Als sie vor drei Jahren ihr Album Mogoya veröffentlichte, war das ihr konsequentester Schritt in Richtung Popkultur und Elektronik. Nun ist Oumou Sangaré, Afrikas größte lebende Sängerin neben Angélique Kidjo, zurück auf den Akustikpfad geschwenkt. Aus dem New Yorker Lockdown heraus sprach sie mit mir über Wurzeln, ihre Funktion als Kulturhüterin und ihren Beitrag zum versöhnten Mali.
„Mir geht es gut, ich bin hier bei meiner Community“, beschwichtigt sie auf die obligatorische Corona-Frage nach der Gesundheit. Ein Zuckerschlecken ist es sicher nicht, auf der anderen Seite des Atlantiks festzusitzen, ausgerechnet im Corona-Hotspot NY, während in der Heimat kaum Pandemie-Tote zu beklagen sind. Dortige Ortszeit: Mittag. Oumou Sangaré nimmt gerade in einem Restaurant ihren Lunch ein, muss während unseres Gesprächs immer wieder lachend die Kellner abwimmeln, die ihr mehr auftischen wollen. „Hier in Amerika nimmt man unglaublich schnell zu“, gesteht sie, „ich aber pflege eigentlich wenig zu essen.“ Die „Diät“ gilt für die 52-jährige dieser Tage nicht nur auf kulinarischem, sondern auch auf musikalischem Gebiet. Sie veröffentlicht gerade das Album Acoustic (No Format/Indigo), auf dem sie die Songs von Mogoya in einer stripped down-Fassung neu eingespielt hat. Will heißen: mit der Stegharfe Kamalengoni, Perkussion, Akustikgitarre und Gesang, ab und an garniert durch minimalistische Keyboards. Die Tracks gleichen sehr ihrer Frühphase, als sie vor mehr als 30 Jahren international zum ersten Mal in Erscheinung trat.
„Das stimmt, mit ‚Acoustic‘ erinnere ich auch ein bisschen an mein erstes Album Moussoulou. Diese kleine Besetzung hat mir gefehlt. Auf der anderen Seite kamen auch etliche Leute zu mir und sagten: ‚Oumou, man hört ja deine Stimme gar nicht bei diesen großen Bands!‘ Es war also eine Mischung aus Nachfrage und eigenem Bedürfnis, zu diesen traditionellen Instrumenten zurückzukehren.“ Aber die Keyboards? „Na, die sind ja auch traditionell, aber eben aus der europäischen Tradition“, kontert sie überraschend – und hat eine grandiose Metapher parat: „Sie verschönern alles, es ist, als ob ich hinter mir den Wind im Wald höre, wenn ich singe.“
Zwischen Mogoya und dem kammermusikalischen Acoustic lag ein Remixed-Album, auf dem sich Electronica- und HipHop-Granden von Sampha bis St. Germain an den Ursprungstracks ausgetobt haben. Zudem spannte kürzlich Beyoncé ein Sample aus Sangarés altem Stück „Diabari Nene“ für ihr „Mood 4 Eva“ ein. Man könnte fast den Eindruck gewinnen, Oumou Sangaré habe ein wenig kalte Füße bekommen, so ausgiebig in die Popwelt hineingezogen zu werden. Sie reagiert diplomatisch. „Ich bin die Botschafterin einer Kultur und muss aufpassen. Ich kann mich der Welt nicht verschließen, denn ich bin ja viel auf Reisen, aber dabei muss ich immer meine Identität bewahren. Und die liegt eben im typischen Wassoulou-Sound mit der Kamalengoni und den charakteristischen Rhythmen. Wir können natürlich einige Elemente rausnehmen, um diese Musik für den Westen ‚lesbar‘ zu machen. Wenn ich nach Deutschland komme, dann esse ich ja auch mal gerne eine Wurstplatte, um den Einheimischen zu zeigen, dass ich ihre Kultur schätze und verstehe! Dass Beyoncé meine alte Liebeshymne verwendet hat, zeigt doch, dass sie nicht gealtert ist und auch über Mali hinaus funktioniert. Sagen wir es so: Ich bin die Hüterin eines Erbes, das von der ganzen Welt begehrt wird.“
Hat sich die Wassoulou-Kultur während der 30 Jahre ihrer Karriere verändert? Oumou Sangaré zögert keine Sekunde und versichert, dass musikalisch die Eckpfeiler aus dieser südlichsten, tropischen Region Malis nach wie vor unverrückt dastehen. Veränderungen seien eher gesellschaftlicher Art, und dazu hat sie ganz entscheidend mit ihrem unerschütterlichen Kampf gegen Polygamie, Zwangsheirat und Beschneidung beigetragen. „Von einer durchgreifenden Änderung können wir aber noch nicht sprechen“, wägt sie ab. „Um die Position der Frau in der Wassoulou-Region, in Mali und in ganz Afrika zu stärken, da muss sich noch viel bei der Mentalität tun.“ Sie selbst ist ein großes Rollenmodell für junge Malierinnen, denn ihr Erfolg beschränkt sich ja nicht auf die Musik. Oumou Sangaré, die sich einst als Kind und Jugendliche in den Straßen von Bamako singend durchschlagen musste, um sich und ihre alleinerziehende Mutter zu finanzieren, ist heute Geschäftsfrau, betreibt in Bamako ihr eigenes Hotel, im Wassoulou-Ort Yanfolila ein Touristen-Ressort mit Nachtclub – und mit einer Automarke namens „Oum Sang“ will sie die Abhängigkeit von den französischen Gebrauchtwagen brechen. Man sollte aber nicht verschweigen, dass sie dabei mit den Chinesen kooperiert.
Um den Beweis ihrer Popularität zu checken, genügen ein paar Youtube-Videos: Fährt sie nach Bamako, um ihr Hotel zu besuchen, gleicht das dem Einzug einer Königin mit viel Bohei, Autokolonnen, Fetischpriester, Musik und Tanz. Und auch bei der malischen Ex-Pat-Gemeinde von Paris steht sie hoch im Kurs: Ohne Oumou Sangarés Vorbildfunktion hätte es keine Inna Modja oder Aya Nakamura gegeben – letztere mit ihrem Afro-R&B die erfolgreichste malische Sängerin aller Zeiten weltweit. Ihrer Mutterfigur Oumou hat sie ein ganzes Lied zugeeignet, und im dazugehörigen Video übergibt die ihrer Nachfolgerin symbolisch ihre Krone. „Auf diese jungen Frauen bin ich stolz“, sagt die „Queenmom“. Aber ich sehe mich nicht als ihre Patronne, das sind alles meine Kolleginnen, meine Schwestern, meine Kinder. Ich habe für sie gelitten, und jetzt wird all das rekompensiert, wenn ich ein Vorbild für die nächste Generation sein darf.“
Inzwischen ist die Stimmung im Restaurant gestiegen, wie man den Geräuschen aus der Telefonleitung entnehmen kann, und die Statements von Oumou Sangaré zwischen den Essenshappen werden bruchstückhafter. Doch die politische Situation in ihrer Heimat muss doch noch angesprochen werden. Hat sie Möglichkeiten, sich da zu engagieren? „Das Festival au Désert im Norden kann ja nicht mehr stattfinden, da bin ich in die Bresche gesprungen“, sagt sie selbstbewusst. „In meinem Heimatort Yanfolila habe ich vor einigen Jahren mein eigenes Festival organisiert und alle Künstler aus dem Norden eingeladen. Das ist ja mehr als 1000 Kilometer entfernt von uns, und so war es für die Leute im Wassoulou eine große musikalische Entdeckung. Ich tue das auf eigene Kappe, die Regierung behauptet, sie habe kein Geld, um mich zu unterstützen. Die Kulturministerin ist gekommen, um sich zu zeigen, hat aber nicht einmal die Versorgung mit Trinkwasser unterstützt!“ Das Festival soll als Zeichen der Einigkeit und des Friedens für Mali weitergehen, sagt Oumou Sangaré. Für sie schließt sich im Dorf ihrer Wurzeln ebenso der Kreis wie mit dem neuen Werk Acoustic: „Das ist die Frucht meiner dreißigjährigen Karriere. Ich war überall auf der Welt, bis hin nach Amerika und Brasilien. Aber hier kann ich meine Reise beenden.“
© Stefan Franzen, veröffentlicht in Jazz thing #135