Es zischt, kracht, rumst und scheppert. Laserkanonen blitzen auf, Antimaterie-Bomben fliegen einem um die Ohren, Armadas von Raumschiffen, ganze Himmelskörper gehen in Flammenmeeren auf. Für Erdlinge, die mit den Science Fiction-Filmen ab „Star Wars“ sozialisiert wurden, ist die immer rasanter geschnittene, computergenerierte Materialschlacht der Normalfall geworden. Vielleicht haben Sie, sollten Sie der „Generation 2001“ angehören, das auch schon erleiden müssen: Beim gemeinsamen Anschauen des Kultstreifens von Stanley Kubrick langweilen sich die Jüngeren, schlummern vielleicht sogar ein – und sie fühlen sich am Ende allesamt um den logischen Schluss betrogen.
Was da im deutschsprachigen Raum im Herbst 1968 in die Kinos kam, ist bis heute ein nahezu singuläres Ereignis geblieben. „2001 – Odyssee im Weltraum“: ein Film, dessen Drehzeit ein paar Monate betrug, auf dessen Spezialeffekte aber, sämtlich mechanisch oder photochemisch erzeugt, zwei Produktionsjahre verwendet wurden. 141 Minuten, die nicht weniger als die Geschichte des Homo sapiens erzählen, seine Begegnung mit Intelligenz außerirdischer (der ominöse Monolith) und künstlicher Art (der Bordcomputer HAL 9000). Ein vollendeter Spagat zwischen langsamem, poetischem Flow und filmtechnischer Perfektion, die ein Jahr vor der ersten Mondlandung den aktuellen Stand der Weltraumforschung miteinbezog. „Science“ und Fiction“ tatsächlich in harmonischem Zweiklang.
Im Deutschen Filmmuseum Frankfurt erinnert anlässlich des Jubiläums eine Ausstellung an das Meisterwerk. Die Kuratoren sahen sich dabei mit einer ziemlich hohen Hürde konfrontiert: Kubricks Albtraum war es, dass die Produktionsfirma MGM seine eigens gefertigten Bauten und Requisiten für weitere Filme verwenden würde, er ließ deshalb fast alles konsequent vernichten. Dennoch gewinnt der Film beim Rundgang sowohl für Neulinge als auch für Eingeschworene enorm an Plastizität.
Allein die räumliche Konzeption ist ein schöner Kniff. Sie befindet sich an Bord einer Art Kommandobrücke, ein zweiter konzentrischer Kreis liegt im Dunkel darum: das Weltall. Zu sehen gibt es einen roten Raumanzug, Urmenschkostüme aus der Eingangssequenz, Modelle aller Raumfahrzeuge und der Zentrifuge des großen Spaceships „Discovery“. Sie ist ein umgebautes Riesenrad, in dem Kubrick mit speziellen Kamera-Aufhängungen die Trennung von „oben“ und „unten“ schwerelos auslöschte. Die „weightless condition“ eben: Eine Schalttafel mit dieser glühenden Aufschrift immerhin hat die Zerstörungswut des exzentrischen Regisseurs überdauert.
Tiefenschärfe bekommt „2001“ in Frankfurt aber durch unspektakuläre Fundstücke. Da lässt sich etwa Kubricks Briefwechsel mit Arthur C.Clarke verfolgen: Seine Erzählung „The Sentinel“ hatte den Filmstoff angeregt, er garantierte auch den wissenschaftlich korrekten Hintergrund. Es gibt Vorabskizzen von der Mondstation und von Urzeitlandschaften zu bewundern, Konzeptmalerei für den Flug ins Sternentor, Kostümentwürfe. Zu Ehren kommen so Dutzende von Illustratoren und Produktionsdesignern, die der Regisseur um sich scharte. Schließlich erhält auch Kubricks Charakter Konturen: Polaroids verschiedenster Einstellungen, die ihm halfen, die Belichtungen und Kamerawinkel zu erproben, seine berühmten täglichen Karteikarten fürs Set, sie enthüllen ihn als peniblen, besessenen Perfektionisten.
Auch 1968 war der Film alles andere als unumstritten: Das verraten die in Frankfurt ausgehängten Rezensionen der damaligen Tageszeitungen. Da prallten die konservativen Erbauer des Wirtschaftswunders auch im Kinosaal auf eine revolutionierende Jugend. Man kann sich gut vorstellen, wie die 68er-Generation die ohnehin schon psychedelische Fahrt durchs Sternentor anhand entsprechender Substanzen noch mehr genoss. Dieser rauschhafte, von György Ligetis „Lux Aeterna“ begleitete Trip mit seinen bis heute, auch mit digitalen Mitteln nicht erreichten Lichteffekten ist es, die für viele als Herzstück von „2001“ gilt. Und auch wenn sie im Filmmuseum entmystifiziert wird, durch die Erläuterung der sogenannten Slitscan-Technik, behält sie auf immer ihre enigmatische Qualität.
Heute dagegen scheint der Weltraum nicht nur auf der Leinwand, sondern auch in Realität ein entzauberter Ort: Jede Menge menschengemachter Schrott treibt dort, Politiker wollen in ihm einen neuen Kriegsschauplatz ausmachen, und neben Wissenschaftlern schicken sich Milliardäre an, ihn zu „erobern“. Ist „2001“ 50 Jahre nach seinem Start nur noch romantische Erinnerung? Sicherlich auch. Doch Kubricks Magnum Opus bleibt trotz alledem zeitlos – als Mythos der ewigen Frage der Menschheit: Woher komme ich, wo gehe ich hin? Die ungebrochene Faszination dieser filmischen Odyssee: Sie wagte es, das Fragezeichen stehen zu lassen. Und wagte auch, eine banale Tatsache zu respektieren: Im Vakuum zischt und rumst es nicht. Es ist dort still.
© Stefan Franzen, erschienen in der bz basel vom 24.08.2018
Fotos: courtesy of Deutsches Filmmuseum Frankfurt (1,4), Stefan Franzen (2,3,5)