Aretha Franklin
„The River’s Invitation“ (Percy Mayfield)
(aus: Soul ’69, 1969)
Dieser Song war verantwortlich für meine späte Soul-Erweckung. Mir standen sämtliche Nackenhaare zu Berge, als Aretha in der zweiten Strophe mit ihren Shouts loslegte – und dann hat sie mich bis heute nicht mehr losgelassen. Deshalb musste ich auf diesen Song eine etwas längere Lobeshymne schreiben.
Es mag Leute geben, die denken, „The River’s Invitation“ handle vom Selbstmord. Aber ich glaube nicht, dass Percy Mayfield, von dem der Song stammt, das im Sinn hatte. Da reist einer durchs ganze Land, hat jedes Fleckchen Erde umgekrempelt auf der Suche nach seiner Liebsten. Dass sie noch irgendwo am Leben sein muss, da ist er sich sicher, aber er kann sie nicht finden. In seiner Verzweiflung redet er mit dem Fluss. Und er bekommt auch eine Antwort. „Mein Lieber, du siehst ganz schön einsam und erbarmungswürdig aus“, sagt der Fluss. „Wenn du dein Baby nicht finden kannst, dann lass mich dir eine Heimstatt anbieten.“
Nein, „River’s Invitation“ ist kein Lied über einen, der ins Wasser geht. Es ist ein Song über Rastlosigkeit, übers Unterwegssein auf der Wasserstraße, bis ans Ende deiner Tage, weil du nur so über den Schmerz hinwegkommst: durch ständige, betäubende Bewegung. Der Texaner Percy Mayfield ist ein Meister des Vagabundentums. Sein anderer großerer Erfolg war auch so eine Rhythm’n’Blues-Hymne übers Weggehen, „Hit The Road Jack“, ihr kennt ihn von Ray Charles. Furchtbar, dass Percy während seines eigenen Unterwegsseins verunstaltet wurde, ein Autounfall hat ihn übel entstellt. Sein Flusslied mag nicht so packend sein und nicht so einen unverwechselbaren Basslauf haben wie „Hit The Road Jack“, aber es scheint mitten aus den Sümpfen des Südens zu kommen, aus den muddy waters, wo man gar nicht mehr weiß, was ist jetzt Wasser und was Land. Wo das Wasser das Land nicht nur einlädt, sondern es umschlingt. Die tiefen swingenden Bläser, dazu ein kreiselndes, kitzelndes Piano und die sonore Stimme von Percy – das versetzt einen in ganz alte Blueszeiten, obwohl er es in dieser ersten Version doch erst 1953 in die Welt setzte. Man kann sich schwer vorstellen, wie dieser Song noch glaubhafter werden kann.
Percy Mayfield: „The River’s Invitation“
Quelle: youtube
Bei Aretha wird er’s, weil sie ihn nochmal ganz anders anpackt. Hört euch diese groovige Gitarrenlinie an, die fast glitschig in die Höhe klettert. Der Jazzer Kenny Burrell hat die hingezaubert. Über diesem Groove steigt Aretha ein, zieht den Anfangston eine halbe Ewigkeit nach oben. Um ihre Stimme herum schleichen sich allmählich die Blechbläser rein, die Trompeten schreien auf, die Tuben grunzen, und als der Fluss antwortet, hat er das größte Mitgefühl, dass man sich vorstellen kann: „Oh you look so lonely, and so full of misery“ – Aretha als Flussgöttin lässt hier einen Mitleidsschrei los, der die Membran des Mikrofons wohl fast zersprengt hat, jedenfalls konnte der Toningenieur das damals gar nicht mehr gescheit auspegeln. Und immer weiter türmt sich das Orchester hoch, macht nur noch mal kurz Platz für ein schönes Pianoeinsprengsel. Doch so gigantisch sich die Bigband hier auch aufbäumt, Aretha nimmt es mit dem ganzen Apparat auf, schmettert über den schärfsten Trompetenattacken ihre Sehnsucht heraus nach dem ewig dahinrollenden Fluss.