Foto: Urszula Las
Man kann ihn sich als einen Steuermann vorstellen, der mit seinem fünfsaitigen Kontrabass am Bug einer wendigen Karavelle steht und durch musikalische Gefilde und Jahrhunderte navigiert. Nicht umsonst hieß eine seiner herausragenden Platten vor zwanzig Jahren „Navigatore“. Renaud Garcia-Fons‘ Spielphilosophie war es seit den 1990ern, Geographien und Epochen miteinander zu verbinden, Klänge des Mittelmeers und des Nahen Ostens mit der Alten Musik und Barock, Jazz mit musique du monde. „Main dans la main“, nennt er seine Verzahnungs- und Verschränkungstechnik im Interview, Hand in Hand gehen die Stile und Orte bei ihm, stehen nicht als bloße Blöcke nebeneinander. Und das macht auch sein neues Werk „Le Souffle Des Cordes“ (e-Motive Records/Galileo) so faszinierend.
„Ich hatte dieses Projekt schon lang im Hinterkopf, als Orient-Okzident-Komplettierung einer Trilogie, die mit ‚Silk Moon‘ und ‚Farangi‘ begann, Duos mit dem türkischen Stachelgeiger Derya Türkan und der Lautenistin Claire Antonini. Meine Idee war, jetzt ein klassisches Streichquartett einzusetzen, und zwar abseits seines üblichen Klanges. Sie sollten von der Rolle der Solisten auch immer wieder in die Begleitung wechseln, rhythmischere Parts spielen.“ Zum Quartett, dessen Prímás Florent Brannens der Bassist schon durch ein Teamwork für die France Musique-Sendung „alla breve“ kannte, tritt Türkans Kemence und die orientalische Kastenzither Kanun von Serkan Halili. Die Wahl des Albumtitels mag bei der Beschränkung auf Saiteninstrumente zunächst irritieren, man hätte ihn vielleicht eher bei Bläsern vermutet. Nun ist das französische Wort „souffle“ mit dem deutschen „Atem“ aber nur unzureichend übersetzt. „Souffle“ meint auch den Hauch, das Rauschen und Zischen, den spirituellen und poetischen Odem. Und davon gibt es genug während der knappen Stunde, die die zwölf Kompositionen dauern.
Allein schon durch den rauchigen, obertonreichen Klang der Kemence wird man ins Rauschhafte entrückt, oft lassen sich der in schwindelerregenden Lagen gespielte Bass und die Stachelgeige kaum auseinanderhalten. Zum Beispiel im schwebenden Tanz von „Le Bal Des Haftan“: „‘Haftan‘ ist das persische Wort für sieben und bezeichnet sieben hochentwickelte spirituelle Wesenheiten, die unseren Erzengeln ähneln“, führt Garcia-Fons aus. „Ich stellte mir hier vor, wie diese Wesen miteinander in Dialog treten und tanzen, in einer sehr würdevollen Art und Weise.“ An anderer Stelle, in „Jinete Viento“ zeichnet er ein positives Gegenbild zum düster-morbiden Gedicht „Canción De Jinete“, in dem ein Pferd einen toten Reiter trägt. „Meine Revanche an Garcia Lorca“, schmunzelt Garcia-Fons. „Bei mir wird der Reiter zum Pizzicato im rasanten Bulería-Rhythmus vom Sturm hinweggetragen, und am Schluss jongliere ich mit der Melodie des Revolutionsliedes der spanischen Republikaner.“
Poetische Anspielungen gibt es zuhauf: Jedem Stück hat der belesene Franko-Katalane im CD-Booklet einen Vers aus der Weltliteratur zur Seite gestellt, als imaginative Orientierungsmarke für seine Hörerschaft. Im vielleicht schönsten Stück, „Mamamouchi“, bemüht er einen Charakter aus Molières Farce „Le Bourgeois Gentilhomme“: „Wie Molières lachhafte Figur, die zu einer Art türkischer Sultan wird, trägt auch mein Stück humoristische Züge. Man hört Sequenzen aus dem Barock im Vivaldi-Stil, taucht dann in eine festliche osmanische Sphäre ein, findet sich dann in einem spanischen Fandango wieder. Ein Spaziergang zwischen den Welten, der aber mit sehr großer Präzision gespielt werden muss!“ Ähnlich traumwandlerische Brückenbauten gelingen dem Ensemble in „Qi Yun“, wo afrikanische und asiatische Pentatonik verwoben werden, sich ein interkontinentaler Blues entspinnt.
Es muss fast scheitern, einen so besonnenen und bescheidenen Menschen wie Renaud Garcia-Fons am Schluss des Gesprächs danach zu fragen, wie er seine Perfektionierung auf dem Bass während der letzten drei Jahrzehnte selbst einschätzt: „Weiterentwickelt habe ich vielleicht das ‚pizz di arco‘, die Technik, mit der ich die Oud nachahme. Und meine Phrasierung konnte ich beim Bogenstrich ein wenig mehr jazzy gestalten. Da gibt es keinen Bruch, nur Kontinuität. Einen höheren Grad an Reife? Ich hoffe es.“ Der „souffle“ auf seinem neuen Werk jedenfalls, er ist atemberaubend.
© Stefan Franzen, erschienen in Jazz thing #142