Jon Gomm
Jazzhaus Freiburg, 17.02.2018
Ein nervtötendes Fiepen durchdringt das Jazzhaus-Gewölbe, niemand kann es lokalisieren. „Da ist ein Scheinwerfer kaputt“, sagt Jon Gomm, und als der Pultmeister ihn abblendet, ist das Fiepen weg. Als er mit seiner Gitarre eine Kick-Drum imitiert und es seltsam scheppert, weiß er gleich: Ein Bierglas auf einer Monitorbox ist der Übeltäter. Schwer vorstellbar, wo die Wahrnehmungsschwelle dieses Mannes endet. Er habe „Fledermausohren“, sagt der 40-jährige Brite über sich selbst, und die nutzt er auf die bestmögliche Art.
Aus der Gitarre ein Einmannorchester machen, das ist in den letzten 80 Jahren von Bukka White bis Andy McKee immer wieder versucht worden. Doch Jon Gomm treibt es auf die Spitze: Wer ihm zuschaut, hat manchmal den Eindruck, dass da ein Mann zum organischen Zahnradwerk wird, dass ein Bildhauer ein Artefakt aus einem Stück Holz heraus schnitzt. Seine sechssaitige Lowden, die er „Wilma“ nennt, muss tatsächlich Einiges aushalten: Im Laufe der Jahre ist sie durch die Bearbeitung mit Handflächen, Fingerkuppen und Knöcheln arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Der „shabby look“, dank Jon Gomm ist er auch im Gitarrenmetier angekommen.
Selten schlägt Gomm noch die Saiten, er praktiziert ein rasantes Tapping mit beiden Händen, zaubert glasige Oberton-Melodien, erzeugt Slide-Effekte mit den Stimmwirbeln. Durch zwei Dutzend verschiedene offene Stimmungen erweitert er den Tonumfang bis in abgrundtiefe Bässe hinein, und Decke, Zargen und Hals werden zu Basstrommel, Snare und Tom. Wohltuend: Unter seinen Effektpedalen findet sich nicht das ausgelutschte Werkzeug namens Loop-Station, um Rhythmen und Melodien zu schichten, selbst Echos setzt er nur sparsam ein. Dieser Working Class-Guitarrero aus Blackpool ist sich selbst Kontrapunkt genug. Nun könnte das alles in akustischer Akrobatik enden, in Trapezkunst zum Selbstzweck.
Als er mal zwei Minütchen rasanten Barock einschiebt, wirkt das wie eine Persiflage auf die selbstverliebten Saltoschläger seiner Zunft. Denn Gomm ist eben nicht die eierlegende Wollmilchrampensau, sondern ein eigentlich bescheidener Musiker mit Wärme und großer Seele, was sich sofort wahrnehmen lässt, wenn man mal die Augen schließt, um das zappelige Bühnengeschehen auszublenden. Bei einem zärtlichen, fast indisch angehauchten Lied für seine kleine Tochter begleitet er sich mit Falsettgesang, an filigranes fernöstliches Lautenspiel erinnert ein Stück, dass er enteigneten chinesischen Bauern widmet.
Und Gomm groovt, völlig unverkopft: etwa, als er für Chaka Khans „Ain‘t Nobody“ zum kompletten Funkorchester wird, oder wenn er seinen Workshop „Wie imitiere ich mit einer Gitarre eine komplette Reggae-Band“ gibt. Richtig unterhaltsam wird die Show, wenn er das Publikum anspricht, teils auf Deutsch, schließlich hat er schon vor zehn Jahren Gig-Erfahrung in kleinen bayrischen Bierbeisln gesammelt, und ein „Fuck Brexit“ kommt ihm herzhaft von den Lippen. Genauso wütend ist er auf die Musikindustrie mit ihren zweifelhaften Erfindungen namens „X-Factor“ und „The Voice“. „Burn the factories down!“, ist denn auch seine Forderung, singend vom Gewölbe unterstützt. Er entzieht sich dieser Maschinerie konsequent, nutzt aber sehr agil die sozialen Medien: Deshalb sitzen im gut besuchten Jazzhaus nicht nur ältere Gitarrenfreaks, sondern auch viele junge Pärchen.
Doch dann wird es ganz still. Jon Gomm erzählt von seiner bipolaren Störung, und im anschließenden Stück, ein ergreifendes, verzerrt-verzweifeltes Lamento, reist man mit ihm in seinen Kopf, erlebt die Depressionen, die Schlaf- und Hilflosigkeit. Wie in keinem anderen Stück an diesem Abend werden Gomm, seine zerfurchte Wilma und das Publikum eins.
© Stefan Franzen