Joyce Moreno 70

                                                        Foto: Markus Kurz

Es war am 23.9.2005, als wir zu einem ganz besonderen Hausbesuch eingeladen waren. Die brasilianische Sängerin Joyce Moreno, seit Ende der 1960er eine Ikone der zweiten Bossa Nova-Generation, empfing Markus Kurz und mich im Rahmen einer Homestory fürs Magazin Jazz thing zuhause in Rio, um über ihre Plattensammlung zu sprechen. Unterhaltsam und hochspannend habe ich diesen Nachmittag in Erinnerung, ein grandioser Streifzug durch mehrere Jahrzehnte brasilianischer Musikgeschichte. Heute wird Joyce 70 Jahre jung, und ich möchte sie mit einem ebensolchen Streifzug durch sieben herausragende Stationen ihrer eigenen Karriere ehren. Bom aniversário, Joyce!

1. Nelson Angelo & Joyce Moreno: „Comunhão“ (1972)
Quelle: youtube

Anfang der 1970er suchte Joyce noch nach ihrem eigenen Ton. Nach der Veröffentlichung ihres etwas schwülstig-orchestralen Debüts von 1968 tat sie sich vier Jahre später mit dem Liedermacher Nelson Angelo aus Belo Horizonte zusammen, der der lyrischen Bewegung der Clube da Esquina verbunden war, unter anderem an der Seite von Milton Nascimento. Herausgekommen ist ein folkiges Kleinod mit leicht psychedelischen Anwandlungen, ein typisches Dokument seiner Zeit. Weiterlesen

Die DNA einer Nation

american jazz heroes II

 

Die Vereinigten Staaten sind mit ihrer ureigensten Sound-DNA, dem Jazz, oft nachlässig umgegangen. Signifikant, dass ein Ausländer dem Erbgut ein Denkmal setzt: Der deutsche Fotograf Arne Reimer veröffentlicht im Verlag der Zeitschrift Jazz thing nun bereits den zweiten Band der „American Jazz Heroes“. Indem er die klassische Interviewsituation aushebelt, findet er zu den 50 porträtierten Musikern einen tiefenscharfen Zugang, festgehalten in einer Fülle respektvoller, ungeschönter, manchmal fast magisch über den Moment hinausweisender Fotos.

Etwa in einem Porträt des 95-jährigen Sänger Jon Hendricks – in diesen dunklen Augen, die da über den Hudson River schweifen, scheint die Erinnerung an fast ein ganzes Jahrhundert voller Musik zu funkele. Viele der Altstars und ungesungenen Helden besucht Reimer zuhause, streift mit ihnen um den Block, lässt sich Anekdoten statt Chronologie erzählen. Entstanden ist so ein höchst intimer Bildband, der keine musikgeschichtlichen Betrachtungen liefert, sondern menschennahe, herzenswarme, auch schrullige Begegnungen. Und der auf diese Weise am Ende doch rhapsodisch amerikanische Jazzhistorie zusammenfügt.

Flötist Hubert Laws entrollt seine Karriere zwischen häuslicher Jamsession und Baseball-Gucken, in seinem schlossartigen Anwesen offenbart Gunter Schuller, er habe das Sessionfinale zu Miles Davis‘ „Birth Of The Cool“ in seiner Doppelfunktion als Waldhornist und Dirigent gerettet. Und von Sonny Rollins erfährt der Leser, warum er sich einst einen Irokesenschnitt verpasste, und dass er leidenschaftlicher Abonnent des Mad-Magazins ist. Von den unerwarteten Augenblicken lebt Reimers Buch: Weil Ornette Coleman Glühbirnen kaufen geht, bleibt der Fotograf allein in der Wohnung zurück. Als er ihn Jahre später ein letztes Mal trifft, erkennt ihn die Saxlegende ob ihrer Demenz nicht mehr. So durchzieht den Band auch immer die Melancholie der Vergänglichkeit:

Einige der porträtierten Musiker sind noch vor Buchveröffentlichung gestorben, ein paar andere verbringen ihren Lebensabend krank oder von der Öffentlichkeit vergessen in schäbigen Apartments. „Wenn ich mir meinen Kontostand angucke, fühle ich mich nicht wie eine Legende“, bekennt etwa Dizzy Gillespies Drummer Charlie Persip. Als sich Reimer vom Pianisten und Sänger Les McCann verabschiedet, der an den Rollstuhl gefesselt ist, bittet er ihn, die Tür offen zu lassen: „Was kann man hier schon stehlen? Das Wertvollste in dieser Wohnung bin ich.“ McCann formuliert vorausschauend für sich und seine Kollegen das, was einst auch der malische Schriftsteller Amadou Hampâté Bâ gesagt hat: „Stirbt ein Griot, so brennt eine ganze Bibliothek.“

© Stefan Franzen

Arner Reimer: American Jazz Heroes – Volume 2, Verlag Jazz thing