Foto: Jean Goun
Ihre panafrikanischen Ideen hat sie bisher von Frankreich aus entworfen. Für die Produktion ihres sechsten Albums Couleur (Cumbancha/Exil) ist Dobet Gnahoré in die Elfenbeinküste zurückgekehrt, und hat ihrem „Tradi-Moderne“-Mix dort einen kräftigen Schuss Elektro verpasst.
Es gibt einen lustigen Moment während der Videoschalte nach Abidjan zu Dobet Gnahoré. Gefragt nach dem Gitarristen Louis Stephen Djirabou sagt sie: „Ich kenne ihn nicht, aber nach dem was du von ihm erzählst, sollte ich ihn mal abchecken!“ „Aber im Booklet steht doch, dass er auf deinem Album mitspielt!“ Dann stellt sich heraus, dass Djirabou in der Côte D’Ivoire nur unter „Phéni Le Magicien“ firmiert. Ähnlich ist das mit Yabongo Lova, ihrem Duettpartner in der Single „Lève-Toi“. Der bürgerliche Name des Starsängers des Zouglou: unbekannt. „Lève-Toi“, das war der erste kraftgeladene Vorbote aus Gnahorés Album, eine Hymne auf die Widerstandskraft und das Nicht-Aufgeben, begleitet durch einen wirbelnden Tanz in bunten Kleidern und vor den bunten Kulissen von Abidjan. Dobet Gnahoré hat nach 20 Jahren überwiegender europäischer Residenz einen kräftigen Pflock in ihre afrikanische Muttererde eingeschlagen.
„Es ist tatsächlich das allererste Mal, dass ich ein Album ausschließlich in Afrika produziert habe. Ich fühle mich hier besser in meiner Kreativität und mein Mix aus Tradition und Moderne ergibt hier noch mehr Sinn“, so ihre Einschätzung. „Ich bekam sehr viel Inspiration durch die Wurzeln, die mich umgeben, durch die ganzen Sprachen. Und ich war sehr überrascht, dass hier alles wie am Schnürchen lief während der Aufnahmen, die jungen Musiker, mit denen ich gearbeitet habe, sind bestens organisiert.“ Couleur, der Titel ihres ivorischen Werks, steht für die sicht- und hörbaren Farben, auch die Farben der Emotionen, sagt sie, die Vielfalt, die Mischung.
„Wir haben hier im Land 72 Sprachen, und als ich das Album plante, wollte ich zumindest in 12 Sprachen singen, für jeden Song eine. Aber ich hatte eben auch Lust, Französisch und Englisch zu integrieren, also sind die Sprache meines Volkes, der Bété, und darüber hinaus Dida, Djoula, Adjoukrou und Koulango übriggeblieben.“ Was nicht zwingend heißt, dass zu den Texten in einem Idiom auch musikalische Einflüsse der jeweiligen Region gruppiert werden müssen. Wenn sie im Song „Yakané“ Zeilen in Dida intoniert, machen sich in der Musik unverkennbar südafrikanische Einflüsse bemerkbar. Und in „Le Désert“ koppelt sie Wüstenblues-Grooves an eine lautmalerische Fantasiesprache.
Was den Sound anbetrifft, ist ein sofort hörbarer Schwenk Richtung Elektro urbaner afrikanischer Prägung passiert, inklusive einer Miniportion Autotune-Effekt. In der zweiten Hälfte der CD läuft sogar der gleiche Downbeat durch, was aber aufgrund der Diversität der melodischen Stimmungen und der Arrangements von Tam Sir Junior Yihe nicht unangenehm wirkt, sondern die Tanzbarkeit beflügelt. „Afro-Electro ist meine Basis, und über dieser Basis bin ich ganz frei, die Stilistik zu wechseln“, so Gnahoré, die betont, dass sie sich immer zur Tradition bekennen wird. Eine Tradition, die sich freilich stetig verändert im jungen Afrika, wenn wie in der Côte D’Ivoire, die studentische Protestmusik, der gesungene Rap Zouglou, sich zum kongolesisch beeinflussten Coupé Décalé weiterentwickelt und auch Einflüsse aus den übermächtigen nigerianischen Afrobeatz rüberschwappen.
Gnahorés wichtigster Themenkomplex ist die Weiblichkeit in allen Facetten: Da gibt es in „Jalouse“ den Aufruf an Mädchen, ihre Energie nicht durch Eifersuchtsgefühle zu hemmen, „Yakané“ feiert die Zukunft der klugen Frauen und „Mi Pradjô“ die Mutterschaft. „Ich durchlebe eine intensive Phase des Wachstums“, bekennt Gnahoré. „Ich bin dabei mich zu emanzipieren, meine Sexualität neu zu entdecken, mich zu behaupten. Mir fällt auf, dass die Männer in der Côte D’Ivoire dabei sind zu kapieren, welchen Platz die Frau in der Gesellschaft haben will. Mein Eindruck ist sogar, dass sie merken: Je emanzipierter und freier die Frauen sind, desto mehr Wertschätzung bekommen sie selbst von ihnen. Die Männer fühlen sich dadurch sogar schöner!“
Auch künftig wird Dobet Gnahoré in der Elfenbeinküste arbeiten, sie hat dort eine Produktionsfirma gegründet. Ihre afropäische Biographie aber wird sie weiterhin leben, denn ihre Kinder leben in Frankreich. „La Navette“ nennt sie diesen Lebensstil, das Webschiffchen, das hin- und herflitzt. Ihrer Musik kann dieses doppelte Gesicht nur zugutekommen.
© Stefan Franzen, erschienen in Jazz thing #139