Foto: © Janto Djassi
Groupe RTD
The Dancing Devils Of Djibouti
(Ostinato Records/Groove Attack)
Das kleine ostafrikanische Djibouti hat sich bislang der musikalischen Entdeckung durch den Westen entzogen. Nun kommt die aktuelle Staatsband des Landes, Groupe RTD, zu internationalen Ehren – mit der Musik, die sie nach Dienstschluss spielt. Der senegaldeutsche Produzent Janto Djassi hat mir die Geschichte ihrer Entdeckung erzählt.
Es ist jedem Besitzer eines Plattenspielers schon mal passiert: Man spielt eine Scheibe mit der falschen Geschwindigkeit ab und merkt das in der Regel nach einigen Sekunden. Als der Autor dieser Zeilen allerdings die Doppel-LP The Dancing Devils Of Djibouti auflegt, schweifen geisterhafte Vokalmelismen zu sirrenden Synths durch den Raum, die von einem tonnenschwer schaukelnden Offbeat mit garstigen E-Gitarren und swingendem Sax abgelöst werden: Musik wie aus einer anderen Welt, die man eigentlich gar nicht auf 45 Umdrehungen korrigieren will. Aber selbst nach dem Umlegen des Riemens verlieren die Klänge wenig von ihrem Faszinosum.
Dahinter steckt eine Band mit dem furztrockenen Namen Groupe Radiodiffusion-Télévision Djibouti, kurz Groupe RTD. „Das ist die nationale Radioband, die in ihrem Alltag auf Staatsempfängen und im präsidialen Palast spielt. Da ist dann oft auch Propagandamusik, Nationalistisches dabei“, sagt Janto Djassi, Koproduzent der Aufnahmen. „Was wir aufgenommen haben, ist aber die Musik, die sie nach Feierabend spielen, die sie aus ihrer Kindheit kennen und re-interpretieren. Das zweite Gesicht der Band.“ Der Hamburger Musiker, Foto- und Videograf Djassi stieß über seinen Freund Nicolas Sheikholeslami, der sich mit somalischer Musik beschäftigt hatte, zum Label Ostinato des Inders Vik Sohonie. Zunächst realisierten sie die vielfach beachteten Reissue-Kompilationen „Sweet As Broken Dates“ und „Two Niles To Sing A Melody“ in Somalilands Hauptstadt Hargeysa und dem Sudan. In Djibouti wurden ihre ursprünglichen Pläne dann über den Haufen geworfen.
„Während wir das Archiv des Radios digitalisierten, hatte der Direktor für uns ein kleines Konzert im Studio vorbereitet. Wir waren sofort hin und weg von der Energie, die von dieser Band auf uns zukam!“ Schnell reifte das Vorhaben, statt Archivarisches zu veröffentlichen, neue Aufnahmen mit der seit 2013 bestehenden neunköpfigen Groupe RTD zu machen, ermöglicht durch eigens eingeflogene Technik. Die Band um die junge, einer Talentshow entstammende Sängerin Asma Omar und den Sax-Grandseigneur Mohamed Abdi Alto spielt einen knackig groovenden Tanzband-Sound, der sich aus vielen Quellen speist, denn die zehn Tracks spiegeln die geographische Position Djiboutis, das erst seit 1977 von Somalia unabhängig ist, als Knotenpunkt am Roten Meer wider.
„Es gab schon immer Handels- und Kulturverbindungen zwischen Indien, dem arabischen Raum und Ostafrika“, sagt Djassi. „Somalier leben in der Ogaden-Region Äthiopiens, Äthiopier in Somalia.“ Und so hört man in den Stücken neben den heimischen Rhythmen vom Tadjoura-Golf auch immer alten Somali-Pop, die schaukelnden Takte des Sudan, äthiopische Skalen, arabische Ornamentik und einen Hauch Bollywood mitschwingen. Vermeintliche Reggae-Einflüsse sind nicht jamaikanisch zu verorten, sagt Djassi, der charakteristische Offbeat sei aus Äthiopien herübergeweht. Und: „Da die amerikanische Musikindustrie über Radio und Platten auch dort alles penetriert hat, steckt natürlich auch James Brown-Funk und Jazz drin. Der RTD-Saxophonist Mohamed Abdi Alto war immer ein großer Fan von Charlie Parker und Harlem Jazz.“
Djiboutis Führung war bis dato eher darauf bedacht, den Zugang zum kulturellen Erbe nicht gerade Jedem zu ermöglichen. Seine Regierung, die bei uns unter „Diktatur“ firmieren würde, wird nach Djassis Einschätzung von weiten Teilen der Bevölkerung getragen. Dass er überhaupt ins sich abschottende Djibouti reisen durfte, hat er einem Bonus zu verdanken: „Ich bin Senegaldeutscher, und Vik ist in Thailand lebender Inder, wir entsprechen also nicht dem Bild des weißen Mannes, der irgendwo hinkommt und sich dann wieder vom Acker macht, nachdem er Ressourcen extrahiert hat.“
Zentrale Philosophie von Ostinato Records ist es tatsächlich, bei der Arbeit vor Ort auch etwas dazulassen, in diesem Fall eine Bandmaschine und Digitalisierungs-Tools. Und dazu gehört auch, anstatt altes Vinyl auszuschlachten, ungeklärte Fragen der Urheberrechte inklusive, künftig mehr kontemporäre Musik aufzunehmen, die den lebenden Musikern vor Ort als Sprungbrett dienen soll. RTD wollen, so Covid-19 beherrschbar wird, bald in Europa auf Tour kommen. „Wir möchten das Narrativ vom armen Afrika, Krieg, Mord- und Totschlag und somalischen Piraten korrigieren. Die Machtillusionen des Westens zurechtrücken.“
© Stefan Franzen, veröffentlicht in Jazz thing #136