Klangreise zwischen Nuuk und Tucson

nive nielsen 3Foto: Promo

Nive Nielsen ist eine der momentan auffälligsten Persönlichkeiten der kleinen grönländischen Songwriterszene. Die Frau aus Nuuk hat ihre Musik mit ihrer amerikanisch-dänisch-schwedischen Band The Deer Children  zwischen der Wüste Arizonas und der Küste Westgrönlands zu einer verspielten bis melancholischen Indierock-Klanglandschaft entwickelt. Auf dem Rudolstadt Festival konnte ich sie zu einem – leider zeitlich knapp bemessenen – Interview treffen.

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Genialer Stubenhocker

ed motta 01

Lange hat es gebraucht, bis Europa ihn entdeckt hat. Dabei ist er für den brasilianischen Anspruchs-Pop, für raffinierten Funk und Soul made in Rio seit den Neunzigern das, was Tom Jobim für die Bossa Nova war. Zudem ist er: Wunderkind und Weinkenner mit eigenem Sommelier-Blog, Musicalschreiber, Filmesammler und Comic-Connoisseur. Um Ed Mottas Eigenschaften getreu abzubilden, ließen sich Seiten füllen. Und auch der Interviewtermin mit dem in jeder Hinsicht kolossalen Sänger, Keyboarder, Komponist und Arrangeur uferte mehrstündig aus. Anlässlich seiner neuen Platte Perpetual Gateways (Must Have Jazz/Membran) und bevorstehender Tourdaten in Deutschland und der Schweiz die besten Ausschnitte aus einem für mich denkwürdigen Gespräch.

Ed, weil du die europäische Kultur so liebst, bist du nach Berlin übergesiedelt. Wie kommt man als Carioca mit den deutschen Temperaturen zurecht?

Motta: Kein Problem! In Rio hatten meine Frau und ich eine so starke Klimaanlage im Apartment, dass sie sich immer beklagt hat. Und jetzt in Berlin sagt sie: „Geh doch mal raus, du liebst doch die Kälte.” Aber ich bin ein Stubenhocker, gehe kaum vor die Tür. Meine Musik entsteht im Innern meines Hauses, nicht aus Erlebnissen von der Straße. Sie entsteht aus absolut intellektuellen Erfahrungen, aus dem Studium meiner Platten- und Filmsammlung, da geht es nicht um das „wirkliche Leben”. Aber irgendwie ist das doch auch das „wirkliche Leben“, oder nicht?
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Tabubruch in Teheran

no land's song

„Gott hat für die Kommunikation bestimmte Frequenzen vorgesehen“, sagt der Religionsgelehrte. „Es ist einer Frau erlaubt, mit einem Mann normale Konversation zu betreiben. Aber wenn sie singt, ist die Gefahr da, dass wir uns an dieser Art der Konversation erfreuen.“ Und er vergleicht den weiblichen Gesang mit einem Käse, dem viele Zutaten beigemengt werden: Dieser Genuss, so meint der alte Mann, der an einem Tisch voller Fruchtkörbe sitzt, würde einen ja auch verderben. Konsterniert schaut die Frau ihm gegenüber unterm Hijab hervor. Ihre Mission grenzt ans Unmögliche: Sara Najafi möchte entgegen aller Direktiven des Mullah-Regimes in Teheran ein internationales Konzert mit fünf Solosängerinnen auf die Beine stellen.

„Die weibliche Stimme ist sehr wichtig für mich in der Musik, und sie droht im Iran vergessen zu werden“, so die Komponistin. Man hat ihr geraten, doch ein Instrument zu studieren, sonst würde sie eh‘ in der Küche enden. Denn seit 1979 dürfen Frauen im öffentlichen Raum nur noch als Backgroundchor agieren, mindestens ein Sänger muss auf der Bühne dabei sein, um ihre Frequenzen zu „neutralisieren“. Schon einmal, vor fast hundert Jahren, eroberte sich eine Frau in Persien gegen alle Widerstände die Bühne, die legendäre Qamar, die mit ihren Liedern über Willkür und Tyrannei international Ruhm erlangte. Vor der Errichtung des Gottestaates gab es ein Vergnügungsviertel in der Stadt, die größten Stars der iranischen Musikszene waren Frauen wie Delkash und Googoosh, heute „Illegale“, deren Cassetten nur heimlich verkauft werden. Sie sind Leitbilder für Najafi, deren Bruder Ayat, ein in Berlin lebender Regisseur, aus dem Spießrutenlauf der Schwester einen genauso beklemmenden wie berührenden Film gemacht hat.  Er feiert in der kommenden Woche (ab 9.3.) Deutschlandpremiere.

Man kann die Paranoia des Teheraner Alltags hautnah spüren: Immer wenn Najafi bei staatlichen Behörden vorspricht, bleibt die Leinwand konsequent zensurschwarz. Straßenverkäufer und Musikalienhändler blicken sich vorsichtig um, bevor sie den Mund aufmachen. Doch es gibt die privaten Oasen, etwa, wenn Najafi im Garten sitzt mit ihren Mitstreiterinnen. Dort berichtet Parvin Namazi wehmütig von einer Zeit, die noch musikalische Freizügigkeit kannte. Und die klassisch ausgebildete Sayeh Sodeyfi, die männliche Studenten unterrichten, ihnen aber nur die Theorie erklären darf, findet ein poetisches Bild für die heutige Unterdrückung: „Nicht singen zu dürfen, das ist, als hörte für einen Maler die Farbe Rot auf zu existieren.“

Von ihren Landsfrauen baut Najafi eine Brücke zu den Pariser Gesangesschwestern Élise Caron, Jeanne Cherhal und Emel Mathlouthi – auch wenn noch gar nicht klar ist, ob ihr gemeinsames Projekt auf die Bühne kommen kann. Engagiert und behutsam erarbeiten alle Beteiligten das Programm. Erleben einen absurden ideologischen Eiertanz, müssen Visa- und Zensurhürden überwinden. Suchen eifrig diskutierend Wege der Verständigung über die so unterschiedlichen Verhaltensregeln und Tonsysteme. Resignieren ob der bürokratischen Knüppel, die ihnen zwischen die Beine geworfen werden. Und schöpfen neue Hoffnung, als der liberalere Rouhani Präsident wird. Die vom Stimmenfestival auch bei uns bekannte Mathlouthi ist schon einen Schritt weiter als Najafi, hat in ihrer Heimat die Revolution singend begleitet. Und sie ist es auch, die tragischerweise das gesamte Unternehmen gefährdet, durch einen simplen Facebook-Eintrag.

Ob schließlich der beherzte Vorstoß der Frauen und ihrer männlichen Begleitinstrumentalisten glückt, sei hier nicht verraten. Man muss nach den 90 Minuten tief durchatmen, kann vielleicht kaum die Tränen zurückhalten. „No Land’s Song“ ist eine der wichtigsten Musikdokus der letzten Jahre, denn sie führt eindringlich vor Ohren: Wo immer sich eine Religion über Menschenrechte und kulturelle Freiheit stellt, dürfen wir nicht schweigen.

© Stefan Franzen

anlässlich des deutschen Kinostarts ist das No Land’s Song-Ensemble im Pavillon Hannover (21.3.) und in der Niedersächsischen Landesvertretung Berlin (22.3.) zu hören.

No Land’s Song – Trailer
Quelle: youtube

Persephone und die Bagpipes

alejandra riberaFoto: Kristina Wagenbauer

In Stuttgart konnte ich diese Woche die Frau treffen, die für mich sowohl das Album als auch den Song des Jahres aufgenommen hat. Die argentinisch-schottische Songwriterin Alejandra Ribera ist in Toronto aufgewachsen, und hat entlang von Klassik, Folk, Latin-Einflüssen, Vorbildern wie Odetta und Jane Siberry ihre eigene Stimme herausdestilliert – eine Stimme, die mit ihren vielen dunklen, hintergründigen, feinfühligen Schattierungen unter die Haut geht. Hier folgt das weitgehend ungekürzte Gespräch mit Alejandra, das ich anlässlich der deutschen Veröffentlichung ihres zweiten Albums La Boca mit ihr geführt habe.

Alejandra Ribera: „I Want“
Quelle: youtube

Alejandra, du hast einmal gesagt, La Boca sei dein erstes richtiges Album. Aber es ist ja nicht der Start aus dem Nichts. Vielleicht kannst du umreißen, was dich während deiner Jugend beeinflusst hat, wie du deine persönliche Farbe in der Musik gefunden hast.

Ribera: Meine Mutter und meine Großeltern hatten wunderschöne Singstimmen. Wir haben zuhause immer gesungen, einfach zum Spaß. Da kommt die starke schottische Tradition durch. Aber sehr früh zog mich auch die klassische Musik an und ich studierte mit einem Chor. Das hat mir die Basis für die Technik gegeben, ich lernte, wie ich die Stimmenmuskulatur aufbauen kann. Ich habe dann auch angefangen, faszinierende Stimmen zu entdecken, Odetta zum Beispiel, die hat mich völlig umgehauen und ich versuchte, sie zu imitieren. Ich experimentierte so lange herum, bis ein Destillat herauskam, dass ich meine eigene Stimme nennen kann. Weiterlesen

„Alle meine Träume sind im Iran“

alizadeh ghorbani zarbang

 Hossein Alizadeh, Alireza Ghorbani (3. und 2.v.l.) und ihre Ensemblemusiker

Im Iran ist er einer der meistgefragten und innovativsten Meistern der klassischen persischen Musik. Der Komponist und Lautenspieler Hossein Alizadeh stellt auf einer Europatournee (Tourdaten am Schluss des Interviews) derzeit sein neues Projekt „Liebestrunken“ mit dem Ensemble Zarbang vor. In Köln habe ich mit Alizadeh über Vita und Werk sowie über den schwierigen Alltag eines Musikers im „Gottesstaat“ gesprochen. Ich danke Nasi Shahin, die aus dem Farsi für mich übersetzt hat.

Herr Alizadeh, nicht allen deutschen Hörern mögen Ihre beiden Instrumente, die Tar und die Setar vertraut sein. Führen Sie uns doch kurz in ihre Besonderheiten ein.

Alizadeh: Die Setar ist etwas älter, hat ihre Wurzeln in Kurdistan, und sie gilt als einer der Väter der traditionellen iranischen Musikinstrumente. Da das Instrument nicht so laut und eher für die Privatsphäre gedacht ist, besteht eine sehr enge Verbindung zum Spieler, man hat sie ganz nah am Körper, am Herzen, und spielt es auch direkt mit den Fingern, im Gegensatz zur Tar, für die es ein Plektrum gibt. Die Tar wurde erst vor ca. 250 Jahren entwickelt, weil man einen Klang für größere Säle mit mehr Volumen haben wollte. Hier gibt es zwei herzförmige Resonanzkörper, diese Bauart dient der Verstärkung des Klangs und man findet sie auch in der persischen Architektur. Weiterlesen

Smockey – Burkina Fasos Held der „Pre’volution“

balai citoyen 2Foto: Outhere

Burkina Fasos Rapper und Bürgerrechtler Smockey hat mit seiner Bewegung Balai Citoyen vor einem Jahr den Diktator Blaise Compaoré gestürzt. Derzeit ist er in Europa auf der Bühne, erzählt von den überstandenen Turbulenzen in seiner Heimat und stellt sein Album „Pre’volution“ vor. Uns Europäern gibt er die Warnung mit: Weil ihr Waffen an unsere Diktatoren exportiert, bluten unsere Länder aus.

Im Büro seiner Münchner Plattenfirma Outhere hat Smockey ein langes Interview gegeben, das Georg Milz mir zur Verfügung gestellt hat und das ich transkribiert habe. Ein eindrückliches Beispiel dafür, wie sich ein Volk mit zähem und vereintem Willen von einem Autokraten befreit hat – unter Führung von Musikern, und mit einem schlichten Besen als Widerstandssymbol. Danke an Outhere für die eindrücklichen Fotos.

Outhere: Smockey, es war nicht so einfach für dich, hierher zu kommen. Vielleicht kannst du erklären, was du in den letzten drei Wochen durchgemacht hast.

Smockey: Wir hatten einen Putsch der Präsidentengarde des gestürzten Diktators Blaise Compaoré und mussten uns organisieren, um dieser schlimmen Situation zu begegnen und schnell zu reagieren. Denn schnell musste es gehen, wir wären sonst Gefahr gelaufen, dass sie an der Macht bleiben und wir die Errungenschaften der Revolution von 2014 verlieren. Wir haben uns also am Platz der Revolution versammelt, haben Leute zusammengetrommelt, sich uns anzuschließen und sind zum Präsidentenpalast marschiert. Als wir noch ein paar Hundert Meter vom Palast entfernt waren, haben sie begonnen auf uns zu schießen. Es wurde sehr gefährlich, wir mussten uns in den Hausblöcken verstecken. Die RSP (Präsidentengarde) hat vor allem nach den Anführern unserer Bewegung Balai Citoyen gesucht. Nach Hause zurück konnte ich nicht, ich musste mich verstecken und habe meine Familie angerufen, damit sie sich verrammeln. Über Facebook und per SMS haben wir unsere Untergrundkämpfer mobilisiert. Denn unsere zweite Strategie war es, alle Zugänge zu und Ausgänge von Ouagadougou zu blockieren, den RSP zu lähmen. Die Bevölkerung von Ouagadougou, eigentlich von ganz Burkina Faso war sehr entschlossen, diesen Putsch zu stoppen.

Outhere: Hast du an irgendeinem Punkt gefürchtet, dass sie dich fangen würden? Weiterlesen

Tropischer Fado-Flirt

carminhoFoto: Leo Aversa

Carminho ist Portugals größte Fadosängerin der heutigen Generation. Mit ihrem Quartett eröffnet die 30-jährige am 1.10. die Saison im Lörracher Burghof und bringt ihr drittes Album Canto mit. Hier folgen zur Einstimmung Auszüge aus zwei Interviews, die ich mit Carminho in den letzten Monaten geführt habe. Weiterlesen

Hoffnung für Tunesien?

emel mathlouthi 1

Ich setze heute meine Reihe der Interviews mit Sängerinnen aus der arabischen Welt fort.

Während der Jasminrevolution wurde sie in ihrer Heimat Tunesien mit dem Lied „Kelmti Horra“ („meine Rede ist frei“) zur Symbolfigur der Jugend. Heute steht Emel Mathlouthi an der Spitze der selbstbestimmten Künstlerinnen mit arabischen Wurzeln, lebt in Paris und New York. Anlässlich ihres bevorstehenden Auftritts beim Stimmen-Festival in Lörrach (Rosenfelspark, 21.7.) habe ich dieses Interview mit ihr geführt – wenige Tage vor den Anschlägen auf den Badeort Sousse, der einige ihrer optimistischen Ausblicke hoffentlich nicht zunichte machen wird.
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„Die Schweiz braucht eine klare Vision“

sophie hunger - supermoon

Eigentlich wollte sie nach einem unaufhaltsamen Überflug von sechs Jahren eine Auszeit in den Staaten nehmen. Doch in Kalifornien fing Sophie Hunger gleich wieder an Songs zu schreiben. Auf dem Marktplatz Lörrach stellt sie beim Stimmen_Festival am kommenden Samstag, 18.7. das Resultat, ihr Album „Supermoon“ vor. Ich habe mit ihr über das neue Werk, ihre Zeit in den USA, die Männer in Berlin und ihre Sicht auf die Schweiz gesprochen.

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„Ich bin ein ballad guy“

Wenn nach wochenlanger Konzertdürre urplötzlich an allen Orten Deutschlands gleichzeitig hörenswerte Shows über die Bühne gehen, von denen man dann zwangsläufig die Hälfte verpassen muss, kann das nur eines heißen: Der Juli steht vor der Tür. Das Stimmen-Festival Lörrach hat sich unter seinem neuen künstlerischen Leiter Markus Muffler erkennbar von der Musik aus aller Welt abgewandt. Trotzdem präsentiert man im Dreiländereck einige Programmpunkte, die sich wohltuend vom üblichen Festivalbetrieb abheben.

Dazu gehört in allererster Linie der Auftakt am 2.7. mit Ivan Lins, einem der größten Songwriter der Welt (sorry, schon wieder so ein Superlativ, aber ich bin mit dieser Meinung nicht allein). Der Lokalkolorit-Clou: Lins hat auf seiner CD „Cornucopia“ mit dem brasilophilen Freiburger Musikprofessor Ralf Schmid und der SWR Big Band kollaboriert. Was es damit auf sich hat, im nachfolgenden Interview, das ich mit Lins geführt habe, als der völlig überraschend 2011 in Freiburg eintrudelte.

Und an dieser Stelle noch etwas verspätet:
Bom aniversário, Ivan!
Der Mann ist vorgestern unfassbare 70 geworden.
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