Joy, das Berliner Gleisdreieck hat nicht nur eine wechselvolle Geschichte seit über einem Jahrhundert, es ist auch in die „Die drei Detektive“ oder Udo Lindenbergs „Sonderzug nach Pankow“ verewigt. Du bist in diesem Areal aufgewachsen – warum gerade jetzt die Widmung an diesen Ort?
Joy Denalane: Das Album war schon fertig, hatte aber noch keinen Titel. Eines Morgens bin ich mit der U-Bahn am Gleisdreieck vorbei gekommen und hatte die Eingabe, dass dieser Titel gleich auf mehreren Ebenen passt: Zum einen bin da ich mit meiner DNA begründet, zum anderen ist es auch eine Metapher: Diese Gabelung, an der man um- und aussteigt, sich begegnet und verabschiedet, immer mit der Möglichkeit des Zurückkehrens. Das fand ich poetisch und treffend.
Und das symbolisierte Gleisdreieck in der Cover Art ist auch die Flagge Südafrikas, wo dein Vater herstammt..
Denalane: Genau, es ist ein verwaschener Hinweis in Schwarz-Weiß auf die Herkunft. Man kann das Gleisdreieck mit seiner Geschichte auch als Spiegelbild meiner selbst sehen, mit dem ganzen biographischen und musikalischen Wandel, den ich durchlaufen habe.
Um im Eisenbahnerjargon zu bleiben: Dein Versuch, eine Platte im Stil von Ike & Tina Turner aufzunehmen, war ein Abstellgleis. Warum hat das nicht geklappt? Ist der Seventies-Soul, dem du ja mit „Born And Raised“ ein ganzes Album gewidmet hast, nicht mehr interessant, wo jetzt jeder auf die Retrowelle aufspringt?
Denalane: In so großen Zusammenhängen würde ich das nicht mal sehen. Es war eine Ahnung, dass es ein Abziehbild davon sein konnte, was ich schon mal gemacht hatte. Daran waren nicht die Produzenten oder Songschreiber Schuld, ich fand es einfach nicht passend, deshalb habe ich es komplett verworfen. Aber gleichzeitig habe ich mich gefragt: Wie kann mein Weg jetzt weitergehen? Das hieß auf keinen Fall, das Team über Bord zu werfen, aber es erweitern und meine Dynamik ändern, mit Leuten arbeiten, die bisher vielleicht nur eine Ahnung von meiner Musik hatten. Das war die richtige Entscheidung, denn dadurch kam ich in die Situation, meine Gedanken neu zu formulieren. Ich wollte inhaltlich wahrhaftig bleiben, ohne die Leute in den Texten mit meinen Privatgeschichten zu überfordern.
In den Songs auf „Gleisdreieck“ geht es um die verschiedensten Alltagssituationen, es geht um das Auf und Ab von Liebesbeziehungen, um das Aufwachsen der Kinder, die Trauer um die Mutter – auf einer sehr poetischen Ebene, in der sich jeder Hörer wiederfinden kann.
Denalane: Das hängt sicherlich mit dem Wissen zusammen, dass ich keinerlei Antworten liefern kann. Es ist das, was ich gerade erlebe, und ich versuche einen Sinn darin zu finden. Daher sind die Songs nicht so explizit mit Personen aus meinem persönlichen Umfeld verknüpft.
Du singst mit einer erhöhten Empfindsamkeit, es scheint mehr um Poesie zu gehen als um Demonstration vokaler Virtuosität.
Denalane: Ja, absolut. Eines meiner Ziele war zu gucken: Was passiert, wenn ich diesen Stuck der Virtuosität abschlage, nicht sportlich und ambitioniert singe, nicht über die Skills komme. Das war gar nicht so einfach, denn man hat sich über die Jahre einen Stil angeeignet und ist darin auch gefangen. Die Aufgabe war, minimalen Aufwand zu betreiben, was das Technische betrifft und einfach der Melodie zu vertrauen.
Es gibt Fans, die mit dir seit den Freundeskreis-Zeiten aufgewachsen sind, aber mittlerweile ist eine ganz neue Generation an deutschen HipHoppern herangewachsen, wie Rin, Eunique und Ahzumjot, mit denen du jetzt auch arbeitest. Möchtest du dir dadurch neue Publikumskreise erschließen?
Denalane: Würde ich so nicht sagen. Ich bin ganz einfach immer schon HipHop-Fan gewesen. Eunique habe ich zum ersten Mal über meinen Sohn mitbekommen und ich fand sie begabt und superspannend. Es ist also schon so weit, dass sich meine Kinder mit mir austauschen über Musik! Auf der anderen Seite ist es einfach auch die Liebhaberei: HipHop ist von jeher eine meiner musikalischen Säulen und da bin ich im Hier und Jetzt.
Ganz am Ende von „Gleisdreieck“ gibt es den sehr berührenden, ganz akustischen Song „Zuhause“. Das ist ein Gespräch mit deiner verstorbenen Mutter. Wie würdest du Zuhause für dich heute definieren?
Denalane: Berlin ist mein Zuhause, und im weiteren Sinne Deutschland. Der irt, an dem ich mich im großen und Ganzen immer sicher gefühlt habe.Aber die Ausschläge nach rechts kann ich nicht ignorieren. Und dass Stimmungen zum Geschoss werden können, das wissen wir ja.