The Heliocentrics feat. Melvin van Peebles:
The Last Transmission
Ein Gespräch mit Bassist Jake Ferguson
Die Heliocentrics: ein großartiges Kollektiv aus London, das sich für seine Teamworks stets verschrobene Eminenzen aussucht. Den äthiopischen Altmeister Mulatu Astatke, den Ethno-Pionier Lloyd Miller oder die nigerianische Legende Orlando Julius. Ihre Musik pendelt sich ein zwischen Psychedelia, Spiritual Jazz, Afrofunk und musique concrète. Auf ihrem neuesten Werk „The Last Transmission“ (Now Again/Rough Trade) starten sie mit Blaxploitation-Hexer und Spoken Word-Artist Melvin van Peebles ins All. Ich habe den Bassisten Jake Ferguson an der Wirkstätte der Band getroffen.
Jake, Sun Ra hat 1965 zwei Alben mit dem Titel „The Heliocentric Worlds of Sun Ra“ gemacht. Wie ist da der Zusammenhang zu eurem Bandnamen?
Ferguson: Wir haben tatsächlich immer Sun Ras Musik gemocht, denn wir lieben Musik aus allen Quellen, und Sun Ra hat die Grenzen von den späten 1940ern bis in die 1980er kontinuierlich verschoben, er ist in diesem Sinne eine wirkliche Inspiration für uns. Wir mögen seine Herangehensweise an Musik. Er ist offensichtlich fähig, für die Musiker Freiheit zu schaffen, aber auch Disziplin, wenn es nötig ist. Seine Lebensphilosophie ist sehr interessant. Wir sind sehr offen als Musiker, haben nicht unbedingt einen religiösen oder spirituellen Hintergrund, aber wir schätzen beim Spielen eine freigeistige Haltung. Manchmal fühlen wir, wie uns beim Musikmachen etwas Anderes führt, ich würde nicht sagen, dass das ein Gott oder eine Gottheit ist, aber dieses kollektive Ding, wenn fünf oder mehr Leute in einem Raum zusammen spielen und improvisieren. So entstand unsere besten Musik.Wir versuchen, uns immer weiter zu pushen, nicht auf jedem Album oder in jeder Show die gleiche Musik zu spielen. Manchmal gehen wir ohne ein Skript auf die Bühne, aber Disziplin ist natürlich auch nötig, also schreiben wir einige Phrasen oder Melodien und improvisieren dann darum herum. Sun Ra ist in diesem Kontext eine große Inspiration, Marshall Allen und sein Arkestra sind immer noch so gut wie eh und je, sie spielen oft in Hackney, wo unser Studio ist, und wir gehen oft hin, um sie uns anzuhören. Es gibt eine kleine Chance, dass wir mal zusammenspielen werden, denn Gilles Peterson ist interessiert, uns zusammenzubringen, aber dafür gibt es noch keine Bestätigung.
Einige eurer Tracks haben ein ganz klares SciFi-Flair, es ist, als würde man technische Geräusche aus alten Science Fiction hören, die Türen eines Raumschiffs, extraterrestrische Signale. Also seid ihr offensichtlich große SciFi-Fans?
Ferguson: Ja, besonders Malcolm (Anm.: Catto, der Heliocentrics-Drummer) ist ein großer Fan von alten Scientific-Serien aus den Sechzigern. Wenn wir auf Tour sind, dann nehmen wir oft eine Menge von diesen alten Zombie-Filmen oder B-Movies mit, denn dann brauchst du etwas, um dich abzulenken. „Quatermass“ ist ein großer Favorit von uns, es ist ja sogar der Name unseres Studios. Alles, was ein wenig seltsam, andersartig oder „otherworldy“ ist, interessiert uns. Und was dich beschäftigt, kommt dann natürlich auch in der Musik zum Ausdruck. Das Großartige an den Heliocentrics ist, das wir nicht von einer dominanten Form oder einem Einfluss geprägt sind. Jedes Bandmitglied kommt aus einer anderen Ecke. Malcolm beschäftigt sich mit psychedelischer Musik, Ethno und World, Jack begeistert sich für Brazil, Latin, Cuba, Cumbia, der Gitarrist Adrian kommt mehr vom Blues, sowohl schwarzer wie auch weißer, ich selbst liebe alten und Spiritual Jazz. Dann mischt man das alles zusammen und es ergibt die Heliocentrics. Unser Keyboarder Ollie mag Bach, Renaissance und klassische Musik, das kommt auch manchmal durch, zum Beispiel bei einem Stück auf dem Mulatu Astatke-Album, wo man dann Kontrapunkttechnik hört. Das macht uns hoffentlich interessanter, wir wollen nicht HipHop, nicht Jazz sein, nicht in eine Schublade gesteckt werden. Du hast die SciFi-Geräusche angesprochen: Ich glaube, wir alle sind an musique concrète interessiert, wie man aus einem Instrument interessante Sounds herausholt, es in etwas ganz Anderes verwandelt, durch die Art und Weise wie du es mikrophonierst oder mixt.
Vielleicht kannst du ein bisschen erzählen, wie ihr eure Tracks baut. Benutzt ihr auch Samples?
Ferguson: Das kommt darauf an, auf welches Album du anspielst. Auf unserem letzten Album „Thirteen Degrees Of Reality“ zum Beispiel, abgesehen von der Stimme am Anfang, die über japanische Roboter spricht, haben wir alle Sounds selbst kreiert. Auf „Out There“ haben wir noch Samples benutzt, aber jetzt, wo wir unser eigenes Studio haben, machen wir alles selbst. Das ist ja gerade das, was Spaß macht, seinen eigenen kreativen Raum zu haben, in dem man die Klänge aus den B-Movies nachbauen kann. Wir haben zum Beispiel ein Instrument, das Waterphone heißt, das wurde in den 1960ern erfunden und ist im Wesentlichen eine Metalltrommel, aus der Speichen ragen, und man streicht über die verschieden gestimmten Speichen. Das ist ein Effekt wie Fingernägel auf einer Kreidetafel, haarsträubend, aber mit tollen Flageoletteffekten. Auf dem neuen Melvin Van Peebles-Album haben wir viel Theremin eingesetzt. Um den Drumsound zu erweitern, hat Malcolm viele Töpfe und Pannen auf einen Rahmen gesteckt, so hören sich Drums normalerweise nicht an. An den Bass haben wir Metallobjekte gehängt und die Saiten gelockert, damit er sich ganz anders anhört. Auf dem Mulatu-Album haben wir traditionelle äthiopische Instrumente wie die Krar oder Begenna benutzt. Wir versuchen jedes Mal, andere Instrumente einzusetzen und behandeln jedes Album anders. „Thirteen Degrees Of Reality“ haben wir im Großen und Ganzen als Quintett live improvisierend eingespielt. Um die Hauptstücke herum haben wir dann noch Interludien geschrieben, um sie zu verbinden, das kann dann zum Beispiel der Sound einer sich öffnenden Tür drin sein, Finger, die über ein Keyboard rennen, oder ein Pickup über eine Gitarre.
Du hast die Interludien angesprochen, und tatsächlich gibt es bei euch viele Stücke, die Skit- oder Jingle-Charakter haben. Wollt ihr dadurch das Unfertige in eurer Musik unterstreichen, den work in progress?
Ferguson: Die Interludes sind so wichtig wie die eigentlichen Tracks, denn am Ende müssen wir ja ein geschlossenes Stück Musik da stehen haben, das die Leute kaufen wollen. Wir würden nie etwas veröffentlichen, was wir nicht selbst kaufen würden. Manchmal schreiben wir mit einer bestimmten Idee im Kopf, aber generell lassen wir einfach das Tape laufen, spielen und schauen, was passiert. Manchmal haben wir eine Songstruktur, aber meistens nicht. Vieles geht aus der Live-Erfahrung in einen Song über. „Collateral Damage“ aus „Thirteen Degrees…“ hört sich sehr strukturiert an, aber eigentlich haben wir das aus Kontrabass, Drums und Gitarrengroove zusammengesetzt. Dann kam Jack mit einer wirklich guten Melodie. Als wir es also aufgenommen haben, merkten wir: Oh, das hat ja eine Menge Struktur! Warum versuchen wir es hier nicht mal mit Streichern? Und jetzt hört es sich sehr komponiert an. Oft fangen wir also mit irgendeiner Idee an, die sich dann während des Aufnahmeprozesses in etwas völlig Anderes verwandelt. Manchmal ist es aber auch reine Improvisation, weil es sich während des Jammens gut angefühlt hat, in dieser James Brown-Ethik, „es muss den Groove haben“, es funktioniert rhythmisch. Rhythmus ist für uns das große Ding: Es muss ein solides Drums-Bass-Gitarren-Feeling haben. Aber neuerdings haben wir auch Stücke, die im Wesentlichen nur von einem Instrument bestritten werden. Wir haben nie nur eine Methode.
Unverkennbar habt ihr ja eine große Affinität zum Afrofunk und Afrobeat. Viele machen das ja jetzt in Europa, dass sie in diesem Kontext mit Afrikanern spielen. Fühlt ihr euch da als Pioniere?
Ferguson: Wenn uns jemand Pioniere nennt, dann würde ich entgegnen, wir sind keine. Heutzutage kannst du kein Pionier mehr sein in der Musik, es wurde alles schon vorher mal gemacht. Wir reinterpretieren vielleicht Dinge. Malcolm sammelt Musik seit mehr als 20 Jahren, zuerst amerikanischen Funk der Sechziger, und von da war es nur ein logisches Fortschreiten hin zu afrikanischer Musik. Unsere erste große Erfahrung in diesem Kontext war das Mulatu-Abum. Abgesehen von den Poets Of Rhythm haben sich nicht viele mit äthiopischer Musik beschäftigt damals. Heute ist Afrobeat groß, aber die Musiker tendieren dazu, eher im Fela Kuti-Stil zu spielen. Wenn man mit Orlando Julius – und man darf nicht vergessen, dass Orlando Felas Karriere geholfen hat, denn Fela hat Trompete in Orlandos Band gespielt – wenn man also mit Orlando über Afrobeat spricht, dann hat er da eine sehr ablehnende Haltung, denn er sagt, dass viele den Afrobeat falsch spielen, entweder sind sie keine Afrikaner oder sie misinterpretieren ihn. Denn Afrobeat ist vom Highlife abgeleitet, die frühen Sachen von Orlando und Fela waren Mixturen aus Highlife und Jazz, Orlando selbst würde sich nicht als Afrobeat-Musiker bezeichnen.
Wir versuchen immer, die Kulturen zu respektieren, die uns geholfen haben. Wir lieben James Brown, und wenn wir ein James Brown-Stück covern wollen, dann richtig und nicht cheesy, wir versuchen genau rauszufinden, wie der Groove funktioniert, warum die Gitarre genau das in einem Takt macht, was sie macht. Wir wollen unter die Oberfläche schauen, wir disziplinieren uns da sehr und sind hart und kritisch gegenüber uns selbst, um am Ende ein Qualitätsprodukt zu haben.
In euren Teamworks gibt es eine Art Muster: Mulatu, Orlando und auch Lloyd Miller sind alle Herrschaften in fortgeschrittenerem Alter. Was fasziniert euch an den Eminenzen? Was haben sie gemeinsam?
Ferguson: Oft lief es ja so, dass sie uns rausgepickt haben. Bei Mulatu war es so, dass Karen P. und Quinton (Anm.: Scott, von Strut Records) ihn für Konzerte nach London bringen wollten, da er gerade durch den Soundtrack zu „Broken Flowers“ wieder bekannt geworden war. Er brauchte hier eine Band, und aufgrund unserer früheren Arbeit entschieden Karen P. und Quinton, dass wir ihn unterstützen sollten. Wir hatten nur eine Probe und es lief super, so dass wir dann entschieden, dass wir ein Album zusammen machen sollten. Wir hatten eine frühe Mulatu-Kompilation, wussten aber sonst nicht viel über ihn, wir schätzten ihn als jemanden, der in den Siebzigern tolle Musik gemacht hatte, sahen ihn aber nicht als Legende. Auf seinen Alben spielten ja meistens keine Äthiopier, sondern amerikanische Jazzmusiker, er versuchte also, die äthiopische Musik in ein ganz anderes Umfeld zu stellen, er hat ja immer die äthiopischen Fünftonskalen gegen die Siebentonskalen Europas gesetzt.
Mit Lloyd Miller hat uns Jazzman Gerald zusammengebracht und nach der Veröffentlichung einer 12“ hatten wir die Anfrage für ein ganzes Album. Lloyd Miller kam zu uns, und dann haben wir das Album gemacht. Auch bei Orlando war es so, dass Quinton von Strut uns mit ihm zusammengebracht hat. Über jede Begegnung waren wir glücklich, das sind großartige Erfahrungen, auf die wir nicht notwendigerweise gesetzt haben.
Das jüngste Teamwork ist mit Melvin van Peebles, der in Amerika für seine Pionierrolle in der Blaxploitation-Industrie bekannt ist und davon ausgehend in verschiedene kreative Formen hineingegangen ist, hier ist er weniger bekannt. Das ist musikalisch gesehen unser bestes Album, hier haben wir uns zum Maximum gepusht. Melvin hat dann dazu ein Gedicht geschrieben und erzählt es über die Musik drüber. Im Gegensatz zu Lloyd Miller und Orlando Julius, die uns den Drive gegeben haben, sind hier die Heliocentrics die Pulsgeber.
Wie lief die Arbeit mit Melvin van Peebles ab?
Ferguson: Melvin ist ein sehr interessanter Typ, wir haben ziemlich oft am Telefon gesprochen. Er ist eine Legende in seinem eigenen Terrain. Manche könnten sagen, er hat verrückte Vorstellungen, ich sehe ihn als jemanden, der sehr interessiert ist am Kosmos, das hat die Geschichte beeinflusst, die er erzählt. Ich denke, Melvin hatte die Geschichte schon in seinem Kopf, und als er unsere Musik bekommen hat, hat ihm das geholfen, seine Ideen fertig zu formulieren, und es hat sehr schön zur Musik gepasst. In der Story geht es um einen Astronauten, der rausgeschickt wird, um nach anderen Welten Ausschau zu halten, denn die Erde ist nicht mehr länger bewohnbar. Er begegnet außerirdischen Lebensformen aus Methangas und verliebt sich dann in eine „Methanin“ und sie betreten zusammen den Dancefloor. Eine seltsame Geschichte, und wir dazu mit unserem sonderbaren Musikgeschmack, das passte wunderbar. Melvin sagte: „Don’t mess with my story, and I ain’t gonna mess with your music.“ Das war eine großartige Form des Arbeitens. Wir mussten sehr genau darauf achten, wo seine Worte in die Musik reinkommen würden. Es gibt eine große Spannung, die dem Album zugrunde liegt. Wir haben uns ja schon darüber unterhalten, wie wir die Geräusche machen. Hier mussten wir uns also überlegen, wie wir das Geräusch eines Raumschiffs erzeugen, und das Geräusch des Alls selbst, wo es ja keinen Schall gibt, aber niemand wird ja für ein Album bezahlen, auf dem nur Stille ist! Also überlegten wir uns, was für Geräusche es auf einem Raumschiff gibt, viel Metall, viel Echo, viele verzerrte Laute. Wir hatten ein Yamaha CS 50, eines der frühen polyphonen Röhrenkeyboards, Vangelis benutzt es auch und Stevie Wonder. Wir würden nie ein digitales Keyboard verwenden. Dieses Keyboard ist fantastisch, du kannst all diese seltsamen organischen Sounds damit erzeugen. Wir hatten auch einen russischen Synth, mit dem du die einkommenden Sounds modulieren kannst. Das hört sich dann auf dem Melvin-Album an, als ob ein Keyboard sich rückkoppeln würde, aber in Wirklichkeit war es ein Radiosender, den wir durchs Keyboard geschickt haben, doch die Stimme erkennt man nicht mehr. Du könntest das Sampling nennen, aber es ist keins, denn wir verwenden ja nicht das Ausgangsmaterial, sondern uns dient ja nur der Puls der Sprache, und wir waren danach interessiert, wie das klingen würde, wenn sich der Sprachrhythmus in einen Keyboardsound verwandelt. Wir haben so viele Sachen ausprobiert, ein richtiges Laboratorium von Sounds entwickelt, die wir dann alle zur richtigen Zeit einsetzen konnten.
Ist „The Last Transmission“ quasi eine „Space Oddity 2.0.“?
Ferguson: Aus unserer Perspektive ja. Ich denke Melvin wird nicht zur Erde zurückkehren, er hat sich entschieden, diese außerirdische Lebensform zu werden. David Bowie dagegen ist ja zur Erde zurückgekommen, oder? Melvin nicht, er ist noch da.
Wie habt ihr diese verrückten Radiosounds erzeugt?
Ferguson: Das war ein Bangladeshi-Sender aus London, jemand der auf Mitttelwelle auf Bengali redet, und das haben wir dann in einen Keyboardsound verwandelt. Auch Modulationen zwischen Sendern haben wir verwendet. Wir haben überhaupt eine Menge Sachen versucht. Wir sind große Fans von Halleffekten, teils haben wir die Instrumente erst durch die Reverb-Einheit geschickt und dann gab es solche Blitzgeräusche. In unserem Studio haben wir eine Menge Röhrenverstärker und Transistoren. Da es unser eigenes Studio ist, haben wir ja jede Menge Zeit zu experimentieren. Das Mixen ging sehr schnell, bei manchen Tracks noch in der gleichen Nacht, in der wir aufgenommen haben. Malcolm hat einen Moogerfooger-Effekt auf den Kickdrums verwendet, und plötzlich hörte sie sich wie eine Rhythmusgitarre an. Auch für Bass und Gitarre haben wir viele Effekte benutzt. Wir haben wirklich jede einzelne „Waffe“ aus unserem Schrank geholt und sind an die Grenze gegangen. Die Leute, die die alternative Seite der Heliocentrics mögen, die werden dieses Album lieben. Es ist schwierig zu sagen, was unsere Einflüße waren, es gibt vielleicht ein bisschen Widerhall von Bands wie Can oder den Silver Apples, aber eigentlich haben wir das Tape angeworfen und gespielt.
Ich fand in „Blue Mist“ große Verwandtschaften mit der freien Passage aus Pink Floyds „Echoes“…
Ferguson: Nun, niemand von uns hat Pink Floyd gehört, da bin ich sicher. Also kommt das durch kosmische Interferenzen, oder durch Zufall. Man kann nichts Neues mehr erfinden, denn es gibt so viel Musik da draußen, zum Beispiel funky und seltsame Musik aus Japan, und dann stellst du fest, die ist ja schon 40 Jahre alt. Wir halten einfach die Tradition des Experimentierens weiter am Laufen.
Wie würdet ihr also das Ergebnis nennen? Space-Oper oder „Radio Play“, im wahrsten Sinne des Wortes?
Ferguson: Wir wollen das eigentlich verhindern, uns selbst in irgendwelche Kategorien einzuordnen. Wenn Leute über uns schreiben, benutzen sie oft das Wort „psychedelisch“, und ja, das Melvin-Album ist sehr psychedelisch. Dabei gleicht es aber in keiner Weise der psychedelischen Musik aus den USA oder dem UK der Sechziger. In diesem Sinne ist es also irreführend. Das ist Sache der Journalisten, mit Labels zu hantieren, wir sagen dazu einfach: „experimentell“.
Wäre es möglich, „The Last Transmission“ auf der Bühne zu kreieren, und würde Melvin van Peebles dafür nach Europa kommen?
Ferguson: Unser Label Now Again möchte gern drei Shows auf die Beine stellen, in New York, Paris und London. Melvin lebt in den Staaten, und es ist natürlich teuer, ihn irgendwo hinzukriegen. Es ist unwahrscheinlich, dass wir in der nahen Zukunft spielen werden. Eine Show wäre nie das Gleiche wie die Aufnahme, aber wir wissen, dass wir Visuals verwenden würden. Vielleicht 2015. Das ist ein großes Unterfangen, denn die Musik ist komplex, dick, hat viele Schichten.
Wie war die Reaktion von Melvin auf die Musik?
Ferguson: Er liebte die Musik. Das hat uns überrascht, denn wir dachten, es könnte für ihn vielleicht ein bisschen schrullig sein. Wir kannten sein „Brer Soul“-Album und den „Sweet Sweetback’s Baadasssss“-Song, einer meiner All Time-Soundtracks mit Earth Wind & Fire. Wir waren also gar nicht sicher, ob er es mögen könnte. Aber er war sehr begeistert. In Amerika hat er seine eigene Band, die traditioneller ist. Das Teamwork mit uns war für ihn also eine Möglichkeit, sein kreatives Selbst mehr auszuspielen, das hat ihm gefallen.
Was wird in der Zukunft bei den Heliocentrics passieren?
Ferguson: Wir arbeiten an unserem nächsten Album, also keine Kollaboration, sondern ein Werk unter unserem eigenen Namen. Wir haben jetzt eine Sängerin, eine Slowakin, die sich als Künstlerin Just B nennt, ihr eigentlicher Name ist Barbora Patkova. Sie hat ein paar sehr interessante Aspekte in ihrer Stimme, ihrer Persönlichkeit, ihrem Charakter, die sie in die Musik einbringt. Ein bisschen ist sie vom Punk beeinflusst, sie hat auch eine jazzy Stimme, aber auch fragil wie Nico, all diese Elemente hat sie. Für uns ist es sehr interessant, mit einer Sängerin zu arbeiten. Sie versteht, dass wir keine dreiminütigen Popsongs schreiben mit Chorus und Bridge, obwohl ein paar Tracks in dieser Form sein werden, aber es gibt auch sehr freie Formen, wo sie auf Englisch und Slowakisch dazu singt. Wir covern Sun Ras „Nuclear War“, wir covern ein Stück namens „The Wake“ von einer Band aus den Achtzigern. Es gibt auch andere Referenzen an Sun Ra und seine experimentelle Seite. Malcolm begeistert sich für 23 Skidoo, auch dieser Einfluss kommt durch, er war selbst in einer Achtziger-Band. Wir mögen alle die John Peel-Sessions von vor 30 Jahren, da entdecken wir immer neue Sachen. Also gibt es wieder eine Menge Einflüsse. Auf diesem neuen Album haben wir unsere besten Seiten mit einer Vokalistin zusammenegetan, da werden wir uns also vielleicht ein wenig mehr den Indie-Markt erschließen, das wird nicht zwangsläufig funky oder jazzy sein. Das wird nächstes Jahr rauskommen. Außerdem arbeiten wir an einem Soundtrack zu einem Dokufilm. Da geht es um zwei Typen aus San Francisco, die ihr eigenes LSD entwickelt haben.
Jake, ich danke dir für das Gespräch!
© Stefan Franzen