Schafft der WDR die Welt ab?

radio kaputt

Ein Geheimnis ist es schon lange nicht mehr: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland befindet sich in einem trostlosen Zustand – sofern man die Erfüllung des gesetzlich festgelegten „Kulturauftrags“ noch in irgendeiner Art und Weise ernst nimmt.

Dieser ein wenig schwammige Begriff kann im globalisierten Zeitalter nur Konturen bekommen, wenn man ihn denkbar umfassend begreift, sprich: als Abbildung aller Facetten von Klang, Schrift und Wort des gesamten Erdballs. Ein so verstandener Kulturauftrag ist probates Mittel, um das Verständnis für die Welt zu schärfen, Vorurteile abzubauen, Begeisterung für das Andere zu wecken – gerade jetzt, wo auf dem Hintergrund der „Flüchtlingskrise“ Ressentiments gegen dieses Andere hochkochen.

Der Westdeutsche Rundfunk bringt in dieser Großwetterlage die kulturelle Vielfalt nicht nur in akute Gefahr. Er ist auf dem besten Weg, sie in einem beispiellosen Kahlschlag nahezu abzuschaffen.

Dahinter stecken als Programmreform getarnte Sparmaßnahmen, von denen seit Jahresbeginn bereits WDR 3 und – wie nun bekannt wurde – künftig noch vielmehr der Spartensender Funkhaus Europa betroffen sind, letzterer 1998 vom damaligen Intendant Fritz Pleitgen als interkulturelles Aushängeschild auf den Weg gebracht.

Seit den 1970ern war die Kölner Anstalt Vorreiter für Klänge von anderswo. Doch Ende September ging der WDR 3-Redakteur Werner Fuhr in Pension. Fuhr hat über Jahrzehnte Sendungen wie Vom Bosporus nach Gibraltar oder die MusikPassagen konzipiert und verantwortet. Damit hat er uns nicht nur Musiktraditionen rund um die Welt näher gebracht, er und sein Team haben auch von Anfang an einen Beitrag dazu geleistet, die Kulturen unserer sogenannten „Gastarbeiter“ im Land zu beleuchten. Die aktuellen Sendungen seines Zuständigkeitsbereich waren unter anderem die Musikkulturen und die open SoundWorld, die damit warb: „Hier können Sie mit offenen Ohren die Vielfalt musikalischer Lebenswelten entdecken, verstehen und genießen.“

Noch bevor Fuhr seinen Ruhestand antrat, beschloss der Rundfunkrat die Reform. Diese umfasst die ersatzlose Streichung der open SoundWorld und die Etatkürzung für die Musikkulturen, die an Wochenenden und Feiertagen komplett entfallen und ansonsten auf den späten Abend verwiesen wurden. Das neue Konzept unter dem Arbeitstitel „Jazz & World“ ist de facto eine Zusammenlegung der zwei Sparten, Weltmusik findet nun vorrangig in kürzeren Beiträgen statt.

Das zweite Kapitel der Programm- „Planierung“ war ursprünglich nicht geplant und fällt noch wesentlich drastischer aus. Es betrifft WDR Funkhaus Europa, das sich mit vielen fremdsprachigen Anteilen an die in Deutschland lebenden Minderheiten richtet und zugleich die aktuellen Ereignisse im Global Pop abbildet. Die Sendeplätze für die arabische, türkische, spanische und polnische Community sollen auf 30 Minuten gekürzt, in den Abend verschoben und vorab aufgezeichnet werden. Seinem „interkulturellen“ Zuschnitt wolle Funkhaus Europa weiter nachkommen und das Programm dahingehend noch ausbauen, ließ die stellvertretende WDR-Unternehmenschefin Ingrid Schmitz vor einigen Tagen gegenüber der WAZ verlauten. Danach sieht es momentan nicht aus.

Denn noch dramatischer fällt die Umgestaltung des Musikprogramms aus: Insgesamt 17 (!) Autorensendungen, die bislang noch aus dem schon durchformatierten Sendeschema herausstachen, fallen ersatzlos weg. Darunter sind so beliebte Shows wie der „Balkanizer“ oder das „Mestizo FM“, das sich mit Latino-Sounds auseinandersetzt; weichen müssen auch die Beiträge des  DJ-Kollektivs Jazzanova, ebenso die von Baile Funk-Spezialist Daniel Haaksman verantwortete Sendung. Selbst das Flaggschiff und Urgestein der Musiksparte, die „5 Planeten“, moderiert vom langjährigen Experten und Musikchef Francis Gay, kommt unter den Sparhammer. Ab 23 Uhr gibt es künftig eine Musikrotation aus der Konserve.

Die jetzigen Zusammenstreichungen bei Funkhaus Europa sollen wohl die Einbußen auffangen, die die von SPD und Grünen Ende Januar im NRW-Landtag beschlossene WDR-Gesetzesänderung zur Reduzierung der Radiowerbung ab 2017 bringen werden.  Man darf sich trotzdem die bescheidene Frage gönnen, wie die Sparmaßnahmen begründet werden. Aufgrund des verordneten Rundfunkbeitrags werden die Öffentlich-Rechtlichen bis Ende 2016 einen Überschuss von 1,5 Milliarden Euro erwirtschaften, der auf Sperrkonten geparkt wird, auf die die Anstalten selbst vorläufig keinen Zugriff haben. Wie der Tagesspiegel analysierte, werden diese Überschüsse gewinnbringend angelegt.  Unterstützen wir mit unseren Gebühren ein Börsenunternehmen, während die vielen engagierten digitalen Formate wie byte.fm dem Kulturauftrag viel eher gerecht werden, aber mit den freiwilligen Beiträgen eines Freundeskreises auskommen müssen?

Vor sieben Jahren schloss der rbb in Berlin sein Radio Multikulti, Pionier für Weltmusik und Global Pop. Seitdem ist der Trend, Nischenvielfalt und Autorensendungen in den öffentlich-rechtlichen Häusern einzuebnen, landesweit unüberhörbar. Über die Verödung im Programmschema hinaus ist diese aktuelle Entscheidung des Rundfunkrates ein verheerendes Signal in Zeiten, wo das Gedanken“gut“ Braunbetupfter bis Braungetünchter sich immer lauter bemerkbar macht. Für das fragile Gebilde einer Willkommenskultur findet sich in den deutschen Radiosendern immer weniger Nährboden.  Zumindest was die öffentlich-rechtlichen Medien angeht, können all diejenigen, die sich ums Abendland sorgen, ganz beruhigt sein: Deutschland schafft nicht sich ab, sondern die Welt.

© Stefan Franzen
unregelmäßig als freier Autor für WDR 3 und Funkhaus Europa tätig