Highlife-Heimat Holland

Der Trompeter Peter Somuah beschreitet die Brücke zwischen seinen Wurzeln im ghanaischen Highlife und dem Jazz. Mit seiner Band tritt er nun beim Frühlings-Jazz-Fest im Forum Merzhausen bei Freiburg auf.

Als ich im September 2010 an der Küste Ghana westlich der Hauptstadt Accras spazieren ging, gesellten sich zum Rauschen der Atlantikwellen plötzlich jazzige Töne. Sie kamen aus der dichten Vegetation, die sich direkt an den Strand anschloss. Ein neugieriges Nachschauen ergab: Da stand im Blätterwerk ein einsamer Trompeter und spielte seine Melodien selbstvergessen auf den Ozean hinaus. Das Bild und die Töne sind auch nach vielen Jahren noch in der Erinnerung, denn es war in seiner Einfachheit wunderschön und stimmig.

Ghana und die Trompete, das ist eine Erfolgsgeschichte seit hundert Jahren. Für ihre Militärbands rekrutierten die britischen Kolonialherren einheimische Musiker, denen sie das Spiel auf den Blasinstrumenten beibrachten. Doch die lokalen Musiker nutzten die neuen Instrumente, um sie auf die lokalen Rhythmen und Melodien zu übertragen. Genau solche Mischformen kreierten sie auch ausgehend von den Dance Bands, mit denen sie ab den 1920ern in Casinos und Ballsälen für die britische Upper Class Walzer und Foxtrotts aufspielen mussten. Der Name „Highlife“ kommt von diesen Tanzveranstaltungen für die Elite, von der die ghanaische Bevölkerung ausgeschlossen war. Doch mit der Lockerung der steifen Rhythmen und swingenden Gitarrenriffs aus der akustischen Palmwine-Musik schufen sie eine genuin ghanaische Musik für alle, und die Trompete spielte dabei eine herausragende Rolle.

Als Louis Armstrong im Mai 1956 in der Hauptstadt Accra gastierte, hatte das einen anhaltenden Einfluss sowohl auf ihn selbst als auch auf die führenden Musiker der Highlife-Szene, allen voran E.T. Mensah. Der Highlife belebte dann weitere Fusionen, etwa mit Funk, der den Afrobeat im Nachbarland Nigeria hervorbrachte. Oder mit Disco, was als „Burger Highlife“ in Hamburg in den 1980ern geboren wurde, denn dorthin waren viele ghanaische Musiker nach einem Militärputsch ausgewandert. Heute wird die Geschichte des Highlife fortgeschrieben, er geht auf immer neue Tuchfühlungen zwischen Jazz und Afropop. Und eine Galionsfigur des afroeuropäischen Highlife Jazz ist Peter Somuah.

„Mit 14 Jahren fing ich an Trompete zu spielen, als Mitglied einer Marching Band“, sagt Somuah im Interview. „Ich spielte Highlife und hörte Musiker wie E.T. Mensah, transkribierte ihre Soli, versuchte, etwas Eigenes daraus zu machen.“ Eines Tages gibt ihm ein Freund ein Video von Miles Davis, und Somuah setzt sich in den Kopf unbedingt auch so spielen zu können, besitzt bald alle Miles-Platten. „Ich hatte keine Ahnung, was er und wie er das machte, versuchte aber die Noten rauszuhören und die auf meiner Trompete nachzuahmen. Wir sind ja mit den Afroamerikanern durch die Sklavengeschichte verbunden. Während ich Miles imitierte, war ich also in der Lage, eine tiefe spirituelle Verbindung aufzubauen, das ging ganz mühelos.“ Somuah tritt im Alter von neunzehn mit der Trompete eine große Reise an. Zwei Jahre lang lebt er als Musiker in China, fühlt sich dort sehr zuhause, absorbiert neue Einflüsse. Und kehrt dann nach Ghana zurück, tourt mit neuer Band durch Europa, bleibt schließlich, der Liebe wegen, in Rotterdam.

Auf seinen Alben schöpft er aus einer Tonsprache, die den Highlife mit zeitgenössischem Jazz, mit Einflüssen von Miles über Freddie Hubbard bis Roy Hargrove verknüpft. Auf seinem ACT-Debüt „Letter To The Universe” stellt er 2023 die Frage nach dem Zweck des Daseins auf er Erde. Er arbeitet dafür mit einer Band aus jungen holländischen Musikern, die sich verblüffend clever in die ghanaische Rhythmik hineinfuchst, koppelt Slam Poetry junger Benelux-Künstler mit Traditionen der Ashanti und des ghanaischen Nordens. Sein neues Werk „Highlife“ führt ihn mit seiner erprobten Band nun zu seinen Wurzeln, die er in einer intimeren Klangsprache erkundet.

Unglaublich entspannt sind diese Stücke geraten, in denen Somuahs meist sanfter, nie selbstdarstellerischer Trompeten-Ton mit einem Tenorsaxophon die kleine Horn-Sektion bildet. Zurückgelehnte Gitarren-Synkopen, federleichte Drums und neckische Keyboards bilden die Textur, die frühen Miles-Davis-Aufnahmen grüßen in modalen Melodien. Und als Gäste hat sich Somuah zwei Highlife-Legenden, Pat Thomas und Gyedu-Blay Ambolley eingeladen. „Gyedu-Blay ist für mich wie ein Vater, ich habe seine Musik schon gehört, als ich ein Baby war. Mit ihm zusammenzuarbeiten, war ein Traum“, strahlt der 28-jährige. Eine Brücke über Generationen, die zeigt: Die Wirkkraft des Highlife ist zeitlos.

© Stefan Franzen, erschienen in der Badischen Zeitung, Ausgabe vom 19.03.2025

Peter Somuah live: Forum Merzhausen, 22.3. – Tickets hier.

Peter Somuah feat. Pat Thomas: „We Give Thanks“
Quelle: youtube

Erlöser aus Speckstein

Eine Statue wird heute 90: Der gigantische Erlöser aus Speckstein thront seit 1931 über dem Granitfelsen namens „der Bucklige“ (Corcovado). Rios Hausberg steht, obwohl mit über 700 Metern viel höher, oft im Schatten des Zuckerhuts („Pão de Açúcar“), mit dem er außerdem oft verwechselt wird, vor allem von deutschen Touristen. Auf den Pão führt eine spektakuläre Seilbahn, die auch schon bei James Bond zu Ehren kam, auf den Corcovado dagegen eine mit gediegener Schweizer Technik gefertigte Zahnradbahn.

Eines aber hat der Corcovado dem Pão – neben der gewaltigen Aussicht – voraus: Über ihn wurde eine unsterbliche Bossa Nova komponiert. Antônio Carlos Jobim hat seine Liebesballade unter dem nächtlichen Blick auf die Christusstatue angesiedelt: Que lindo! Das Stück ist nun allerdings in Hunderten von Versionen vor allem auf dem Saxophon (Stan Getz sei Undank!) so totgenudelt, dass es schwierig ist, unbelastete Klangexemplare zu finden.

Drei habe ich zum Jubiläum ausgesucht: die Urversion von 1960, eine meisterhaft orchestral chromatisierte mit Miles Davis und Gil Evans (1962), sowie eine wunderbar unkitschige von 1987 mit Gal Costa und dem Komponisten. Die Fotos stammen von Markus Kurz und mir, aufgenommen während unserer Rio-Reise 2005, mal von ganz nah, mal der Blick vom Hut hinüber.

1. Joāo Gilberto
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2. Miles Davis & Gil Evans
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3. Gal Costa & Antônio Carlos Jobim
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Perlenweberin in Brooklyn

Die Sängerin Céline Rudolph lotet mit Sinnlichkeit und vokaler Farbenpracht eine Welt zwischen Jazz, Brasilien, Afrika und Chanson aus. Über ihr neues Werk Pearls und ihre Arbeit in Brooklyn hat sie mit mir gesprochen.

Céline Rudolph, Ihr neues Album entstand in New York. Wie hat das Ihren Sound verändert?

Rudolph: Ich bringe R&B- und Soul-Elemente in meine Welt hinein, singe mehr Englisch. Gleichzeitig wollte ich nicht, dass sich meine Identität ganz auflöst, also halte ich parallel dazu an meiner Vielsprachigkeit fest, und auch an meinen Fantasiesprachen, am Archaischen, Kinderliedhaften.

Hat sich in diesem neuen Stil auch – bewusst oder unbewusst – Ihr Vokaltimbre gewandelt? Wie hat sich New York auf Ihre Stimme ausgewirkt?

Rudolph: Ich spüre, dass da ein Schwenk vom Tropischen zum Städtischen passiert ist. Es ist jetzt nicht nur mehr das Besingen der schönen Seite, sondern auch das Nachdenkliche, Resümierende, existentielle Fragen. Ich bin unterwegs und erfahre dieses pulsierende, auch wahnsinnig laute Leben, dabei hilft es auch, bei sich zu bleiben – und womöglich hört man das dann auch in meiner Stimme.

Prägend für das Album war der Drummer Jamire Williams, der auch produziert hat. Wie sind Sie auf ihn gestoßen?

Rudolph: Er hat in Berlin ein Konzert als Sideman gespielt, und seine kraftvolle Live-Energie hat mich umgehauen. Ich habe dann nach ihm recherchiert, seine Arbeit ganz intensiv gehört und mich schließlich entschlossen, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Wir haben Musik ausgetauscht, erst sehr intuitiv, dann entwickelte sich der Plan, Songs auszusuchen und ein Album zu machen. Ich selbst habe dann meinen langjährigen musikalischen Partner, den Jazzgitarristen Lionel Loueke mitgebracht, Williams hat aus seiner Heimatstadt Houston den Bassisten Burniss Travis für die Band vorgeschlagen. Für die Keyboards kam Leo Genovese von der Esperanza Spalding-Band dazu. Und in Brooklyn haben wir alles in drei Monaten zusammengesponnen.

Gerade die Keyboards sind ein wichtiges neues Element, sie erzeugen einen glasigen, träumerischen Sound.

Rudolph: Ich hatte zwar zuhause schon Experimente mit Fender Rhodes gemacht, aber in Brooklyn hat sich das richtig entwickelt. Der Toningenieur dort hatte eine ganze Sammlung von analogen Tasteninstrumenten, Mini Moogs, Orgeln. Wir haben dieses Element sehr betont, dadurch kommt auch eine Popfarbe hinein. Wir hatten so viel Spaß daran, dass die Keys formgebend für die Produktion wurden.

Stimmt es, dass Ihr Sohn für den Albumtitel Pearls verantwortlich ist?

Rudolph: Ja! Als ich ihm mal eine Geschichte erzählte, sagte er: „Mama, dein Kopf ist ja voller Perlen!“ Was für ein schönes Bild! Ich habe mir das aufgeschrieben und dann weiterentwickelt. Unsere Phantasien schweben und schwirren im Kopf rum, und was passiert mit denen eigentlich? Die Keyboards und diese ganzen leuchtenden Sounds sind auf jeden Fall eine Übertragung dieses poetischen Bildes.

Das neue Repertoire hat trotz Brooklyn-Prägung auch wieder afrikanische Farben, etwa im Stück „C’est Un Love Song“.

Rudolph: Entstanden ist der Song, als ich auf der Gitarre kleine Patterns gespielt habe. Lionel Loueke spielt westafrikanische Kora-Klänge in seinem Solo. Aber es sind auch Elemente aus dem Süden Afrikas zu finden. Ich selbst war sowohl in West- als auch in Südafrika, habe Afrika also schon mal quasi umrundet, und so ist das Stück eine Reminiszenz an den ganzen Kontinent, auch mit dem Französischen und Englischen im Text, da ja Beides dort gesprochen wird.

In „Aumbaeleo“ haben Sie Ihre Vorliebe für Fantasiesprachen mit Blues verknüpft. Ist das ein Genre, das Sie sich neu erschließen?

Rudolph: Etliche der neuen Songs haben tatsächlich Blues-Anleihen, auch der Titelsong selbst .Das habe ich vorher nicht gemacht, diese erdige Seite, die entdecke ich jetzt grade und es macht mir wahnsinnig Spaß, da reinzugehen.

Der außergewöhnlichste Songtitel ist „L’Ascenseur Pour L‘Equinoxe“. Da denkt man natürlich gleich an Miles Davis.

Rudolph: Ja, doch das Zitat von seinem „L’Ascenseur Pour L’Échafaud“ kam erst gegen Ende rein. Inspiriert ist es von dieser coolen Schwarz-Weiß-Welt der 1960er. Gleichzeitig ist meine Version ja nicht so lieblich, hat mehr Ecken und Kanten, das ist eher meine Tonwelt. Trotzdem hat es dieses Flair von Film Noir, und deshalb habe ich Miles am Schluss hinzugefügt.

Wie setzen Sie dieses Programm auf der Bühne um, welche Musiker werden Sie in Lörrach begleiten?

Rudolph: Ich komme mit einem eigens zusammengestellten Trio mit dem Bassisten Bänz Oester und dem derzeit in Basel lebenden Brasilianer Vinicius Gomes an der Gitarre. Wir werden Teile aus Pearls spielen, aber das Programm wird auch meine brasilianische Seite zur Geltung bringen. Also eine Mischung aus dem Neuen und der „Weltmusikabteilung“.

© Stefan Franzen
live: Céline Rudolph Trio: Rosenfelspark Lörrach, 26.7. als Support für Mayra Andrade bei Stimmen
CD: “Pearls” (Obesssions/Membran)

Céline Rudolph: making of „Pearls“
Quelle: youtube

Spiritueller Protest


Foto: Pierrick Guidou

Die amerikanische Sängerin Indra Rios-Moore singt gegen die Entmenschlichung ihres Landes an – mit tiefempfundenen Balladen von Gershwin bis Steely Dan, mit Latino-Erbe und skandinavischer Ruhe. Morgen, am 2.8. tritt sie beim Stimmenfestival in der Reithalle des Riehener Wenkenparks (CH) auf, am 5.10. singt sie in der Berliner Apostel-Paulus-Kirche. Vorab habe ich mit ihr gesprochen.

Indra Rios-Moore, Sie hatten eine klassische Ausbildung – wie beeinflusst die noch Ihre heutige Gesangsweise?

Indra Rios-Moore: Sie gab mir die Basis und Unterstützung für alles, was ich singe, völlig unabhängig vom Stil, ein Verständnis für die Gesundheit der Stimme. Zugleich wusste ich schon mit 18, dass ich keine klassische Sängerin werden wollte. Meine Gesangslehrerin hat mir meinen Liebling Gershwin verboten und hatte Angst, ich würde mir mit Folk die Stimme kaputt machen.

Sie sind als die Tochter eines Jazzbassisten und einer Puertoricanerin aufgewachsen, wie haben die Eltern abgefärbt?

Rios-Moore: Mein dänischer Ehemann, der Saxofonist in meiner Band ist, sagt immer: „Indra, du hast eine echt kitschige Ader!“ Und das habe ich!  Als ich bei meiner Mutter aufwuchs, liefen da die ganze Zeit spanische Liebeslieder. Meinen Vater dagegen habe ich nut sonntags gesehen und er hat mich zu seinen Brunchkonzerten mitgenommen. Das schien mir damals wie eine Welt von übertriebener, falscher Männlichkeit, denn er war ein Kind der großen Auswanderungswelle in den Norden der USA, wo es nicht viel Platz für Verletzlichkeit geben durfte. Einen viel größeren Einfluss hat meine Mutter auf mich ausgeübt, sie war auch eine Expertin, die sich in der ganzen Musikgeschichte bestens auskannte.

Indra Rios-Moore: „Little Black Train“
Quelle: vevo

Kein Wunder, dass Ihr neues Album Carry My Heart Songs vom klassischen Jazz über Soul bis zum Pop beinhaltet. Sie bezeichnen es als eine Sammlung von Protestsongs, dabei gibt es überhaupt keinen Zorn darauf…

Rios-Moore: Man muss sich daran erinnern, was die afro-amerikanischen Spirituals für die Sklaven waren. Sie waren allesamt Protestlieder, in denen man sich nach der Freiheit sehnte, Lieder, die klarmachten: Da gibt es mehr als das Leid. Das war meine Inspiration. Amerika hat sich entschlossen so zu sein, wie es ist. Trump ist die Manifestation einer tief liegenden Krankheit. Doch es gibt viele Leute, die kein Teil davon sind, mit ihrer Spiritualität, mit ihrer Energie. Wie gehe ich mit dieser herzzerreißenden Situation um?  Wenn mir jemand in die Augen schaut und mir sagt, dass ich als Latina kein Stück Scheiße wert bin, muss ich es schaffen, zurückzuschauen und Mitgefühl zu haben. Das ist die höchste Herausforderung für die Amerikaner. Denn die Alternative ist Bürgerkrieg. Die Funktion der Musik, meiner Musik ist: Ich will die Herzen besänftigen, damit die Menschen in Ruhe über die Dinge nachdenken können, die wir teilen und nicht die, die uns trennen. Ich werde nicht im Zorn leben. Ich werde der Kaltblütigkeit und dem Klima der Furcht Widerstand leisten durch Liebe. Das ist mein Protest.

Das Titelstück „Carry My Heart“ haben Sie selbst geschrieben. Es hört sich an, wie Ihre eigene Version von Gospel.

Rios-Moore: Ja, das ist richtig. Ich habe es in dem Sommer geschrieben, in dem so viele Flüchtlinge nach Europa kamen. Ich hörte von einer Organisation, die Babytragen nach Griechenland brachten, um Frauen zu unterstützen, die ihre Kinder diesen langen Weg tragen mussten. Dabei dachte ich auch an meinen eigenen kleinen Sohn. Denn wenn du dein Baby trägst, dann trägst du dein Herz. Das ist das Thema des Songs für mich.

Wie singt es sich als Amerikanerin mit einer skandinavischen Band?

Rios-Moore: Würde ich mit New Yorker Musikern spielen, müssten sie die ganze Zeit zeigen, was sie drauf haben. Skandinavier dagegen schaffen Raum, ruhen in sich selbst, sie müssen nicht die ganze Zeit ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. In Skandinavien reagiert das Publikum auch sehr gut auf den Raum und auf die Pausen. Das erinnert mich an ein Miles Davis-Zitat: „Wenn du nichts zu sagen hast, dann spiel nicht. Lass den Raum zu. Das Schweigen wird genauso stark für dich sprechen.

© Stefan Franzen (das Interview erschien im Magazin des Stimmen-Festivals)

Indra Rios-Moore: „Cary My Heart“
Quelle: youtube