Romantiker in gekacheltem Neopren

kraftwerk brillen

Foto: Stefan Franzen

Kraftwerk
ZKM Karlsruhe 13/09/14

Als die vier Herren Anfang letzten Jahres in der Kunstsammlung NRW in Düsseldorf ihren „Katalog“ spielten, habe ich eine These entwickelt. Eigentlich sind die Techno-Urväter empfindsame Poeten und verkörpern die beiden Antipoden der deutschen Seele: Präzision und Romantik. Das ZKM in Karlsruhe feierte jetzt 25-jähriges Bestehen und lud Kraftwerk zum Jubiläum. Gelegenheit also, diese These nochmals zu überprüfen. 

Es ist mehr Feuer in der vollen Hütte als vor 20 Monaten. Die Karlsruher scheinen besser feiern zu können, was mich wundert. Oder wollte in Düsseldorf niemand – außer den englischen Gästen – tanzen, da man direkt am Headquarter der Elektro-Urgesteine in Vergötterungs-Stase verharrt? Hier jedenfalls headbangt so mancher, auch sind ein paar mehr Frauen da, ein paar haben sich sogar ins schwarz-rote Mensch-Maschinen-Dress geworfen, samt peinlich blinkendem Schlips. Und das Tanzen bringt auch lustige Effekte mit sich: Die 3D-Projektionen schaukeln dann nämlich mit, bei „Computerwelt“ wippt plötzlich der VC 64 vor meiner Nase im Takt. Vorweggenommen sei das schönste Geschenk an die Karlsruher: Nachdem sich das „Spacelab“ ein paar Mal mit seinen Antennen in die Köpfe des Publikums gebohrt hat, landet es im Innenhof des ZKM. Man ist entzückt.

Mensch-Maschine und Computerwelt, die beiden stärksten Säulen im Kraftwerk-Katalog, bestreiten die ganze erste Hälfte des Abends. Gleich zu Beginn wird mit den „Robotern“ viel Pulver verschossen, sie sind ein bisschen discomäßig auffrisiert. Die „Nummern“, technoide Blaupause par excellence, wummern weitaus mehr als in DüDo, dazu oszillierende Zahlenhaufen auf Berg- und Talfahrten: Sie atmen. Meine Härchen auf den Unterarmen stellen sich auf. Ich bin ein kybernetisches Wesen. Und es saugt mich bei „It’s More Fun To Compute“ und „Heimcomputer“ mit einer gegurgelten Impro-Passage noch mehr in diese vieldimensionalen Reize, in dieses abstrakte Innenleben der Daten-“Autobahn“.

Doch ich bin ja auf der Suche nach dem Romantischen in Kraftwerks Musik. Ralf Hütters Stimme ist in jedem Fall der Humanizer-Faktor in diesem Apparat, das war sie schon immer. Er kann ja eigentlich nicht singen, sein Organ klingt wie das eines etwas hilflosen Diseurs, der in einer Herrentoilette übt. Und wenn er singt, hat er gelegentlich diesen verklärten Blick auf seinen Keyboard-Altar, oder er schließt gar die Augen. Ja, er ist ein Sensibler, im „Neonlicht“ wird er gar schwärmerisch-melancholisch. Das geht aber auch nur, weil die Leuchtreklame so retro ist und man der Werbung für 4711 oder Klosterfrau Melissengeist wirklich nachtrauern kann. Ja, dieses glimmende Neonlicht der Fünfziger bis Siebziger, es bietet dem Eichendorff des 21. Jahrhunderts Heimstatt, damit er statt im mondbeschienenen Wald nun in den lodernden Häuserschluchten umherwandert.

Dann geht es endlich zurück und vor in der Chronologie der Band. Mir fällt auf, dass „Autobahn“ mit einer strahlenden F-Dur-Akkordbrechung beginnt, fast ein wenig wie das C-Dur der Rheingold-Ouvertüre. Aber dem F wird seit Schubert die Farbe der Natur zugeordnet, und in der Kli-Kla-Klawitterbus-Animation zum Track wird das silberne Band von sehr, sehr vielen grünen Hügeln bekränzt.

Datenbahn – Autobahn – Eisenbahn: Kraftwerk lieben die vorgegebene Spur. Ausgerechnet bei meinem Lieblingsstück, dem „Trans-Europ-Express“, versagt anfangs die Projektion. Ich mag es, wenn es in der Maschine menschelt. Doch schließlich gleitet der TEE fahrplanmäßig über die nächtlichen Stränge – wenn das keine Eisenbahnromantik ist. Ich finde, der SWR sollte seine spießige Sesselpupser-Serie mit diesem Track ausstatten.

Es folgt dann leider ein überlanger Tour de France-Block. Der cyclophile Ralf Hütter, der im rigiden gekachelten Neopren-Anzug immer noch ziemlich durchtrainiert aussieht, verklärt dieses Rennen mit Schwarz-Weiß-Aufnahmen auf der Leinwand, mit der heutigen gedopten Form der großen Schleife lässt sich kein Staat machen. Nicht verklärt dagegen wird die „Radioaktivität“, sie ist längst mit Strahlentod und Fukushima-Warnungen versehen worden. Man muss davon ausgehen, dass Kraftwerk früher fortschrittsgläubig waren, heute widerfährt einigen ihrer „besungenen“ Objekte eine kritisch hinterfragte Betrachtung. Verzwirbelt mit einer glücklich gewählten Portion Nostalgie.

Wir gucken uns ihre Konzerte deshalb noch so gerne an, weil sie eben diese Faszination der vergangenen Zukunft bergen, die so nicht eingetroffen ist – so wie wir auch gerne in Ostblock-Verfilmungen von Lem-Romanen schwelgen oder das Raumschiff Orion Kult finden. Dieser warme, behagliche Futurismus, den die kalte, digitale Realität überholt hat, den gibt’s im Leben nicht mehr. Selbst als sie am Ende in ihrem futuristischsten Stück, dem „Planet der Visionen“, sich als 3D-Strichmännchen auf dem Holodeck doppeln, sieht das für den Menschen des Jahres 2014 nicht mehr wirklich nach SciFi aus, und die Synth-Timbres sind immer noch sehr heimelig, klingen fast nach einem Chor. Wirklich Zukunft, das schaffen Kraftwerk nicht. Sie sind tatsächlich Romantiker einer verlorenen Zeit, und dabei ungeheuer präzise, sehr germanisch eben. Nach der zweiten Zugabe schaut Hütter lange auf seine Uhr und sagt: „Das waren jetzt zwei Stunden.“ Er lässt die Kelle fallen, ganz der akkurate Handwerker. Aber dazu lächelt er milde.

©Stefan Franzen

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