Leyla McCalla Le PréO, Oberhausbergen (F) 6.11.2024
Avantgardistisch mutet es an, was der weiße Abolitionist Frederick Douglass 1857 formulierte, im Vergleich zu der jetzigen Situation Amerikas, wo sich nun mehr als die Hälfte eines Volkes sehenden Auges in die Steinzeit nicht etwa zurückgebombt, sondern demokratisch „zurück-gewählt“ hat. Douglass forderte, dass Befreiung und Gleichberechtigung nicht durchs bloße Darüber-Sprechen realisiert werden, sondern dass man sich zu transformativen Maßnahmen verpflichten muss. Von Befreiung und Gleichberechtigung ist das amerikanische Volk seit gestern wieder viele Tausend Meilen entfernt. Leyla McCalla zitiert Douglass im Titelsong ihres neuen Werks Sun Without The Heat.
An so einem Abend auf die Bühne zu gehen, muss für die US-Haitianerin, deren Eltern als Bürgerrechtler vor dem Gewaltregime Haitis geflohen waren, eine zentnerschwere Last gewesen sein. Die man ihr anfangs auch anmerkt. Die Show im PreÓ von Oberhausbergen im Strasbourger Vorland kommt nur schleppend in Gang, was aber auch am nicht ganz so starken Songmaterial des neuen Albums Sun Without The Heat liegt. Mit einer Widmung an die schwarze Bevölkerung der Atlantik-Inseln vor Georgia, die bis heute vom Leben in den USA abgehängt sind, eröffnet sie den Abend. Durch ihre Begleitgitarre schickt sie einen Filter, der die Akkorde herumeiern lässt. Ihr geradezu zierlicher Sologitarrist Nahum Zdybel steuert Schwelltöne, Rückwärtsschleifen und pointierte Kracher ein, während ihr Drummer mit feinem Mallett-Zwirbeln und federnder Latin-Gestaltung die Rhythmen zwischen kreolischem Walzer, Samba-Anleihen und zupackendem Rockgestus entfaltet. Bassist Pete Olynciw bleibt eher unauffällig und relaxt.
McCalla spielt sich auch dank ihrer Band frei. Stark sind die auf Kreyol gesungenen Songs, die sie aus der Tradition Haitis bezieht, begeisternd ihrer Einschübe auf dem Cello, ihrem Herzensinstrument, dem sie seit der Ausbildung an der Juilliard School verbunden ist. Ihre rustikale, von aller Schönfärberei weit entfernte und doch so empfindsame Stimme im Verbund mit den Pizzicati und dem wunderbar volltönenden Bogenführung: vielleicht der Höhepunkt des Abends. Oder doch die Zugabe „Capitalist Blues“? Ein behäbiger, geschlurfter und bitter-ironischer New Orleans-Ton zieht sich durch dieses Stück, das eine charmante Verweigerung der Marktgesetze in dieser kalten Welt ist, die sie nicht „inspirieren“. „Ich schwimme im Haifischbecken und habe nichts mehr zu verlieren.“
„Wir brauchen den Humor an diesem Abend“, sagt sie, der sei nun überlebenswichtig. Und stößt einen Laut aus, der zwischen Stöhnen, Ekelbekundung und trotzigem Lachen liegt. Dass genau zu diesem Zeitpunkt Deutschlands Markt-Höriger Nummer Eins vor die Tür gesetzt wird, kann sie nicht wissen. Leyla McCalla hat diesem absurden Tag mehr als einen Hauch humaner Würde zurückgegeben.
In der neuen Roots-Szene der Staaten ist sie einer der auffälligsten Köpfe: Leyla McCallas Vorfahren stammen aus Haiti, in New York absolvierte sie ein klassisches Cellostudium, neben Rhiannon Giddens war sie Sängerin bei den Carolina Chocolate Drops. Auf ihrem dritten Soloalbum befasst sie sich mit dem aktuellen Zustand der USA, der Armut und Ungleichheit. Ich habe mit Leyla im elsässischen Wissembourg vor einem Konzert gesprochen.
Leyla, dein neues Album nennt sich The Capitalist Blues und es klingt sehr nach New Orleans…
Leyla McCalla: Absolut. Ich lebe jetzt seit zehn Jahren dort. New Orleans ist der Ort, der mich mit meinen haitianischen Wurzeln verbunden hat und mich die Entstehung der amerikanischen Musik generell hat verstehen lassen, ebenso die Musik der Karibik und Westafrikas. Es fühlt sich musikalisch wie der nächste logische Schritt für meine Laufbahn an, dass viele Färbungen der Stadt darauf zu hören sind.
Es geht auf dem Album oft um die armen Leute, die unter den neoliberalen, kapitalistischen Strukturen unseres Jahrhunderts leiden. Hast du New Orleans auch in diesem Zusammenhang gewählt, als Stadt, in der die Armut besonders sichtbar ist?
McCalla: New Orleans ist ein gutes Beispiel für die ständig sich weiter öffnende Schere zwischen Arm und Reich, aber genauso wären es Haiti oder New York, das ist ein globaler Trend. Es gibt richtige Armut in New Orleans, und die sehe und erfahre ich jeden Tag. Nicht darüber zu sprechen, wäre unaufrichtig. Einige Songs auf der Platte sind durch meine persönliche Erfahrung gefiltert, aber ich sehe gleichzeitig, wie Leute um mich herum einen täglichen Überlebenskampf führen, und auch über sie singe ich.
Inwieweit hat die Wahl von Donald Trump dich beim Schreiben beeinflusst? Ist die CD auch ein stückweit ein Anti-Trump-Album?
McCalla: Viele der Songs hatte ich schon geschrieben, bevor Trump gewählt wurde. Dann nahm ich sie in den Nachwehen seiner Wahl auf. Das Album ist größer als einfach „anti-Trump“, er ist ja nur Teil einer größeren populistischen, fremdenfeindlichen Bewegung. Diese ganze Rhetorik von „America First“ ist Bullshit, es ist einfach die Agenda der weißen Wirtschaftsbosse. „Capitalist Blues“ ist ein typisch amerikanischer Titel, denn in Europa gibt es nun mal eine andere soziale Struktur. Wir sehen immer mehr, wie große Unternehmen mit ihrem Geld ganze Viertel kaufen und arme Leute, aber auch Vertreter der Mittelklasse rausschmeißen, und die bleiben dann nicht mehr Mittelklasse. Die Stimmung hat sich lange hochgeschaukelt, und die Leute, die sich über die Wahl von Obama geärgert haben, zahlen es uns jetzt heim.
Hat die Trump-Politik konkrete Auswirkungen auf das Leben in New Orleans, sowohl gesellschaftlich aus auch kulturell?
McCalla: Auch hier kann ich wieder nur sagen: Die Sache ist größer als Trump. Nach Hurricane Katrina hat die Stadt das öffentliche Schulsystem abgeschafft und ein privates eingeführt, das sich aber aus einem öffentlichen Fond bedient. Wir haben eine fremdenfeindliche und rassistisch kodierte Rhetorik, die dieser Profit-Politik in New Orleans den Rücken stärkt. Natürlich ist das Gefühl der Unsicherheit unter den people of colour, der LGBT-Gemeinschaft und den Einwanderern gewachsen. Schlimm ist, dass aufgrund unseres rigiden Zweiparteiensystems wenig Aussicht auf Veränderung besteht. Wir haben in Louisiana immerhin kleine Erfolge wie das Gesetz zur Einführung der einstimmigen Jury. Stell dir vor, wie viele falsche Richtersprüche da zuvor gefällt worden sind! Solche Themen sind zentral für New Orleans, nicht Präsident Trump selbst. Es geht um die große politische und kulturelle Teilung, die es vielen Menschen nicht ermöglicht, ein gesundes und erfüllendes Leben zu führen.
Lass uns darüber sprechen, wie du den New Orleans-Sound musikalisch umgesetzt hast.
McCalla: Bei diesem Album haben wir uns darauf konzentriert, jeden einzelnen Song zu größtmöglicher Ausdruckskraft zu führen. Den Titelsong habe ich auf dem Banjo geschrieben, stellte ihn mir aber gleich mit einer großen Brass Band vor, die mein Produzent King James (alias Jimmy Horn) dann in typisch spontaner New Orleans-Manier zusammengetrommelt hat. Für viele andere Songs haben wir die Band meines Produzenten eingesetzt, die „Special Men“, lokale R&B-Größen. Dazu haben wir dann noch andere Gäste eingeladen. Es war fast magisch, wie sich das zusammenfügte.
Um das Thema Ungleichheit zu behandeln, gehst du aber auch nach Brasilien oder in den Calypso mit einem Growling Tiger-Song. Und dann findet man einen fast erschreckenden intensiven Song namens „Aleppo“, mit einem E-Gitarren-Solo im Stil von Hendrix’ “Voodoo Chile”. Welche Bedeutung hat Syrien für dich als Brücke zu deiner Thematik?
McCalla: Der Krieg in Syrien hat mich inspiriert, diesen Song zu schreiben und die dortigen Ereignisse aufs Globale zu übertragen. Auf Facebook habe ich mir erschreckende Livevideos von Menschen angeschaut, die im Bombenhagel von Aleppo ihre letzten Worte sprachen. Die Textzeile „Bomben fallen im Namen des Friedens“ fiel mir ein, und ich erinnerte mich an die Diskussion über die Amokläufe in den USA. Wir fragen uns, wie wir es schaffen können, dass die beendet werden sollen. Und was ist unsere Antwort? Wir brauchen mehr Gewehre! Und wir müssen den Lehrern beibringen, wie sie schießen, um die Klassenzimmer zu schützen. Es gibt vier- oder fünfjährige Kids, die Schützen trainieren!
Mit dem Song „Settle Down“ kehrst du in deine Heimat Haiti zurück. Wie war es, mit der haitianischen Band Lakou Mizik aufzunehmen?
McCalla: Ich hatte eine Vorstellung, wie der Song klingen sollte und hörte ihn in meinem Kopf als Protestlied. In der haitianischen Rara-Tradition, der Straßenmusik mit Blasinstrumenten, geht es oft um Protest, um den Wunsch nach Veränderung. Dann waren Lakou Mizik 2017 beim Jazzfest in New Orleans und ich rief ihren Manager an, ob sie ins Studio kommen könnten, ich bräuchte nur ein paar Stunden mit ihnen. Wir haben den Song dann gemeinsam geschrieben, sie haben ein paar Worte auf Kreol einfließen lassen. Es war so aufregend, denn ich hatte nie zuvor mit den Rara-Hörnern gearbeitet!
Es gibt mit “Lavi Vje Neg” und “Mize Pa Dous” auch zwei vollständig auf Kreolisch gesungene Songs. Wie bist du auf sie gestoßen?
McCalla: „Mize Pa Dous“ habe ich selbst geschrieben. Ich dachte dabei an Einwanderer in den USA, die den ganzen Tag malochen und so wenig Geld verdienen. Im Text heißt es: „Jeden Tag arbeite ich hart, und jeden Tag fühle ich mich wie ein Esel. Nie häuft sich Geld an, und meine Schulden werde ich nicht los.“ Das ist auch eine klassische amerikanische Erfahrung: Wir alle leben auf Pump, werden uns nie etwas leisten können. “Lavi Vje Neg“ dagegen ist ein traditioneller Song, und da geht es um einen alten Mann, dessen Schuhsohlen so dünn sind wie Crêpes, er lebt von der Hand in den Mund. Ich dachte, dieser Song passt total auf das Album, zumal Kreol oft als Sprache des Widerstandes beschrieben wird. Sie ist ja während der Sklaverei entstanden, damit sich verschiedene ethnische Gruppen untereinander verständigen konnten. Für mich ist es sehr wichtig, weiter auf Kreol zu singen, denn diese Sprache hat mein Denken geprägt und bringt mich dazu, die Musik als Mittel zu gesellschaftlichem Wandel zu sehen.