Matt Holubowski (Québec)
aktuelles Album: Solitudes (Audiogram)
Zwei Wochen nach meiner Rückkehr aus Kanada beginne ich heute eine Serie über aktuelle Musiker des Landes. Bis zum 1.7., dem 150. Geburtstag des Dominion, der oft als Wiege des heutigen Staates gesehen wird, kommen hier ungeschnitten Künstler aus vielen kanadischen Provinzen zu Wort, um ihre Arbeit vorzustellen und teils auch einen distanzierten, kritischen Blick auf die Feierlichkeiten zu werfen. Jeden Sonntag wird es ein neues Kapitel geben, bevor meine Serie dann ab Juni auch in verschiedenen Printmedien und Radios Thema ist.
Matt Holubowski macht den Anfang. Den 28-Jährigen habe ich auf dem Festival Montréal en Lumière getroffen, wo er die Eröffnung im ausverkauften Club Soda gespielt hat. Matt, Sohn eines polnischen Einwanderers und einer Quebecoise ist kein gewöhnlicher Popstar, obwohl er die kanadische Version von The Voice gewonnen hat. Der belesene Sturm- und Drang-Poet steht für die doppelte Identität Québecs und Montréal, die kreativen Brüche und Früchte, die die einmalige zweisprachige Situation von Montréal und Umgebung verursacht.
Holubowski: Wie ich einen Song forme, hängt von der Situation ab, in der ich gerade bin. Wenn ich zum Beispiel ein englisches Buch lese und dieses mich inspiriert, dann wird der Song auf Englisch sein. Schaue ich einen französischen Film gilt das gleiche. Gewöhnlich kommen die Ideen auf Englisch leichter zu mir, ich habe einen etwas größeren Hang zum Anglophonen, was meine Vorlieben für Kultur und Literatur angeht. Aber wenn in einem Gespräch irgendetwas in einer der beiden Sprachen passiert, kann auch das ein Auslöser für einen Song sein.
Gibt es in der Provinz Québec einen Wettbewerb zwischen anglo- und frankophonen Musikern? Ist da noch eine Segregation zu spüren?
Holubowski: Vor allem was die Musiker angeht, gibt es viel mehr Bemühungen um Zusammenarbeit als um Trennung. Die Musiker, die in den Bands der Singer/Songwriter spielen, überschreiten die Grenzen der englischen und französischen Communities. Was den Markt angeht, ist die Trennung noch da: Es ist viel schwieriger für anglophone Musiker, sich in Québec zu behaupten, denn sie sind in der Minderheit. Frankophone Musiker bekommen erheblich leichter Unterstützung von der Regierung. Es gibt nur drei oder vier Presseorgane in englischer Sprache, die alles abdecken müssen, ihr stehen eine Vielzahl französischer Medien gegenüber. Da ich aber in beiden Lagern tätig bin habe ich die Möglichkeit, in beide Welten hineinzutauchen.
Gibt es deiner Meinung nach einen typischen Montréal-Sound?
Holubowski: Ich denke auf jeden Fall. Es gibt diesen seltsamen Indie-Rock-Sound, aus dem Projekte wie Arcade Fire hervorgingen. Grunge, Alt-Rock, Folk, diese Richtung. Was den Sound hier so interessant macht, ist ja gerade die Sprachentrennung, und dass Künstler aus beiden Reichen miteinander spielen und Ideen austauschen. Das gibt es sonst nirgends in Kanada.
Du hast in Paris studiert. Viele kanadische Musiker gehen nach Paris, um neue Impulse für ihre Karriere zu finden. Hat das einen bleibenden Effekt auf dich ausgeübt?
Holubowski: Paris war mein erster Trip, doch zu dem Zeitpunkt war Musik noch nicht so ein wichtiger Bestandteil meines Lebens. Ich war dort für ein Auslandssemester während meines Politikstudiums. Doch dort habe ich zum ersten Mal live gespielt, in einem Pub an der Seine, und das hat zu den ersten Skizzen für Songs geführt. Die anschließenden Reisen haben mich musikalisch mehr beeinflusst, denn die haben einen größeren Kulturschock verursacht, Uganda, Taiwan, Nicaragua.
Dein erstes Album Old Man handelte vom Altwerden. Ungewöhnlich für einen Twen…
Holubowski: Die Idee hatte ich kurz vor meinem Parisaufenhalt, da war ich 21. Ich bin in einer kleinen Gemeinde namens Hudson aufgewachsen, der Plan war, den traditionellen Weg zu durchlaufen, Highschool, Universität, einen guten Job bekommen, ein Haus kaufen, zwei Autos, zweieinhalb Kinder bekommen. Der amerikanische Traum, den offensichtlich jeder um mich herum wollte, und den ich wohl deswegen auch wollte. Mit 21 schien das alles zu sein, auf das ich mich freuen konnte, alles war eingerichtet, jeder Schritt schien schon festgelegt zu sein. Und während ich mir das überlegte, fühlte ich mich sehr alt und ich hatte das Bedürfnis, etwas dagegen zu tun. Deshalb ging ich ins Ausland, und seitdem hat mich das Reisefieber fest im Griff. Jetzt bin ich 28 und fühle mich jünger als je zuvor.
Matt Holubowski: „Old Man“
Quelle: youtube
Du singst mit einer hohen, falsettartigen Stimme. Eine Tendenz, die sich unter Songwritern sehr oft zeigt heutzutage, ich verweise auf William Fitzsimmons oder Bon Iver. Fühlst du dich dieser Bewegung, falls es eine solche ist, zugehörig?
Holubowski: Wenn ich mich zu diesen Künstlern zählen kann, dann ist das ein Privileg. Sie zählen auf jeden Fall zu meinen Einflüssen, bis ich meinen eigenen Stil gefunden hatte. Dann hast du Ben Howard, James Vincent MacMorrow, City In Colors. Das ist die Richtung, die die Folkmusik jetzt genommen hat, und da ich aus dieser Generation bin, wuchs ich in diesem Gehege auf. Der größte Einfluss unter den Bands, die diese vokale Textur haben, sind jedoch ohne Zweifel Radiohead.
Du hast gerade das Stichwort „Folk“ erwähnt. Tatsächlich hast du in deinen ruhigeren Stücken ja einen ausgefeilten Fingerpicking-Stil auf der Gitarre. Würdest du dich denn als Folkmusiker bezeichnen?
Holubowski: Mit den Genres ist es sehr kompliziert geworden. Vor 20, 30 Jahren war das einfach, du hattest Rock, Folk, Pop und Jazz. Heute hast du Folk, Alternative Folk, Folkpop. Für meine erste Platte gilt die Bezeichnung purer Folk noch, denn meine größten Einflüsse waren Dylans frühe Platten. Jetzt steuere ich Richtung Alternative, ein Begriff, den man über die ganze Montreal-Szene drüber schreiben könnte. Mein Fingerpicking ist definitiv folky, es ist beeinflusst voon Dylan, von The Tallest Man On Earth, von Ben Howard. Ihm folge ich auch, was die Entwicklung von Folk hin zu atmosphärischeren Sounds angeht.
Hast du dich während des Schreibprozesses zur neuen Platte einsam gefühlt und deshalb den Titel Solitudes gewählt?
Holubowski: Ich glaube nicht, dass ich mich einsam fühlte, während ich die Songs schrieb. Vielleicht an manchen Tagen, aber jeder fühlt sich mal einsam, und das ist eine gute, gesunde Sache. Doch die Platte ist von einem Buch namens Two Solitudes von Hugh MacLennan inspiriert. Dieser Autor war in den 1920ern unter den Anglophonen sehr beliebt, denn dieses Buch beschreibt die Spannungen unter den Anglo- und Frankophonen. Es ist eine Liebesgeschichte, in der sich eine englischsprachige Frau in einen frankophonen Mann verliebt. Eine klassische Romeo- und Julia-Situation, denn die Eltern sind aufgrund der verschiedenen Herkunft nicht mit der Liaison einverstanden. Um diese Geschichte begann ich, Solitudes zu entwickeln, da die Sprache immer noch ein sehr strittiges Thema ist, vor allem in der französischen Gemeinschaft, in der ich, was meine musikalische Anhängerschaft angeht, angesiedelt bin. Ich wollte kein ausgesprochen politisches Album machen, deshalb hatte ich die Idee, über diese verschiedenen Formen der Einsamkeit zu sprechen. Als ich in Serbien war, fiel mir die nationale Einsamkeit auf, die das Land gegenüber seinen Nachbarn empfand, die früher alle zusammen Jugoslawien waren. Außerdem las ich ein Buch über Einkerkerung und ich dachte an die Einsamkeit eines Gefangenen. Ein paar Monate später schloss ich mich in einer Hütte im Wald ein, um die Batterien wieder aufzuladen. Das war eine positive Einsamkeit. Das Album ist am Ende also eine Reflexion aller positiven und negativen Formen von Einsamkeit geworden.
Der Song „The Warden & The Hangman“ ist eine sehr intensive Geschichte über einen zum Tode Verurteilten. War das erwähnte Buch über Einkerkerung der Auslöser dafür?
Holubowski: Das ist von Papillon inspiriert, der Geschichte über Gefangene in Frankreich, die auf das Devil Island geschickt werden. Das entfachte in mir die Idee der Einsamkeit des Gefangenen, und Monate später stolperte ich über die Website goodbyewarden.com, die glaube ich immer noch existiert. Da geht es um Proteste aller Art gegen Todesurteile in Texas. Diese Seite sammelte alle letzten Worte, die die Gefangenen an ihren Wärter gerichtet haben. Ich musste an die Fälle denken, in denen der Verurteilte unschuldig ist. In meinem Songs geht es um zwei Brüder, der eine ist auf der Besucherseite, der andere im Hinrichtungsraum. Beide, der Wärter und der Henker wissen, dass sie einen Fehler begehen, und der Gefangene vergibt beiden, für das Verbrechen, das sie begehen werden und mit dem der Bruder ab jetzt leben wird müssen.
In „Opprobrium“, das man mit „Beschämung, Schande“ übersetzen könnte, sprichst du vom Jahr 1939. Nimmt der Text Bezug auf den Zweiten Weltkrieg?
Holubowski: Da geht es um den Aufstieg eines ganz aktuellen Politikers, den wir alle erst verlacht haben. Aber je mehr wir ihn verlacht haben, desto größeren Raum und Aufmerksamkeit hat er durch die Medien bekommen, und weil wir ihn nicht ernst genommen haben, wurde er der 54. Präsident der Vereinigten Staaten. Ich mache mir das also selbst zum Vorwurf, wie es alle sollten, die denken, dass der nicht ins Amt gehört. So habe ich diese Geschichte über einen großen orangefarbenen Ballon geschrieben. Der Vergleich mit 1939 wurde oft gemacht, aber ich wollte es nicht zu augenscheinlich herausarbeiten. Aus heutiger Sicht weiß ich mehr und ich denke, es ist ein gefährlicher Vergleich, heute würde ich die Zeile so nicht mehr schreiben.
Lässt du dich beim Schreiben von der Natur beeinflussen? Denn Songs wie „Wild Drums“ oder „The Folly Of Pretending“stecken voller romantischer Landschaftsbilder.
Holubowski: Hudson, wo ich herkomme, ist ein wunderschöner Ort, an dem es verschiedene Naturpfade gibt, einen Strand am Lake of the Two Mountains. Ich wuchs also sehr naturorientiert auf. Auch auf meinen Reisen sehe ich natürlich die Schönheiten der Landschaften, das ist ein Teil meines Reisevergnügens.
Die Verse zu „L‘Imposteur“ haben mich sehr beeindruckt. Ist das die Rede eines Künstlers, der glaubt, dass er den Erfolg nicht verdient hat und jetzt von Selbstzweifeln aufgefressen wird?
Holubowski: Wenn ich auf Französisch schreibe, bin ich nicht so sicher wie im Englischen, und es ist schwieriger für mich, nicht so offensichtlich zu sein. Ja, so fühlte ich mich zu der Zeit, wie jemand, der sehr schnell sehr viel Aufmerksamkeit bekommen hat, und es war schwierig für mich, damit zurecht zu kommen. Jeder in solch einer Situation fängt an, sich selbst in Frage zu stellen. Die Bedeutung des Songs ist für mich, dass ich als Anglophoner fast als Einziger in der frankophonen Szene existieren kann. Auch wenn ich bilingual aufgewachsen bin und beide Sprachen fließend spreche, geht alles aus der französischsprachigen Kulturszene komplett an mir vorbei. Der kulturelle Kanon der Franko-Kanadier, seien es Filme, Bücher, Musik, ist mir völlig unbekannt. Es ist bizarr, in dieser Szene zu arbeiten, in der ich ein bisschen wie ein Außerirdischer bin. Aber das ist OK, ich komme damit zurecht!
© Stefan Franzen