, der erkennbar für seine Sache brennt. Und es ist ihm mit Johanna Summer gelungen, eine Starpianistin der jungen deutschen Szene nach Denzlingen zu locken, um ihr neues Schumann-Soloprogramm zu präsentieren.

Sich im Beethoven-Jahr um Robert Schumann zu kümmern – schon fast eine kleine Rebellion. Doch die Zeit dafür war reif, so Summer im Vorgespräch. Was die unweit vom Geburtsort des Komponisten, Zwickau, aufgewachsene Plauenerin fasziniert: Seine Stücke aus den „Kinderszenen“ und dem „Album für die Jugend“ sind wie Abbilder eines Zustandes, kaum haben sie begonnen, sind sie schon wieder vorbei. Und so seien sie für eine fantasievolle Adaption, ein entgrenztes Fortspinnen viel eher geeignet als etwa eine Bach-Fuge oder eine Beethoven-Sonate.

Ein unendliches, aufregendes Spielfeld für die Mittzwanzigerin, die vom klassischen Unterricht ins Jazz-Studium einbog. Dabei legt sie das althergebrachte Schema von Thema und anschließender Improvisation ad acta: Zwei meist gegensätzliche Charaktere aus den Schumann-Alben verklammert sie an einer sehr langen Leine. Es ist, als flöge der Hörer in eine dichte Klangwolke aus freien, flüchtigen Schumann-Radikalen, die sich vorübergehend zu ihren bekannten Molekülen ordnen.

Etwa in „Glückes genug“ und „Erster Verlust“. Die fallende Melodiebewegung füllt Summer mit Swing-Feeling, parfümiert sie mit Blue Notes, bis unvermittelt, aber doch organisch erwachsen, das Originalthema dasteht. Das Doppel aus dem „Haschemann“ und dem „Ritter vom Steckenpferd“ gestaltet sie mit querständigen Ostinati, baut daraus einen wippenden Groove, lässt einen fast abrupten Schluss zu. Summers Impro-Strecken haben sowohl „jazzy“ Anmutungen, greifen aber genauso beherzt in den virtuosen Werkzeugkasten spätromantischer Konzertkadenzen. Am verblüffendsten gelingt ihr der Spagat zwischen „Knecht Ruprecht“ und der „Träumerei“, zwei hassgeliebte Ohrwürmer jeden Klavierschülers: Die täppischen Sechzehntelfiguren des Nikolaus-Gehilfen wandelt sie zu dräuend monströsen Blockakkorden, mit packender Physis lotet sie den Bassraum aus. Und dann hält man den Atem an, wie sich die immer zartere Melancholie vorarbeitet, das „Träumerei“-Thema schließlich von aquatisch schimmernden Linien umflossen wird. Großer Applaus für fantastische Stil-Verfugungen.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe vom 19.10.2020

fuge-trifft-fuge.de
nächste Termine: Thomas Bauser, 1.11., Rainer Böhm, 6.12.

Johanna Summer: „Knecht Ruprecht – Träumerei“
Quelle: youtube