Foto: Pierrick Guidou
Die amerikanische Sängerin Indra Rios-Moore singt gegen die Entmenschlichung ihres Landes an – mit tiefempfundenen Balladen von Gershwin bis Steely Dan, mit Latino-Erbe und skandinavischer Ruhe. Morgen, am 2.8. tritt sie beim Stimmenfestival in der Reithalle des Riehener Wenkenparks (CH) auf, am 5.10. singt sie in der Berliner Apostel-Paulus-Kirche. Vorab habe ich mit ihr gesprochen.
Indra Rios-Moore, Sie hatten eine klassische Ausbildung – wie beeinflusst die noch Ihre heutige Gesangsweise?
Indra Rios-Moore: Sie gab mir die Basis und Unterstützung für alles, was ich singe, völlig unabhängig vom Stil, ein Verständnis für die Gesundheit der Stimme. Zugleich wusste ich schon mit 18, dass ich keine klassische Sängerin werden wollte. Meine Gesangslehrerin hat mir meinen Liebling Gershwin verboten und hatte Angst, ich würde mir mit Folk die Stimme kaputt machen.
Sie sind als die Tochter eines Jazzbassisten und einer Puertoricanerin aufgewachsen, wie haben die Eltern abgefärbt?
Rios-Moore: Mein dänischer Ehemann, der Saxofonist in meiner Band ist, sagt immer: „Indra, du hast eine echt kitschige Ader!“ Und das habe ich! Als ich bei meiner Mutter aufwuchs, liefen da die ganze Zeit spanische Liebeslieder. Meinen Vater dagegen habe ich nut sonntags gesehen und er hat mich zu seinen Brunchkonzerten mitgenommen. Das schien mir damals wie eine Welt von übertriebener, falscher Männlichkeit, denn er war ein Kind der großen Auswanderungswelle in den Norden der USA, wo es nicht viel Platz für Verletzlichkeit geben durfte. Einen viel größeren Einfluss hat meine Mutter auf mich ausgeübt, sie war auch eine Expertin, die sich in der ganzen Musikgeschichte bestens auskannte.
Indra Rios-Moore: „Little Black Train“
Quelle: vevo
Kein Wunder, dass Ihr neues Album Carry My Heart Songs vom klassischen Jazz über Soul bis zum Pop beinhaltet. Sie bezeichnen es als eine Sammlung von Protestsongs, dabei gibt es überhaupt keinen Zorn darauf…
Rios-Moore: Man muss sich daran erinnern, was die afro-amerikanischen Spirituals für die Sklaven waren. Sie waren allesamt Protestlieder, in denen man sich nach der Freiheit sehnte, Lieder, die klarmachten: Da gibt es mehr als das Leid. Das war meine Inspiration. Amerika hat sich entschlossen so zu sein, wie es ist. Trump ist die Manifestation einer tief liegenden Krankheit. Doch es gibt viele Leute, die kein Teil davon sind, mit ihrer Spiritualität, mit ihrer Energie. Wie gehe ich mit dieser herzzerreißenden Situation um? Wenn mir jemand in die Augen schaut und mir sagt, dass ich als Latina kein Stück Scheiße wert bin, muss ich es schaffen, zurückzuschauen und Mitgefühl zu haben. Das ist die höchste Herausforderung für die Amerikaner. Denn die Alternative ist Bürgerkrieg. Die Funktion der Musik, meiner Musik ist: Ich will die Herzen besänftigen, damit die Menschen in Ruhe über die Dinge nachdenken können, die wir teilen und nicht die, die uns trennen. Ich werde nicht im Zorn leben. Ich werde der Kaltblütigkeit und dem Klima der Furcht Widerstand leisten durch Liebe. Das ist mein Protest.
Das Titelstück „Carry My Heart“ haben Sie selbst geschrieben. Es hört sich an, wie Ihre eigene Version von Gospel.
Rios-Moore: Ja, das ist richtig. Ich habe es in dem Sommer geschrieben, in dem so viele Flüchtlinge nach Europa kamen. Ich hörte von einer Organisation, die Babytragen nach Griechenland brachten, um Frauen zu unterstützen, die ihre Kinder diesen langen Weg tragen mussten. Dabei dachte ich auch an meinen eigenen kleinen Sohn. Denn wenn du dein Baby trägst, dann trägst du dein Herz. Das ist das Thema des Songs für mich.
Wie singt es sich als Amerikanerin mit einer skandinavischen Band?
Rios-Moore: Würde ich mit New Yorker Musikern spielen, müssten sie die ganze Zeit zeigen, was sie drauf haben. Skandinavier dagegen schaffen Raum, ruhen in sich selbst, sie müssen nicht die ganze Zeit ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen. In Skandinavien reagiert das Publikum auch sehr gut auf den Raum und auf die Pausen. Das erinnert mich an ein Miles Davis-Zitat: „Wenn du nichts zu sagen hast, dann spiel nicht. Lass den Raum zu. Das Schweigen wird genauso stark für dich sprechen.
© Stefan Franzen (das Interview erschien im Magazin des Stimmen-Festivals)