Wer auf den Azoren weilt, ist auf Schritt und Tritt umgeben von geographischen Rekorden. Hier gibt es – eine kleine Felsnadel im Ozean mit Namen Monchique – den westlichsten Punkt Europas, die westlichsten Dörfer der Alten Welt, die westlichsten Leuchttürme, die westlichsten Hunde, Katzen, Mäuse, Menschen. Und natürlich kann man auf dem Archipel 1.600 Kilometer vor Portugals Küste auch den westlichsten Plattenladen finden, zugleich den einzigen der Inselgruppe. Er ist in der Hauptstadt Ponta Delgada zu finden und nennt sich – komplett unportugiesisch – „La Bamba“.
Bedingt durch ungünstige Winde auf der Insel São Jorge und Einstellung des Flugbetriebs als Folge erreichten wir am Ende unserer Reise über das atlantische Reich die Hauptstadt Ponta Delgada mit einem Tag Verspätung. Was den Besuch im „La Bamba“ auf einen engen Zeitrahmen von 20 Minuten zusammenschnürte. Etablissements mit Vinyl waren ohnehin nicht auf dem Zettel für diese Reise, doch wie es das Schicksal so will… Einer der ersten Sätze, die ich nach der Landung sagte, war: „Platten werden wir hier wohl nicht kaufen!“, woraufhin mir Minuten später, noch am Flughafen, eine Kulturzeitschrift mit einer ganzseitigen Werbeanzeige für den „westernmost record shop of Europe“ in die Hände fiel.
Wer das „La Bamba“ betritt, guckt zuerst mal bedröppelt aus der Wäsche, denn LPs sieht man hier nicht auf Anhieb. Der vordere Ladenteil ist eine Art Gemischtwarenladen mit Nippes für Touristen, Kinder-T-Shirts und Gebrauchsgegenständen für Azoreaner, hat sowohl Hippie- wie auch Popcharakter, und an der Theke steht ein jovialer Bartträger, weder azoreanischer, noch portugiesischer Provenienz. Pedro ist Spanier und betont gleich, dass er mit der hinteren Abteilung des Shops nichts zu tun hat. Und da hängt leider auch schon eine Kordel davor, die er für uns Besucher aus der Ferne aber dann doch schnell öffnet.
Die Tonträger-Abteilung des „La Bamba“ hat ausgesprochenen Wohnzimmercharakter. Ein Perserteppich über den Fliesen, Stand- und Hängelampen in Fünfziger- bis Siebzigeroptik, jede Menge Kofferplattenspieler von Crosley, Memorabilia von KISS bis Kraftwerk, zwei Hände voller Singles mit Brasil- und Israel-Raritäten auf einem Lederbänkchen, bunte Wandbemalung im Stile der Jazzbilder von Matisse. Hier lässt es sich verweilen, was wir aber leider nicht allzu lange können.
Unser Interesse gilt daher recht schnell den Vinylkisten, eine Handvoll sind es, angenehm und gepflegt befüllt. Wir registrieren Rock- und Soul-Second Hand-Ware, plagen den armen Pedro, der sich hier doch gar nicht auskennt, schnell mit der entscheidenden Frage: „Was davon ist azoreanisch?“ Mit Verweis auf sein Iberertum zuckt er entschuldigend mit den Schultern, hilft aber dennoch unermüdlich bei der Suche, während das Smartphone parallel musikgeographische Zuordnungsdienste leistet.
Da fällt uns eine farbenprächtige Platte in die Hände, ein stolzer Pfau posiert da vor Terracotta-Wand auf dem Cover, das Duo nennt sich Medeiros / Lucas, ihr Werk Sol De Março, und ja: Die beiden Herren stammen tatsächlich von den Azoren. Da unsere Zeit schon abläuft, ein mutiger Zugriff und sehr freundliche Verabschiedung vom hilfsbereiten Pedro. Wir haben den Kauf nicht bereut, wie die demnächst hier erscheinende Folge aus der Reihe Schatzkiste zeigen wird.
Fotos: Markus Kurz (Stefan Franzen 2), Text: Stefan Franzen