„Die Schweiz braucht eine klare Vision“

sophie hunger - supermoon

Eigentlich wollte sie nach einem unaufhaltsamen Überflug von sechs Jahren eine Auszeit in den Staaten nehmen. Doch in Kalifornien fing Sophie Hunger gleich wieder an Songs zu schreiben. Auf dem Marktplatz Lörrach stellt sie beim Stimmen_Festival am kommenden Samstag, 18.7. das Resultat, ihr Album „Supermoon“ vor. Ich habe mit ihr über das neue Werk, ihre Zeit in den USA, die Männer in Berlin und ihre Sicht auf die Schweiz gesprochen.

Auf dem Cover sieht man Sie durch eine Art Folie leuchten und Sie halten eine E-Gitarre. Es ist so krass verschieden von dem letzten, warmen Cover mit den Glühbirnen – spiegelt dieses Cover Ihr neues Lebensgefühl wider?

Hunger: Wow, was für eine Frage! Ich glaube, es spiegelt einfach die Musik wider, die auf dem Album ist. Es hat mehr, naja, Gitarren (lacht). Wir haben das schwarz-weiß gemacht und der Grafiker hat darüber gemalt und immer wieder die Farbe trocknen lassen. Er hat ziemlich lange daran gearbeitet, das ist alles analog.

Aber die Lederjacke und diese Headbanging-Pose: Wollten Sie denn das Image der Songwriterin zugunsten eines Rockerimages loswerden?

Hunger: Wir haben uns nichts übers Image überlegt, wir haben einfach Fotos gemacht und von der Serie haben dann drei am stärksten gewirkt, die man sich immer wieder anschauen wollte. Aber das war nichts, was mein Image beeinflussen sollte.

Die Songs für „Supermoon“ haben Sie in in Kalifornien begonnen. Wieviel von Kalifornien, auch von der ganzen psychedelischen Tradition Kaliforniens, von den Byrds, Jefferson Airplane und dieser Szene steckt in diesem neuen Album?

Hunger: Nichts. Ich war einfach immer unterwegs und habe in verschiedenen Airbnb’s von Musikern gewohnt. In deren Wohungen bin ich zwangsläufig über die Instrumente gestolpert. Im Falle von „Love Is Not The Answer“ war es in Austin eine Gretsch-Gitarre, und es war lustig, so etwas Schnelles darauf zu spielen, das klang gut. In einem anderen Airbnb war es ein Synthesizer, da habe ich dann das flächigere „Mad Miles“ geschrieben. Es hing also immer davon ab, was gerade zufällig da rum stand.

Unsere Vorstellung von Kalifornien ist ja die des Sonnenstaates, der Freiheit – in ihrem Song „Mad Miles“ steckt die Zeile „you’re free cause you’re callous“ – ist die kalifornische Freiheit eine trügerische?

Hunger: Sie ist einfach dadurch bestimmt, dass die Natur noch so dominant ist. Es ist immer noch sehr dünn besiedelt alles, man hat das Gefühl, es müsste nur ein Windstoß kommen alles wäre alles dahingerafft. Die Naturgewalt ist das, was man dort als Stärkstes empfindet. Bevor man die Zivilisation empfindet oder irgendwelche politischen oder sozialen Bewegungen, empfindet man diese Größe, diese Hitze, diese Dürre. Oder auch diese Üppigkeit, je nachdem wo man ist. Das ist das, was Kalifornien noch so unbarmherzig macht. Es ist so schwierig, für die Leute zu sorgen, wegen dieser Allmacht der Natur.

Das Titelstück „Supermoon“ über die Vereinsamung eines leuchtenden Stars hört sich mit dem gigantischen Hall sehr kalt, geradezu eisig an. Dadurch, dass es gleich am Anfang steht und man da in den Weltraum hineingestoßen wird, fordern Sie die Zuhörer schon sehr heraus…

Hunger: Es war das erste Lied, das ich geschrieben und auch aufgenommen habe. Das war wirklich der Anfang der Platte. Ich wusste auch von Anfang an, dass die Platte so heißen wird, noch bevor ich die anderen Lieder hatte, das war die Tür für die anderen zwölf. Ich höre es auch nicht unbedingt so gerne, auf mich wirkt es auch unheimlich.

Sophie Hunger: „Supermoon“
Quelle: youtube

Und dann kommt quasi als Gegengift das andere Stück mit dem „Super“ im Titel, „Superman Woman“: Warum nicht einfach „Superwoman“?

Hunger: „Superwoman“ ist natürlich nicht so stark wie „Superman“, aber „Superman Woman“ ist dann natürlich die allerstärkste Person. (lacht) Es ist so ein bisschen wie eine Parodie mit diesen Billkeyboards und den Blechblasfanfaren.

Sie haben auf „Supermoon“ sehr ungewöhnliche Strukturen gewagt: „The Age Of Lavender“ löst sich ja fast ins Lautmalerische auf, ist mehr Klanggebilde als Song. Und „Die ganze Welt“ ist für mich musikalisch einer der stärksten Songs, gerade weil er harmonisch so offen und eigentlich sehr traurig wirkt.

Hunger: Bei „Die ganze Welt“ habe mir eine obsessive Liebe vorgestellt. Alles, was man erlebt und sieht, bis hin zur Hinrichtung von Kurden, relativiert sich und löst sich auf in der einen Person, die sozusagen die ganze Welt einnimmt. Und „The Age Of Lavender“ ist eine Hymne an all die unerklärlichen Wehwehchen die immer mehr von uns plagen, für die wir eigentlich keine Erklärung haben, die uns bestimmen, die uns die ganze Zeit beschäftigen, anstatt dass wir etwas Ordentliches machen. Ich hatte das Lied schon ganz fertig mit einer relativ konservativen Gitarrenbegleitung. Ich merkte aber schnell, dass es vielleicht was Besseres werden könnte. Das war eines der Lieder, die John Vanderslice (Anm. d. Autors: er hat auch für Spoon und Death Cab For Cutie gearbeitet) produziert hat. Er hat erstmal die Gitarre rausgenommen, dann mit Alberto Malo eine Perkussion aufgebaut, und Alexis Anérilles hat Klavierphrasen reingesetzt. Es blieben nur noch Melodie und Text von meiner ursprünglichen Version.

Sie haben mit dem Ex-Fußballer Eric Cantona auch einen Chanson adaptiert, „La Chanson d’Hélène“ von Jean-Loup Dabadie, der mit Romy Schneider bekannt wurde. Und Sie haben auch einen selbst geschrieben: „Les Plus Grands Cauchemars“. Ist Ihre Beziehung zum Französischen Sprache, die ja schon auf der ersten Platte präsent war, trotz aller Weiterorientierung in andere Stile ungebrochen?

Sophie Hunger feat. Eric Cantona: „La Chandon D’Hélène“
Quelle: youtube

Hunger: Ja, auf jeden Fall. Ich bin ein bisschen im Dilemma, dass ich unheimlich gerne auf Französisch singe, aber meiner Ansicht nach nicht genug Französisch kann, um viel zu schreiben. Also bin ich verdammt dazu, Coverversionen zu machen. Und dann suche ich mir halt immer Lieder, zu denen ich musikalisch eine Idee habe, die vielleicht noch eine andere Variante reinbringt. „Chanson D’Hélène“ wollte ich schon sehr lange machen. Ja, ich fühle mich sehr nahe an Frankreich, ich bin auch sehr oft da. Im Februar habe ich in Paris in der Philharmonie bei einem Tribut mitgemacht über David Bowie. Die Franzosen laden mich immer für sehr lustige, spezielle Sachen ein.

Über die Bowie-Show müssen Sie bitte ein bisschen mehr erzählen.

Hunger: Da ging es um die Ausstellung über Bowie, die erst in Berlin war, und dann nach Paris gewandert ist. Die Philharmonie in Paris hat entschieden, dass sie das musikalisch begleiten wollen und haben Philip Decouflé engagiert, den Tanzregisseur, der auch die Olympischen Spiele choreographiert hat. Für das Tanzstück „Wiebo“ hat Decouflé drei Sänger engagiert, darunter mich, „Queen Bitch“, „Starman“, „Heroes“, den Refrain von „Andy Warhol“, Space Oddity“ und „Changes“ durfte ich interpretieren. Es gibt Gespräche, dass London die Show vielleicht auch kauft, mit 30 Musikern und Akrobaten ist es aber sehr teuer. Für mich waren das jedenfalls die aufregendsten Wochen meines Lebens!

Zurück zum Album. Fast am Ende begegnet man dann Ihrem einzigen Stück auf Züridütsch, „Heicho“. Sie sprechen davon, in die Heimat erst zurückzukehren, wenn alles vorbei ist. Ist die Schweiz für Sie nur noch zum Sterben gut?

Hunger: Nein, so würde ich es nicht sagen! Ich würde es umkehren. Es ist eigentlich eine Liebeserklärung an die Schweiz, denn ich komme ja fürs Wichtigste wieder nach Hause. Ich muss da aufpassen, denn ich weiß, dass es viele gibt, die denken, das sei bösartig gemeint, aber so ist das gar nicht. Das „cho stärbe“, diese besondere grammatikalische Konstruktion, gibt der Schwere der Situation etwas Leichtes, dadurch aber vielleicht auch Zynisches. Das Hochdeutsche „zum Sterben“ klingt da viel schwerer.

Haben Sie Angst vor der aktuellen Schweiz, zum Beispiel vor den vielen Deutschen, aber auch vor der Enge der Musikszene?

Hunger: Nein, davor habe ich überhaupt keine Angst, beziehungsweise das ist einfach der Lauf der Dinge. Wovor ich Angst habe, das ist die fehlende politische Führung, was die Zukunft anbelangt. Wir sind ja in einer ganz komischen Siutation jetzt: Wir haben die Verträge mit der EU, gleichzeitig haben wir Volksinitiativen, die diese Verträge ständig unterwandern und verfassungwidrig sind. Trotzdem muss der Bundesrat diese Initiativen ernst nehmen. Es ist eine ganz, ganz zwiespältige und verflixte Situation. Und in der fehlt es an einer klaren Vision. Wir brauchen einen Plan für die nächsten 50 Jahre und dürfen uns nicht verzetteln. Das ist den Schweizern nicht bewusst.

Wie müsste für Sie eine Schweiz aussehen, die zukunftsfähig ist?

Hunger: Sie müsste sich sicher auf ihre Stärken konzentrieren und aus dieser Konzentration heraus wäre eine Bindung an Europa eine logische Konsequenz. Man muss verstehen, dass wir keine Rohstoffe haben, wir sind angewiesen auf unsere Dienstleistungen und unsere industriellen Produkte, ähnlich wie Deutschland. Da werden wir um den Aufbau enger Partnerschaften nicht drumherum kommen. Und ich sehe nicht, wie wir das tun können, wenn wir ständig unsere Nachbarländer vor den Kopf stoßen. Das ist ein widersprüchliches Verhalten, und da wird mir angst und bange. Ich finde es auch schade für meine Generation, denn wir haben ja gute Universitäten und sind gut ausgebildet. Man kapselt uns da ab. Ich würde es gerne sehen, dass junge Schweizer sich beteiligen am Aufbau der Europäischen Union.

Aber Sie leben jetzt momentan in Berlin?

Hunger: Ja, aber auch in Paris. Ich lebe ein bisschen ohne Lebensmittelpunkt.

In Berlin, so kann man eine Äußerung von Ihnen lesen, „haben die Männer Angst vor eleganten Gesten, weil sie denken, sie würden damit die Frauen bevormunden“. Was ist denn da in der Emanzipation schief gelaufen bei den Deutschen?

Hunger (lacht): Ich glaube nicht, dass das was mit Emanzipation zu tun hat. Das fing einfach so an, dass wir an einem Abend mit Franzosen und Deutschen zusammengesessen haben, und dann kam die Frage auf, ob man einer Frau Feuer geben darf. Und ich meinte sofort: Natürlich darf man einer Frau Feuer geben. Dann gab es ein paar deutsche Jungs, die sagten: Nein, das ist ja herablassend, die Frau kann sich doch selbst Feuer geben. Wir haben dann den ganzen Abend heiß diskutiert, was das Problem ist. Ich fand das sehr lustig, und auch ein schönes Beispiel. Ich komme aus einer eher französischen Tradition, ich finde es nicht schlimm, wenn mir jemand Feuer gibt, aber ich fand den deutschen Ansatz auch ganz interessant, ein bisschen geziert, aber warum nicht.

Ist Berlin ein besonders gutes Pflaster zum Schreiben?

Hunger: Ich finde es super hier, ich bin überrascht, wie gut es mir hier gefällt. Es ist sehr einfach hier zu arbeiten, weil man so schnell jemanden findet, egal, worum es geht. Wenn ich ein ganz ausgefallenes Instrument suche, ich finde sofort jemanden, der das beherrscht, ich finde Studios, Fotografen, Videokünstler. Das macht das Arbeiten sehr leicht. Es hat viel Platz, viele Ideen, es ist eine Stadt, in der die Strukturen noch nicht so eingefahren ist wie Paris oder London, hier hat man das Gefühl, dass man aus dem Nichts heraus etwas verwirklichen kann. Und es ist unheimlich international geworden, man hört auf der Straße kaum noch deutsch. Vor zehn, fünfzehn Jahren war das meiner Meinung nach noch nicht so.

Welches sind die Vorteile Ihrer neuen Band mit Alexis Anérilles, Simon Gerber, Alberto Malo und Geoffrey Burton – im Vergleich zu den Musikern, mit denen sie noch die ersten Platten eingespielt haben?

Hunger: Wir haben das immer so gemacht, dass wir uns vor der Tour zum Proben treffen, und dann muss man das können das ganze Jahr hindurch. Da spielt es dann keine Rolle, dass wir über Lausanne, Paris, Gent und Berlin verstreut sind. Teils entsteht die Bandzusammensetzung auch aus ganz banalen Überlegungen. Da auf „Supermoon“ so viele Gitarren sind, hat es keinen Sinn mehr ergeben, ein Cello mitzunehmen, also musste mit Geoffrey ein neuer Gitarrist her.

sophie hunger live

Ich würde Sie gerne noch etwas zur Livesituation fragen. Alle Besucher eines Sophie Hunger-Konzerts wissen, dass Sie wie wenige andere die Aufmerksamkeit fesseln: Bei Ihnen gibt es kein Gequatsche und die Seuche, dass man alles mit dem Smartphone mitfilmen muss, hält sich bei Ihnen auch in Grenzen. Die Leute schauen nicht aufs Display sondern wirklich auf die Bühne. Wie schaffen Sie das?

Hunger: Vielen Dank, das ist mit das Schönste, was man einem Musiker sagen kann. Ich habe keine Erklärung dafür. Wenn wir rausgehen auf die Bühne, haben wir einfach ein großes Berufsethos, oder eine große Berufsehre. Wir wollen uns dem Abend hingeben und den Menschen und der Musik, vielleicht merkt man uns an, dass wir bereit sind, so weit zu gehen. Dass wir nicht mit den Händen in den Hosentaschen auf die Bühne kommen.

Ganz intensiv ist die Kommunikation mit dem Publikum am Ende von „Train people“. Es gibt die berühmte Szene aus LaCigale in Paris, wo die Zuhörer nach dem Schlussakkord noch über eine Minute still sind.

Hunger: Diesen Moment, den machen wir nicht. Das macht das Publikum und wir brauchen diese Minute dann alle zusammen. Mit dem Lied hat das dann gar nichts mehr zu tun. Es ist eine gemeinsame Erfindung, und es braucht dann nur einen, der nicht mitmacht, und alles ist dahin. Man schließt für diesen Moment einen Vertrag. Es ist eine Form von Vertrauen. Oder Liebe.