Im zweiten Teil meiner kleinen Serie über Vordenkerinnen unter den arabischen Musikerinnen geht es um die marokkanische Sängerin Oum El Ghait, kurz: Oum. Ich habe sie vor kurzem in Strasbourg getroffen. Oum sieht tatsächlich ein bisschen aus wie eine Björk der Wüste, sie hat arabisches und westsaharisches Erbe, spricht mit einer fast poetischen, sanften Stimme und ihr Französisch hat einen sehr lebendigen Tonfall. Während des Interviews trägt sie eine Lederjacke, nachher auf der Bühne eine fantasievolle Tracht Marke Eigenbau. Wie immer folgt hier das Interview in einer ungeschnittenen Fassung.
Soul Of Morocco, der Titel Ihres Albums kann zweierlei heißen: Wollen Sie eine marokkanische Variante des amerikanischen Soul prägen, oder geht es um die Seele Marokkos?
Viele Leute denken, dass ich im CD-Titel auf den Musikstil Bezug nehme. Während ich mich autodidaktisch an die Musik herantastete, gab es tatsächlich eine Menge Soul und Gospel. Aber bei der Benennung des Albums habe ich eher daran gedacht, in gewisser Weise die Seele meines Landes zu zeigen, wie ich sie fühle und in mir trage, wie ich sie für mich übernommen habe. Eine Seele mit vielen Farben, die mit Leichtigkeit Einflüsse aus den Kulturen der ganzen Welt aufnehmen kann, sei es melodisch oder rhythmisch. Deshalb verwende ich auch Instrumente, die nicht zwingend marokkanisch sind. Ich will zeigen, was es heute heißt, Marokkanerin zu sein und Musik zu machen. Denn für den Westen ist es nicht so leicht zu verstehen, wer wir eigentlich sind. Wir sind nicht einfach orientalisch, sondern die westlichsten Menschen im ganzen Orient. Natürlich sind wir Araber, wir sind aber auch Berber und wir sind Afrikaner. Ich betreibe also auch ein bisschen Definitionsarbeit, natürlich auf sehr légere Art, nicht analytisch (lacht). Ich wollte ein eklektisches Album machen, Marokko ist nicht einfach dies oder das, es ist größer, es ist universell.
Marokko im Jahr 2015 – wirklich ein universelles, oder doch eher ein isoliertes Land?
Das hängt davon, welchen Bezug man da herstellt. Marokko liegt strategisch ja sehr günstig: Wir sind die Tür nach Afrika und zugleich nur anderthalb Schritte von Europa entfernt. Wir hatten verschiedenste Strömungen in unserer Geschichte, die Andalusier, die Portugiesen, das Römische Reich, später die Franzosen. Ich möchte gern aus all diesen Kulturen das Positive herausziehen, da alle diese Sachen in uns sind, ergibt es keinen Sinn, sie zurückzuweisen. Unsere Gegenwart setzt sich aus all den positiven Sachen unseres Erbes zusammen. Das gilt für die Musik und alles andere. Ich spreche Französisch, obwohl es nicht meine Muttersprache ist, aber das ermöglicht es mir, mit Ihnen und anderen zu sprechen. Es ist für mich wichtig, die afrikanische Musik zu verstehen und darin viele natürlichen Verbindungen zur lateinamerikanischen Musik zu finden, in den Rhythmen beispielsweise, die es in Brasilien, Mexiko oder Peru gibt. Das spricht uns an, denn es gibt sie auch in unserem Châabi. Ich würde nicht sagen, Marokko ist isoliert, aber es ist anders als die Länder, mit denen wir gerne verglichen werden. Marokko ist nicht Algerien und absolut nicht Tunesien, nicht Libyen, nicht Mauretanien. Aber schließlich ist es auch so, dass Marokko Ähnlichkeiten aufweist zu anderen Ländern, aufgrund seiner Volksgruppen, aber wir haben nicht die gleiche Geschichte durchlebt und nicht auf die gleiche Weise darauf reagiert. Wir sollten also auf unser Anderssein ein bisschen stolz sein, auch in der Musik, auch als Individuen.
Als ich anfing Musik zu machen, haben mich Journalisten immer gefragt, was denn mein Stil sei. Ich war eingeschüchtert und fühlte mich verpflichtet, eine Antwort geben. Heute bin ich da viel gelassener, muss mich nicht mehr die ganze Zeit fragen, wer ich bin. Wir sind von Natur aus alle sehr verschieden, haben verschiedene Temperamente. Diesen Eklektizismus drücke ich durch meine Musik aus, auch durch meine Kleidung. Nur weil wir an einem bestimmten Ort geboren sind, müssen wir nicht immer das tun, was die Leute von uns erwarten aufgrund ihrer Vorstellungen von diesem Ort, sondern wir sollten es aus Lust am Sein tun. Ich mag die Vorstellung der Idealisierung des Universellen.
Ihr voller Name, Oum El Ghait, bedeutet „Mutter der Erleichterung, der Besänftigung“. Was verbirgt sich dahinter?
Meine Großmutter väterlicherseits hatte diesen Vornamen. Sie starb einige Jahre vor meiner Geburt und mein Vater wollte mir ihren Namen geben. Mein Bruder und ich haben die Vornamen unserer Großeltern angenommen. Außerdem gibt es die Geschichte, dass man diesen Namen in der Wüste Kindern gibt, die an einem Regentag geboren werden, man sagt, das Kind hat der trockenen Region den Regen mitgebracht, der so dringend benötigt wird. Aber ich bin gar nicht in der Wüste, sondern in Casablanca geboren, im Frühling, und es hat überhaupt nicht geregnet.
Sie sind in Marrakech aufgewachsen. Mit welcher Art von Musik kamen Sie in Ihrer Kindheit und Jugend in Berührung, sei es orientalisch oder westlich?
Ich denke, Marrakech hat mich auf eine sehr spontane Art beeinflusst, gar nicht so reflektiert. Bis zu meinem Baccalauréat habe ich überhaupt nicht daran gedacht, Sängerin zu werden oder Musik zu machen. Das kommt daher, da Marrakech eine mündliche Überlieferung besitzt, es ist die nördlichste Königsstadt des Südens, dahinter beginnt die Wüste und hier hört die Nomadenkultur auf, in der sich sowohl in der Musik, in der Poesie oder der Geschichte alles mündlich abspielt. Die Menschen spielen also mit dem Wort, „salzen“ es. Als Kind hat mir das schon gefallen, heute habe ich es begriffen und ich habe das für meine Poesie angewandt. Man sagt, in Marrakech haben die Menschen das „gesalzene Wort“.
Die Musik von Marrakesch ist durch meine Ohren in meinen Körper hineingeflossen, ohne dass ich eine Wahl gehabt hätte. All diese Musik, die man auf Hochzeiten hört, bei den Kaufleuten. Die Gewürzläden zum Beispiel werden von Berbern aus der Region von Souss geführt, und wenn man in einen solchen Laden hineingeht, dann hört man sie immer. Während der Hochzeiten gibt es den Châabi, aber auch andalusische Musik aus der Tradition Granadas. Man kann auch der Tradition der Ghaita-Ensembles nicht entgehen, die aus den Ebenen stammt, aber die man auch im Mittleren Atlas findet. Die wird von Frauen ausgeführt, die sich Chikhat nennen, das wird bei bestimmten Hochzeiten und Feierlichkeiten gespielt. All diese Musiken bekommt man en passant mit, obwohl man sich jetzt nicht eine Kassette kaufen würde davon, um sie zu Hause zu hören.
Als ich Teenagerin war, erreichte mich die Musik auch übers Satellitenfernsehen, das war damals ganz neu. Wir haben ein, zwei ausländische Progtramme empfangen, zuerst kam bizarrerweise die amerikanische Musik zu uns, vor dem Chanson, De La Soul und HipHop, das war frisch, jung, wir hatten Lust, uns damit zu identifizieren. Zu der Zeit, ich war 14, habe ich angefangen zu singen und bin über ein Atélier gestolpert, das jemand im Institut Français aufgebaut hatte, ein Gospelchor, da habe ich ein Jahr lang mitgesungen, ich habe das geliebt. Das war übrigens das einzige Mal, dass ich Unterricht gehabt habe, denn danach habe ich kein Konservatorium besucht, nie ein Instrument spielen gelernt. Meine Eltern haben klassische orientalische Musik gehört, Oum Kalthoum, Fairuz. Mein Vater hat mich gebeten, dass ich auch ein oder zwei Stücke von Oum Kalthoum lerne, denn er sagte, ich habe eine schöne Stimme, und er wollte auch davon profitieren. Also habe ich das gemacht, auch wenn es mit den Vierteltönen eine ganz andere Technik war.
Das ist alles zufällig so auf mich zugekommen. Ich habe nie daran gedacht, Sängerin zu werden. Es war mir klar, dass ich etwas Ernstes studieren sollte, um in der Lage zu sein, meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Ich komme nicht aus einem sehr reichen Haus, meine Eltern hatten nicht die Mittel, mich ins Ausland zu schicken. Ich habe mich also bei der Hochschule für Architektur eingeschrieben, parallel dazu habe ich aber mit Freunden Karaoke gesungen. Da habe ich mir gesagt: Ich singe die Sachen, die schon andere gesungen haben, und ich mache das ja ziemlich gut. Aber wenn ich nun weniger die Sachen anderer Leute singen würde, wohin soll ich dann gehen? Es schien sinnvoll, auf Englisch zu singen, denn diese Songs liebte ich. Nie hätte ich daran gedacht in meiner Muttersprache zu singen, dem arabischen Dialekt Derija. Ich habe also begonnen, auf Englisch zu schreiben, habe hier einen Produzenten getroffen, dort eine Gelegenheit bekommen, man hat mich nach Paris eingeladen, um bei einem kleinen Label vorzusingen, die gaben mir Stücke zu singen und das ging alles sehr gut über die Bühne. Bis es eines Tages „klick“ gemacht hat und ich gemerkt habe, dass das nicht viel mit mir zu tun hat, ich wollte Sachen schreiben und singen, die mir entsprechen.
Und heute taste ich mich genau da ran, ich weiß noch nicht, ob es mir gelungen ist, aber ich schreibe heute ein bisschen auf Derija, das ist angenehmer für mich, denn das spricht die Menschen meines Landes an. Ich fühle sogar so etwas wie Verantwortung, denn ich gehe mit meiner eigenen Kultur und meiner eigenen Sprache auf Reisen, die von allen arabischen Varianten, die am wenigsten Verbreitete ist, diejenige, die am wenigsten auf Reisen ging. Es ist eine Sprache, die afrikanisches Vokabular aufgenommen hat, Wörter aus der Sprache Amazigh, Lehnwörter aus dem Spanischen, ein Mix. Es ist nicht sehr nah am universellen Arabisch, das wiederum ein bisschen wie das klassische Arabisch ist, das in Syrien, dem Libanon und Ägypten eigene Färbungen hat, aber doch Arabisch bleibt. Ich finde Derija sehr schön in rhythmischer Hinsicht, man kann in vielerlei Hinsicht sehr gut in damit spielen. Ich fühle eine Verantwurtung, dieses Arabisch bekannt zu machen.
Es gibt da etwas, was auf Ihr Erbe aus dem Volk der Sahraui, der Westsaharer verweist, nämlich Ihr zweiter Name „Benessahraoui“. Hat diese Kultur einen Einfluss auf Ihren musikalischen Werdegang gehabt?
Die Kultur der Sahrauis beginnt, einen Platz in meiner Arbeit einzunehmen. Die Familie meines Vaters ist Sahraui, sie kamen aus Mauretanien und haben sich dann im 19. Jahrhundert im Süden Marokkos niedergelassen. Ich war niemals da unten und ich will auch nicht lügen: Die Musik der Sahraui wurde bei uns zuhause auch nicht gehört und mein Vater hat auch nicht Hassaniya gesprochen. Aber jetzt, wo ich Sängerin geworden bin, und mich für die verschiedenen Musikfacetten meines Landes und ihre Ursprünge interessiere, interessiere ich mich auch für diese Kultur. Besonders der Aspekt des Nomadentums fasziniert mich, der viel mit Freiheit und Vergänglichkeit zu tun hat, und das in einer ganz undramatischen Art und Weise. Man lebt jeden Tag damit und in jedem Ende wohnt wieder ein neuer Anfang. Mit dieser Tatsache gehen sie auf eine sehr entspannte Art um. Den Frauen wird ein unglaublicher Respekt entgegengebracht. Es gibt ein herausragendes Gespür für Improvisation und Poesie, und das wird nicht niedergeschrieben, man kann also nicht nach Büchern Ausschau halten, sondern muss Personen finden, die dir noch diese Verse vortragen können. Ich finde dort also einen sehr schönen Kompromiss zwischen der afrikanischen und der arabischen Kultur in dieser Region, zu der der Süden Marokkos, der Süden Algeriens, der Norden Mauretaniens und Malis gehören, alle Menschen, die dort leben, teilen diese Kultur, wobei es natürlich noch Nuancen gibt. Aber die Werte und die Lebensweise sind fast identisch. Ich möchte so viel wie möglich über diese Kultur lernen, deshalb wird mein nächstes Projekt nicht unbedingt rein Hassaniya sein, aber es wird sehr inspiriert sein von ihrer Lebensweise.
Oum: „Taragalte“
Quelle: youtube
Auf Soul Of Morocco gibt es das fast majestätische Lied „Taragalte“. Ist das schon eine Widmung an die Kultur der Sahraui?
Ja, „Taragalte“ wurde als Hymne für ein Festival konzipiert, das den gleichen Namen trägt und in M’hamid el Ghizlane ganz im Südosten Marokkos stattfindet. Die Veranstalter sind Freunde von mir. Nach einigen Ausgaben hatten sie Mühe, die Mittel für weitere Festivals aufzubringen und mussten ein paar Jahre pausieren. Sie haben mich dann für die nächste stattfindende Ausgabe eingeladen, das war 2 Wochen bevor ich mit den Aufnahmen zu Soul of Morocco angefangen habe. Sie wollten unbedingt, dass ich komme und hatten mich zur Schirmherrin auserkoren. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich schon begonnen, mich für die Musik der Sahraui zu interessieren. Mir fehlten aber noch die Kenntnisse, einen solchen Song zu schreiben, aber ich musste ihn schnell fertig machen für das Festival, und er sollte ja auch auf das Album. Ich war sehr glücklich, dass die Leute von M’hamid den Song dann so mochten, heute ist er bei ihnen auf jedem Anrufbeantworter, sie kennen ihn auswendig, alle jungen Gitarristen spielen ihn auf ihre Weise. Die Reaktion hat alle meine Hoffnungen übertroffen und mir Selbstvertrauen gegeben, mit der Musik der Sahraui in dieser Richtung weiterzumachen.
Auch „Haylala“ geht in diese Richtung, es ist eine Adaption eines sehr bekannten traditionellen Songs aus dem Repertoire der Sahraui. Er wird auch im Norden Mauretaniens gesungen, eigentlich im ganzen Sahel. „Haylala“ bedeutet „Mond“. Der Song ist ein bisschen spirituell, es geht darum, dass der Nomade oder die Nomadin sich nachts in seiner/ihrer Einsamkeit an den Mond wendet. Es gibt in dieser Spiritualität die Erwähnung des Geliebten, das kann mein Geliebter oder Gott sein, ein Amalgam wie bei den Sufis. Der Song hat gar nicht so einen spirituellen Anschein, wenn man ihn spielt, er ist sehr festiv, man kann sehr gut darauf tanzen.
Oum: „Haylala“
Quelle: youtube
Ihre Musik ist eine Métissage, die arabische, andalusische und jazzige Elemente, sogar Brasil-Färbungen, etwa in den Stücken „Haji“ und „Lik“ zusammenbringt. Wie kommt eine Marokkanerin zur brasilianischen Musik?
Ich habe absolut keine Beziehung zu Brasilien (lacht). Ich war noch nicht mal in Südamerika. Aber die brasilianische Musik ist der große oder der kleine Bruder der Gnawa-Musik. In einer Batucada höre ich ganz selbstverständlich die Gnawa-Castagnetten. Es sind beides Dreierrhythmen, und der Unterschied ist nur eine ganz leichte Verschiebung in der Akzentuierung. Bei „Haji“ habe ich mich entschlossen, es langsam als Bossa zu beginnen und dann Ende in die Gnawa-Rhythmik reinzugehen, das macht auf der Bühne wahnsinnig viel Spaß. Ich liebe den ganzen brasilianischen Musikkosmos, das ist ein Ideal für mich. Ich habe im Fernsehen gesehen, wie das ganze Publikum tanzt und mitsingt bei Konzerten dort. Ich habe große Lust, da hin zu fahren.
„Lik“ allerdings ist nicht brasilianisch beeinflusst, das zeigt eher nach Peru mit der Flöte. Mit dem künstlerischen Leiter meiner CD, der sich sehr gut in der Musik auskennt, habe ich mich entschieden, das Album mit vielen verschiedenen Genres zu produzieren. Das Stück ist also nicht spontan entstanden, sondern wir haben ihm bewusst diese bestimmte Orientierung gegeben. Ein Song ist nie auf eine bestimmte Interpretation fixiert, ich liebe es , wenn ein Song auf verschiedene Weise interpretiert wird, Musik ist nicht heilig.
Der überwiegende Teil der arabischen Welt ist von einer Gleichberechtigung von Männern und Frauen weit entfernt. Glauben Sie, dass Sie mit Ihrer freigeistigen Haltung ein Vorbild für die marokkanischen Frauen sein können?
Ohne anmaßend zu sein, ja das möchte ich gerne. Ich möchte nicht ein Vorbild in dem Sinne sein, dass sie so sein wollen wie ich. Aber in dem Sinne, dass sie an meinem Beispiel sehen, dass all diese Sachen gleichzeitig möglich sind. Denn für mich sind all diese Frauen ein Vorbild, die die Verschiedenheit feiern. Die, die sprechen oder auch nicht, die sich anziehen oder ausziehen, die singen, die Berberinnen, die Andalusierinnen. Der einzige Unterschied zwischen ihnen und mir ist, dass ich all ihre Persönlichkeiten verkörpern und in meiner Arbeit zum Leben erwecken kann. Und deshalb glaube ich an die marokkanische Kultur: All diese Facetten gleichzeitig repräsentieren und sie als Reichtum annehmen, nicht als eine Schwäche, weil wir nicht wüssten, wer wir sind. Meine Vorbildfunktion soll also sein: Alles zu verkörpern und sich dabei wohl in seiner Haut zu fühlen.
Die arabische Welt befindet sich gerade in einer schwierigen Phase, einem Umbruch, von dem man noch nicht weiß, wohin er geht. Marokko als Monarchie scheint eine der wenigen friedlichen Inseln zu sein. Welche Rolle spielt der König? Wird es zu einer Revolution gegen ihn kommen? Haben die Künstler in der Monarchie Redefreiheit?
Ich bin der tiefen Überzeugung, dass die Monarchie der Schlüssel zur Ruhe in Marokko ist. Kulturell und ethnisch gesehen haben wir eine solche Vielfalt, dass die Tatsache, dass wir EINE Dynastie, eine Person haben, die uns nicht regiert, aber alle repräsentiert und die eine Verbindung zwischen allen schafft, ein Schlüssel zur Ruhe ist. Die Künstler dürfen tun, was sie wollen, jeder darf das. Was man nicht darf, ist, den König beleidigen, oder öffentlich die Religion beleidigen. Das heißt aber nicht, dass man dafür gleich ins Gefängnis kommt. Während der letzten zehn, fünfzehn Jahre hat es eine beträchtliche Entwicklung hin zur freien Meinungsäußerung gegeben. In den 1970ern sind Journalisten nicht nur ins Gefängnis gesteckt worden, sie sind sogar komplett verschwunden. Heute ist das völlig anders. Als Mohammed VI. an die Macht kam, wollte er es anders als sein Vater machen. Er hat auch das Image des Köngishauses verändert, er wollte, dass sich sein Volk mit ihm identifiziert, er kam ja jung an die Macht, hat dadurch schon viele Türen geöffnet und gerade im Hinsicht auf die Freiheit der Frauen viel verändert. Eine Revolution ist gut, sie ist ein Zeichen für Lebendigkeit, und bedeutet, dass es einem nicht gut geht. An den Sinn einer Revolution gegen die Monarchie hingegen glaube ich nicht. Denn es ist nicht die Monarchie, die uns voranbringt oder die uns hemmt. Wenn wir eine Revolution machen wollen, dann wird uns die Monarchie nicht daran hindern. Absolut gesehen ist eine Revolution gut, um Rechte einzufordern, aber nicht gegen den König, denn ich glaube, dass er sich im Zweifelsfall auf die Seite jener schlagen würde, die für ihre Rechte einstehen.
Ich möchte das Interview gerne mit einer Mode-Frage beschließen. Auf dem Cover tragen Sie eine sehr ausgefallene Kleidung. Ist die traditionell verankert?
Nein, sie ist aus verschiedensten Stücken zusammengesetzt, die ich auf Basaren und in Geschäften in etlichen Ländern gefunden habe. Die Silberketten sind aus Indien, andere Teile stammen aus Fes, Meknes oder Marrakech. Meine Armbänder sind aus dem Süden Marokkos. Und die Frisur mit dem Turban verweist auf die afrikanische Komponente Marokkos, sie soll symbolisieren, dass ich als Marokkanerin auch eine afrikanische Frau bin. Der Turban ist so etwas wie mein Markenzeichen geworden. Der Gürtel ist aus Telouet, aus der Berbertradition des Hohen Atlas. Nichts davon habe ich selbst erfunden: Wie in meiner Musik vereinigen sich die verschiedenen Dinge zu einer multiplen Identität.
© Stefan Franzen