Nach den beiden Produktionen „Female Voice Of Iran“ und „Female Voice Of Afghanistan“ (greenbeltofsound.de berichtete) wendet sich die Zeitgenössische Oper in Berlin jetzt den Sängerinnen Kurdistans zu: Für den 24. und 25. Juni ist ein neues Festival namens „Female Voice Of Kurdistan“ geplant. Vor Ort haben die iranische Musikethnologin Yalda Yazdani und der künstlerische Leiter der Oper, Andreas Rochholl, Vokalistinnen aufgenommen und sie interviewt.
„Gerade in diesem Jahr mit der Präsidentschaftswahlen der Türkei gibt es dort eine sehr, sehr angespannte Situation für Kurden“, erzählte Rocholl WDR Cosmo. „Umso mehr ist es unsere Aufgabe als Kulturinstitution, sich dem Reichtum der Kultur zu widmen, der Diversität. Und die Faszination dieser Diversität ist ein Antrieb unserer Arbeit.“
Unter den porträtierten Sängerinnen wird etwa Jînda Kanjo aus Kobanê sein, die in der kurdischen Sprache Kurmandschi singt und als Geflüchtete in der Türkei lebte. Weil sie an der TV-Castingshow „Kurd-Idol“ teilgenommen hatte, musste sie das Land verlassen und lebt derzeit im Irak. Mit dabei ist auch Kawyar Hadi aus Halabdscha, das Saddam Hussein 1988 mit Giftgas angreifen ließ, und mit Wajeda Khero wird auch eine jesidische Kurdin porträtiert. „Female Voice Of Kurdistan“ wird multidisziplinär zu erleben sein: durch Konzerte von vier der Sängerinnen vor Ort in Berlin, filmische Porträts und ebenso durch einen Youtube-Kanal. Die Konzerte finden in der Villa Elisabeth in Berlin statt.
Mit dem Abzug der westlichen «Befreier» aus Afghanistan 2021 kehrten die alten Machthaber zurück. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Situation für sie dramatisch verändert hat, gibt das Streaming-Festival „Female Voice of Afghanistan“ einigen Sängerinnen des Landes eine globale Plattform.
Noch im Juli reisten die iranische Musikethnologin Yalda Yazdani und Andreas Rochholl, Leiter der Zeitgenössischen Oper Berlin, nach Kabul. Sie porträtierten junge, mutige Musikerinnen, die sich dem islamischen Verhaltenskodex und westlicher Fremdbestimmung entgegenstellen. Sie filmten Konzerte und leiteten Teamworks mit europäischen Künstler*innen in die Wege. Unter den neuen Vorzeichen ist „Female Voice of Afghanistan“ zum Politikum geworden. „Stimmen gegen das Trauma“, mein 55-Minuten-Feature über das Festival, lässt die Initiator*innen, vor allem aber die Sängerinnen zu Wort kommen. Einige mussten mittlerweile unter erschütternden Umständen fliehen.
Das Feature wird am Freitag, den 26.11. in der radiophonen Reihe „Passage“ auf SRF 2 Kultur von 20 bis 21h ausgestrahlt und ist auch danach im Podcast auf der SRF 2-Seite zu hören.
Sadiqa Madadgar & Petra Nachtmanova: „Dar Fasle Bahar Mila Mikardim“
Quelle: youtube
Das Streaming-Festival „Female Voice of Afghanistan” gibt afghanischen Musikerinnen eine globale Plattform – zu einem Zeitpunkt, an dem sich die Situation für sie dramatisch verschärft hat.
„Ich bin Muslima, OK. Aber ich bin auch Sängerin!“ Sadiqa Madadgar schaut selbstbewusst in die Kamera. Was ist in die Biographie der erst 24-Jährigen schon alles eingeschrieben: Ihre Familie entrinnt dem Krieg in der südafghanischen Provinz durch den Gang ins pakistanische Exil. Aber da Sadiqa ihrer Leidenschaft, der Musik folgen will, verlässt sie die konservativen Eltern, geht allein nach Kabul. Dort wird sie mit smart auf Popformat gebrachten Volksmusik zum TV- und Youtube-Star, begeistert sich für Kampf- und Radsport. Als die Taliban wieder die Macht übernehmen, ist sie in akuter Lebensgefahr. Ende September gelingt ihr die notgedrungene Flucht aus dem Land, das sie so liebt. Fast erschütternd ist ihr lebensbejahendes „Trotzdem“: „Wenn wir die Herausforderungen nicht akzeptieren, warum leben wir dann überhaupt?“
Unerschrocken den Traumata zu trotzen, eine tägliche Herausforderung für Sadiqa. So wie für acht weitere Sängerinnen, deren Geschichten die iranische Musikethnologin Yalda Yazdani und der Leiter der Zeitgenössischen Oper Berlin, Andreas Rochholl, in sehr persönlichen Porträts vor Ort in Kabul und in Berlin eingefangen haben. Porträts, die durch die aktuellen Ereignisse kurz nach den Dreharbeiten im Juli eine zusätzlich dramatische Dimension bekommen haben.
Andreas Rochholl & Yalda Yazdani
Fünf Jahre lang hatte Yazdani über Frauenstimmen im Iran gearbeitet, mit Rochholl einen Dokumentarfilm er und zwei Bühnenfestivals in Berlin organisiert. „Dann kam der Punkt, wo ich den Blick über meine Heimat hinaus richtete. Afghanistan ist das Nachbarland, aber ich war nie dort“, erzählt sie. „Ich wurde neugierig auf die Frauen dort: Wer sind sie? Wie klingt ihre Musik? Alles, was uns seit Kindheit im Iran eingebläut wurde, war: Das ist kein sicheres Land, geht da nicht hin.“ Ähnlich die Vorgabe des Auswärtigen Amtes, durch die eine Recherche vor Ort und Reisen von afghanischen Künstlerinnen hierher vom Förder-Etat ausgeschlossen war. „Von Anfang an hatten wir also zwei starke Limitierungen“, sagt Rochholl. „Die Unmöglichkeit eines realen Festivals und die Corona-Pandemie. Wir mussten auf eigenes Risiko nach Afghanistan reisen, um die Menschen dort kennenzulernen, und dann um eine neue mediale Form abseits des klassischen Kinofilms ringen, damit wir das Resultat präsentieren können.“
In den Regionen, die sie erkunden konnten – Kabul, die Provinzen Bamyan und Herat – trafen sie auf eine ungeheure kulturelle Vielfalt, bedingt durch die geographische Lage des Landes: In afghanischer Musik hört man neben den lokalen Eigenheiten indische genau wie persische Einflüsse, auch die Farben der Turkvölker sind präsent. Kontakte stellte Yazdani über viele Telefonate und die sozialen Medien her. Sie stieß auf Sängerinnen, die schon lange etabliert sind, Berühmtheit bei der älteren Generation genießen. „Aber da waren auch sehr junge Musikerinnen, in deren Stimme eine tiefe Leidenschaft liegt. Sie sind während der letzten 25 Jahre aufgewachsen, haben Afghanistan im Umbruch erlebt. Und vor allem diese Generation interessierte mich. Das Ziel unseres Projekts ist es, das Menschliche in den individuellen Lebensgeschichten zu zeigen, und dann erst kommt der Gesang, der sich darauf bezieht.“
Freshta Farokhi
Da ist etwa Freshta Farokhi aus der Provinz Bamyan, mit ihren 20 Jahren schon eine herausragende Sängerin der traditionellen Musik der Hazara, die bei großen Festivals in gemischten Ensembles sang. Diese Festivals sind nicht mehr möglich, früh haben die Taliban Bamyan zurückerobert. Freshta sorgt sich nun, dass alle Anstrengungen vergangener Jahre für die Frauen und für ihre Musiker umsonst waren, sie muss sich an wechselnden Orten verstecken.
Oder die fußballbegeisterte Folksängerin Sumaia Karimi, die wie Sadiqa Madadgar durch die Talent-Show „Afghan Star“ bekannt wurde. Musik ist für sie Bewältigungsstrategie in einem Alltag, der für sie immer von Verlust und Blutvergießen geprägt war. Ihr großer Traum ist es, ein Straßenkinderorchester zu gründen. „Durch Musik verliere ich nicht meine Würde, im Gegenteil: Ich gewinne Würde und bin stolz darauf“, sagt sie an die Adresse der traditionell Religiösen. Kürzlich gelang ihr die Ausreise nach Italien, mit einer ungewissen künstlerischen Zukunft.
Pendelnd zwischen Hamburg und Kabul gestaltete Popstar Rouya Doost ihre Karriere, bis zuletzt hat sie an Projekten in Afghanistan gearbeitet, bis sie von heute auf morgen einer Lebenshälfte beraubt wurde. Und da ist auch eine Frau, die nur vollverschleiert und ohne Klarnamen vor die Kamera tritt. Zweimal war sie verheiratet, beide Männer hat ihr der Krieg genommen, ein Emigrationsversuch scheiterte im Gebirge. Sie hat alles verloren, ihre unbegleiteten Wiegen- und Liebeslieder auf Pashto treffen wie ein Stich ins Herz.
Diese Künstlerinnen haben sich alles selbst errungen. Eine musikpädagogische Infrastruktur, eine organisch gewachsene Musikszene war nach 40 Jahren Krieg nur in Ansätzen vorhanden. Einige von ihnen hat der mit ausländischen Mitteln finanzierte Sender Tolo TV ins Rampenlicht katapultiert. Jede Aussicht auf eine Verstetigung ihrer Laufbahn nehmen ihnen nun vorerst die Taliban. Doch diese Retraumatisierung des Landes stellt nur das Ende einer geschichtlichen Ereigniskette dar. „Die Taliban sind eine ganz radikale Form einer Tendenz, die in einem Land mit einem extrem traditionellen Islam schon immer existierte und zu der bei Teilen der Bevölkerung auch die Überzeugung gehört: Musik ist Sünde“, sagt Rochholl.
Überlagert wurde diese Glaubenswelt durch zwei Jahrhunderte Fremdbestimmung, die das Misstrauen gegenüber allem Ausländischen tief eingebrannt hat: von der britischen Kolonialphase über den sowjetischen Einmarsch bis hin zur Invasion der NATO, die mit ihrem Drohnenkrieg viele Verbrechen an der Zivilbevölkerung begangen hat. Laut der Menschenrechtsorganisation medico international gehen mindestens 100.000 zivile Tote auf das Konto der westlichen „Befreier“. Rochholl: „Wir können und wollen mit unserem Festival keine politisch-historische Analyse von außen betreiben, das wäre überheblich. Aber wenn wir die persönlichen Geschichten dieser Frauen erzählen, dann hat das eine Wahrheit.“
Sumaia Karimi
Yazdanis und Rochholls Festival zeigt neben den Porträts auch gefilmte Konzerte und die Resultate eines Netzwerkens: Durch Begegnungen über Zoom konnten die Musikerinnen Teamworks mit westlichen Kolleginnen einfädeln, auch diese spannenden Fusionen werden auf You Tube zu sehen sein. Ein Medium, das alle Sängerinnen weiterhin täglich nutzen, um das zu protokollieren, was ihnen passiert, auch wenn sie sich damit großen Gefahren aussetzen. „Diese Frauen haben einen so starken Charakter. Sie können immer wieder neu anfangen, und sie wollen auch nicht als Opfer gesehen werden“ resümiert Yazdani. „Mehr denn je ist jetzt die Zeit, in der ihre Stimmen gehört werden müssen.“
Die Zeitgenössische Oper in Berlin hat im Jahre 2017 und 2018 zwei vielbeachtete Festivals namens „Female Voice Of Iran“ mit Frauenstimmen aus dem Iran veranstaltet. jetzt wird die Situation der Sängerinnen im Land anhand eines gleichnamigen Films dokumentiert. Die iranische Musikologin Yalda Yazdani und Filmemacher Andreas Rochholl, die auch für die Durchführung des Festivals verantwortlich zeichneten, haben hierzu gerade die Dreharbeiten vor Ort abgeschlossen. Der Streifen erzählt Geschichten über den Alltag der Künstlerinnen, die sie bei ihren Recherchen seit 2015 kennengelernt haben. Derzeit wird am Filmschnitt gearbeitet.
Die Situation iranischer Musikerinnen ist seit der Etablierung des „Gottesstaates“ im Jahre 1979 von unzähligen Hürden geprägt. Öffentlicher Sologesang ist verboten, Zensur und Schikane bei der Durchführung von Konzerten an der Tagesordnung. Die Sanktionen der Wirtschaft durch die US-Regierung, der sich viele europäische Firmen angeschlossen haben, lässt die kulturelle Szene weiter ausbluten. Um den letzten Schritt für die Realisierung des Films zu ermöglichen, haben die Macher eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen, die hier unterstützt werden kann: