Listenreich III: 25 Konzerte für 2025

Ledisi, Heidecksburg Rudolstadt 4.7.2025
WINTER
„Ohren auf Weltreise“ feat. Awa Ly & Lucie Cravero 01.02.
 Alondra de La Parra, David Enhco, Duisburger Philharmoniker, Mercatorhalle Duisburg 19.02.
 „Ohren auf Weltreise“ feat. Matthieu Saglio, Schloss Allensbach / Stadtscheuer Waldshut 14.+15.03.
Aynur, Theater Freiburg 16.03.
FRÜHLING
Arezoo Rezvani & Liron Meyuhas, Tamburi Mundi 20.04.
Sophie Hunger, Kaserne Basel 03.05.
Marco Mezquida Trio +Matthieu Saglio Quartet, Gare du Nord Basel 05.05.
Salvador Sobral, Stadthalle Waldshut 17.05.
„Alcina“ (Georg Friedrich Händel), Maeve Höglund u.a., André de Ridder, Philharmonisches Orchester Freiburg 18.05.
„Éclairs de L’Au-Delà“ (Olivier Messiaen), Philharmonisches Orchester Freiburg, André de Ridder, Konzerthaus Freiburg 27.05.
„Sinfonie der Tausend“ (Gustav Mahler), Tonkünstlerorchester, Yutaka Sado, Musikvereinssaal Wien 04.06.
„Das Lied von der Erde“, (Gustav Mahler), Wiener Philharmoniker, Iván Fischer, Konzerthaus Wien 05.06.
Joolaee Trio + Wishamalii, Porgy & Bess Wien 06.06.
„Der Rosenkavalier“ (Richard Strauss), Ann-Beth Solvang u.a., Georg Fritzsch, Badische Staatskapelle, Badisches Staatstheater Karlsruhe 19.06.
SOMMER
Rita Payés, JazzBaltica Timmendorfer Strand 27.06.
Ledisi & Thüringer Symphoniker Saalfeld-Rudolstadt, Heidecksburg Rudolstadt 04.07.
Daniel Lazar & Almir Meskovic, Theater Rudolstadt 06.07.
Maxjoseph, Stadtkirche Rudolstadt 06.07.
ELSA, Jazzhaus Freiburg 20.09.
HERBST
Carolin Trischler, Jazzhaus Freiburg 23.09.
Owen Pallett & Philharmonisches Orchester Freiburg, André de Ridder, Theater Freiburg 8.10.
Simin Tander, Jazzhaus Freiburg 19.10.
Sílvia Pérez Cruz & Salvador Sobral, Elbphilharmonie Hamburg 17.11. / Philharmonie Köln 21.11.
Pedros Klampanis Trio, Jazzhaus Freiburg 30.11.
Monty Alexander Trio, Tonhalle Villingen, 13.12.
alle Fotos © Stefan Franzen

Bruderseelen

Matthieu & Camille Saglio
Al Alba
(ACT/edel)

Ich freue mich sehr, dass der von mir überaus geschätzte Cellist Matthieu Saglio, der mich noch Mitte März auf meiner kleinen „Ohren auf Weltreise“-Tour begleitet hat, sein neues Album Al Alba herausbringt. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit mit seinem Bruder, dem Sänger Camille Saglio, und zusammen erschaffen sie eine imaginäre Welt zwischen mediterranem und arabischem, afrikanischem und barockem Klangraum, Fantasiesprache inklusive.

Über dieses Werk zweier verwandter Bruderseelen habe ich mit Matthieu gesprochen, meinen Beitrag sendet SRF 2 Kultur am Dienstag, den 29.04. ab 20h in der Sendung Jazz & World aktuell mit Moderator Roman Hosek. (Wiederholung am Freitag, den 2.5. ab 21h)

Im Quartett wird Matthieu auf dem Offbeat Festival Basel in der Gare de Nord in einem Doppelkonzert mit dem Trio des menorquinischen Bassisten Marco Mezquida zu hören sein: Offbeat Concert | Matthieu Saglio Quartet; Marco Mezquida Trio.

Camille & Matthieu Saglio: „Iberian Ballad“
Quelle: youtube

Green Belt Of Sound 10: The Art Of Duo & Trio

Dieser Blog wird heute 10 Jahre jung.

Was 2014 mit Konzertberichten zum Electric Light Orchestra und Kate Bush in London begann, hat sich in nahezu 900 Beiträgen über die Roots Music, Jazz, Songwriting, Pop und auch gelegentliche Ausflüge in die Klassik in Interviews, Konzertberichten, Rezensionen – und leider auch vielen Nachrufen auf zwischenzeitlich gestorbene Künstler – zu einem hoffentlich immer lesenswerten, spannenden und vielseitigen Online-Journal jenseits der Zwänge der Musikindustrie gemausert.

Mir hat es immer großen Spaß gemacht – und ich gehe trotz der schwierigen Zeiten in so vielen kulturellen und weltpolitischen Lebensbereichen mit Schwung ins zweite Jahrzehnt.

Feiern möchte ich die 10 Jahre Green Belt of Sound mit einer ganzen Reihe von Reviews, die allesamt intime und teils auch spirituelle Musik herausheben, die in diesem Herbst aktuell ist. Denn gerade aus der Ruhe erwächst oft große Kunst.

In diesem Sinne – lauscht der Stille…

Euer Stefan

Die kleine Bouzouki und der große Konzertflügel: Ob das funktioniert? Joel Lyssarides und Georgios Prokopiou überzeugen uns auf Arcs And Rivers (ACT/edel) aufs Feinste davon. Die versonnenen Dialoge zwischen dem schwedischen Pianisten und dem griechischen Langhalslautenisten lassen alle Zorbas-Klischees hinter sich. Die Bouzouki wird zum freigeistigen Tänzer, zum schwebenden Akteur über den Ostinati des Klaviers („Echoes“), findet sich auch in ein barockes Ausgangsmotiv hinein. In Stücken wie „Kamilieriko Road“ übernimmt sie dann auch mal kraftgeladen die Führung durch eine klar dem Rembetiko zuzuordnende Atmo. Eine echte und äußerst fruchtbare Begegnung.

Der Kamancheh-Virtuose Misagh Joolaee hat sich mit seiner Gattin, der klassischen Pianistin und J.S.Bach-Spezialistin Schaghajegh Nosrati, und dem Perkussionisten Sebastian Flaig zum Joolaee Trio zusammengefunden. Morgenwind (GWK Records) zeigt, wie sich die verschiedenen Sujets der Akteure in vorrangig Eigenkompositionen zu einer neuen Klangsprache verzahnen. Auch hier erstaunlich, wie ein fragiles, obertonreiches Instrument wie die Stachelgeige und das Volumen eines klassischen Flügels in ein gleichberechtigtes Miteinander finden. Schmerzlich-getragene Töne wie in „Be Hich Diyar“ (den iranischen Protestierenden gewidmet) wechseln mit tänzerischer Rasanz („Mehrabani“, „Erzincan Düz Halayi“). Eine Fuge, herausragender Moment der CD, wird mit orientalischer Skala gebaut und überrascht mit dem Klang der Steinmarimba. Flaigs Schlagwerk agiert mehr farb -als beatgebend, Joolaees Geige hingegen übernimmt in Pizzicati und Klopftechniken auch perkussive Aufgaben. Dieses Trio wirft Ost-West-Klischees spielerisch über Bord. Anspieltipp: das von einem zarathustrischen Ritual befeuerte „Sharar“.

In eine klanglich sehr weit entfernte Welt entführt uns das koreanische Frauenduo Dal:um. Korea ist Wölbbrettzither-Land, und auf Coexistence (Tak:til/Glitterbeat) lässt sich eine zwar von der traditionellen, teils höfischen Gugak-Musik inspirierte, aber durch und durch moderne, catchy Zwiesprache von Gayageum und Geomungo erleben, zwei Vertretern dieser weitverzweigten Familie. Das Hartholz des Blauglockenbaums bietet das Baumaterial für diese Zithern, die kraftgeladen, harsch, perkussiv und dennoch lyrisch klingen, Durch das Bending der Saiten entsteht gar so etwas wie eine “bluesig-soulige” Anmutung. Die transparente Unterhaltung der beiden Instrumente lebt von der klaren kontrapunktischen Rollenverteilung zwischen Bass und Melodiebereich. Und plötzlich tönt Fernost gar nicht mehr so fern.

Wenige von uns verfügen über synästhetische Fähigkeiten, können Musik also in Beziehung setzen zu Farben oder gar Gerüchen. Der Klarinettist David Orlowsky zählt zu den Glücklichen und versucht auf Petrichor (Warner Classics) mit seinem Trio an Gitarre und Percussion, für ihn prägende Düfte in Töne zu übersetzen. Das Odeur von Marrakesch manifestiert sich in einer geheimnisvoll geschwungenen Nostalgie über Marimbaphon, Lissabons Gassengeruch verdichtet sich in einer schreitenden Walzermelancholie. Doch nicht nur Orte verfangen in Orlowskys Miniaturen: „Patchouli“ oszilliert zwischen Flamenco- und Klezmer-Atmo, „Lavender“ weht wie eine wehmütige Abendmeditation in die Ohren. Am schönsten ist aber, wie sich der Zitronenduft klanglich verfestigt – gar nicht säuerlich, sondern als zärtlich tänzelnder Schwebezustand.

Dass sie sich – zusammen mit Perkussionist Paco de Mode bereits zum dritten Mal zum Trio-Gipfel auf CD treffen, zeugt von ihrer tiefen Verbundenheit und ihrem blinden Verständnis. Und so machen der menorquinische Pianist Marco Mezquida und der barcelonische Gitarrist Chicuelo auch Del Alma (Galileo) wieder zu einer spannungsvollen Zwiesprache, die zwar Flamenco-Intros und Rumba-Rhythmen einwebt, aber immer wieder die Souveränität hat, die Farben des Blues‘ und pianistische Einschwenkungen in die Música Latina zu unternehmen. Beide Akteure schöpfen aus ihrem hohen Können, das in einem Stück wie „Alalimón“ zu perfekter Verschmelzung führt und sie im Finalstück „El Faro De Los Deseos“ schon fast auf die Höhe eines romantischen Kunstliedes hebt.

Weit mehr als eine Kuriosität ist das palästinensisch-jordanisch-äthiopisch-finnische Trio Wishamalii. Ihr Debüt Al-Bahr (Nordic Notes) zentriert sich um das Klavier des Komponisten Kari Ikonen, das auf arabische Stimmung getunet ist. Die verhangene, ornamentale Stimme von Nemad Battah, wahrhaft ausgeklügelte Texturen mit persischem Hackbrett, Oud, zarter Geige, luftiger Trommelarbeit und flexiblen Synths schaffen eine Farbpalette, die in der arabischen Musik ziemlich einzigartig ist. Vielleicht gibt die Heimat Helsinki ja dieses atmosphärische Extra-Quäntchen hinzu.

© Stefan Franzen

Dal:um: „Cracking“
Quelle: youtube

Menorquinischer Tastensturm

Marco Mezquida
Tornado
(Galileo)

Marco Mezquidas Output kann man nur bewundern, jährlich erscheint ein neues Werk des 36-Jährigen, und das meist in anderer Besetzung. Jetzt ist der menorquinische Pianist mit neuem Trio – Masa Kamaguchi, b / Ramon Prat, dr –am Start. Tornado spart die folkloristischen Töne und klassischen Bezüge früherer Werke weitestgehend aus. Stattdessen widmen sich die drei Herren gleich im Intro geräuschhaften Experimenten, die dann öfters wiederkehren, etwa in „Bon Ball Tenim“ mit aquatischer Perkussion und dem Innenleben des Flügels. Das Titelstück ist tatsächlich ein Klang gewordener Wirbelsturm, der mit chromatisch tanzenden Piano-Linien, aufgekratzten Basslinien und Zimbelgestöber einen Sog entfacht. Taumelnde Taktwechsel gibt es in „Fellini“, das zwischen rasanten Klavier-Sextolen, bluesigem Vorwärtsheizen und kochenden Drums begeistert.

Balladeske Grandezza spielt Mezquida mit vollem Pedal in „Pasion“ und „I Love You Both“ aus, „Tifonet“ begibt sich mit Monk-artigen Läufen in den Dialog mit dem Bass, um dann im Refrain die große Showbühne zu betreten. Ein weiteres rasant-virtuoses Lehrstück von Polyrhythmik zwischen den drei Instrumentalisten malt man mit „Taifü“, um das Album-Motto der kräftigen Winde zu unterstreichen. Den Vogel aber in diesem gekonnten Kaleidoskop schießt „Beibita“ ab: Eine wimmernde Hammondorgel setzt hier dem Geschehen ein fast gospelartiges Krönchen auf. „Adios Abuela“ ist ein nachdenklich-meditiativer Schluss-Stein in diesem Mosaik. Weiterhin gibt es in Iberien keinen vergleichbaren Tastenmann mit derartigem Ideenfluss.

© Stefan Franzen

Marco Mezquida: „Tornado“ (Teaser)
Quelle: youtube

Listenreich II: 23 Alben für 2023

Aron & The Jeri Jeri Band (Neuseeland/Senegal): Dama Bëgga Ñibi (Urban Trout Records/Indigo)
Balimaya Project (UK): When The Dust Settles (New Soil)
Bixiga 70 (Brasilien): Vapor (Glitterbeat/Indigo)
Adriana Calcanhotto (Brasilien): Errante (Modern/BMG)
Sarah Chaksad Large Ensemble (Schweiz): Together (Clap Your Hands)
Joy Denalane (Deutschland): Willpower (Four Music)
Carla Fuchs (Deutschland): Songbird (Talking Elephant)
Gurdjieff Ensemble (Armenien): Zartir (ECM)
Yumi Ito (Schweiz): Ysla (enja records Yellow Bird)
Petros Klampanis (Griechenland/USA): Tora Collective (enja)
Baaba Maal (Senegal): Being (Atelier Live)
Maro (Portugal): Hortelã (Secca Records)
Masaa (Deutschland/Libanon): Beit (Traumton/Indigo)
Marco Mezquida (Menorca): Tornado (Galileo)
Bänz Oester & The Rainmakers (Schweiz/Südafrika): Gratitude (enja)
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien) Toda La Vida, Un Dia (Sony)
Golnar Shahyar (Iran/Österreich): Tear Drop (Klaeng Records)
Slowfox 5 (Deutschland): Atlas (rent a dog/AL!VE)
Salvador Sobral (Portugal): Timbre (Warner)
Faraj Suleiman (Palästina): As Far As It Takes (Two Gentlemen)
Dudu Tassa & Jonny Greenwood (Israel/UK): Jarak Qaribak (World Circuit/BMG)
West Trainz (Kanada): Rail Nomads (L-Abe)
Adrian Younge & Tony Allen: (USA/Nigeria): Jazz Is Dead 18 (International Anthem)

 

 

Klangfenster zu den Nachbarkünsten

Sílvia Pérez Cruz
Farsa
(Universal Spain)

Diese Platte hat eine lange Vorgeschichte. Eigentlich wollte Sílvia Pérez Cruz sie bereits im Frühjahr veröffentlichen – als Endresultat ihrer Beschäftigung mit den Nachbarkünsten Theater, Poesie, Tanz und Film, die sich bereits über zwei Jahre hingezogen hatte. Doch dann kam…wir wissen es alle. Und so blieben diese 16 Stücke nochmals ein halbes Jahr im Nirwana hängen, beziehungsweise im Netz, wo viel davon schon zu sehen und zu hören war.

Man könnte davon ausgehen, dass das Teamwork mit den anderen Disziplinen zu einem Konzeptalbum geführt hätte. Doch Farsa gleicht eher einem Kaleidoskop ohne zusammenhängenden dramaturgischen Bogen, selbst innerhalb der vier Kapitel (auf der Doppel-LP, deren Cover oben abgebildet ist, je eine Seite) ist die Variationsbreite so hoch, dass man keine Geschlossenheit in Besetzung, Instrumentation oder Stimmung erkennen kann. Pérez Cruz hat betont,  dass diese Brückenschläge für sie ein Experiment gewesen sind und genau diesen Charakter hat Farsa bis ins Endstadium auch nicht abgelegt.

Was nicht heißen soll, dass mitunter nicht großartige Songs darauf zu finden sind: „Pena Salada“ etwa, der Eröffnungstrack, der mit dem Perkussionisten Aleix Tobias in eine Urschicht spanischer Folklore entführt, oder das jazzige „Estimat“, das genauso eine Komposition aus der Blütezeit des kubanischen Bolero sein könnte. „Todas La Madres Del Mundo“ ist ein wunderbar wiegendes Loblied auf die Kraft der Mutterschaft (ein zweiter, latenter Faden durch das Werk) mit großem Akustikensemble, aufgeladen mit der dramaturgischen Kraft der Streicher und einer Melodie, die Pérez Cruz Stimme so zur Wirkung kommen lässt, wie sie am meisten glänzt – im ruhigen Fluss mit nur ganz spärlichen expressiven Ausbrüchen. In „Mañana“ wiederum ist ihr ein Liebeslied gelungen, dass mitten aus der mexikanischen Terzenseligkeit stammt.

Farsa – CD-Cover

Mit „Grito Pelao“ erreicht Farsa seinen audio-visuellen Zenith: eine grandiose Kollaboration mit dem Gitarristen Mário Mas und der unorthodoxen Flamenco-Tänzerin Rocío Molina (siehe Video unten) – aus dem gemeinsamen Programm von Pérez Cruz mit ihr ist auch der Titel entlehnt. Auch der anschließende Tango ist ein Meisterwurf, featuret nicht nur den Bandoneón-Könner Marcelo Mercadante, sondern auch ein Outro mit Waldhörnern, die hier eine völlig genre-untypische Farbe ins Spiel bringen. Dann allerdings fasert das Geschehen ausgerechnet auf der Danza-Seite ohne rhythmisch klare Linie ins Deklamatorische und Sphärische ab – vielleicht ist dies mein Hauptkritikpunkt am Album: dass Momente der Band-Stringenz einfach zu selten sind.

Versöhnlicher wieder die finale Sektion, dem Kino gewidmet: Wie in „Plumita“ der Flug einer Feder erst mit Oberton-Streichern und dann im Pizzicato-Taumel ausgestaltet wird, geleitet von traumhaft flexiblen Vocals, das ist Sílvia Pérez Cruz in Höchstform. Und mit ihrer Lesart von „The Sound Of Silence“ aus dem Soundtrack zu Álvaro Brechners „La Noche De 12 Años“ hat die Katalanin einen totgenudelten Klassiker  zwar fast neu erfunden – doch die jüngere, gitarristischere Live-Version, die nicht auf Farsa enthalten ist,  hat viel mehr Zunder. Ein bisschen angeklebt wirkt die explosive Rausschmeisser-Milonga, doch man wünscht sich fast ein ganzes argentinisches Album von Pérez Cruz als nächsten Schritt ihrer Karriere, so fantastisch ist das gesungen.

Ich mochte dieses Doppelalbum anfangs nicht sehr, was bei meiner Vorliebe für die Sängerin schon bemerkenswert ist. Immer noch finde ich es sperrig und stellenweise so heterogen, dass es fast auseinanderfällt. Die Klasse vieler einzelner Kapitel ist aber unbestreitbar und selbst ein paar Verklammerungen gewinne ich bei jedem Hören. Und dieser allmähliche Gewinn anstatt unmittelbarer Überwältigung zeichnet ja oft große Meisterwerke aus.

© Stefan Franzen

Sílvia Pérez Cruz: „Grito Pelao“
Quelle: youtube

 

Menorquinisches Multitalent

Foto: Mireia Miralles

Er wuchs mit der Volksmusik Menorcas und der Pyrenäen auf, schulte sich am US-Jazz genauso wie an Ravel, Skrjabin und J.S.Bach.
Marco Mezquida wird von Kollegen der spanischen Presse als „Jahrhundertmusiker“ gelobt. Mit 33 hat er bereits über 20 Alben veröffentlicht, sein Repertoire reicht von Duo-Aufnahmen mit der katalanischen Sängerin Sílvia Pérez Cruz über Solo-Improvisationen und Flamenco-Kollaborationen bis zur jazzigen Trio-Arbeit.

Mit dem kubanischen Cello-Virtuosen Martin Meléndez und derm Schlagwerker Aleix Tobias hat er seine neue Scheibe „Talismán“ eingespielt, über die ich mit ihm gesprochen habe. SRF 2 Kultur bringt meinen Beitrag am Dienstag, den 17.11. in der Sendung „Jazz & World aktuell“ ab 20h, Wiederholung am 20.11. ab 21h.

Hier zu hören im Stream:
https://www.srf.ch/audio/jazz-und-world-aktuell/mit-jodok-hess?id=11859775

Marco Mezquida: „All Of Me“ (live at Palau Barcelona)
Quelle: youtube

Katalanisches in Fernost

Sílvia Pérez Cruz & Marco Mezquida
MA. – Live In Tokyo
(Universal Music Spain)

Ihr neues Band-Album Farsa hat die katalanische Sängerin Sílvia Pérez Cruz wegen der Pandemie in den Herbst verschoben. Stattdessen veröffentlich sie digital nun eine Duo-Arbeit mit dem Landsmann Marco Mezquida am Piano. Vor zwei Jahren hatte ich das Glück, die beiden in Paris zu erleben, deshalb freue ich mich auf dieses Klangsouvenir an den Abend im Café de la Danse, auch wenn dieses hier 20 Monate später im Tokioter Blue Note eingefangen wurde, mit einem allerdings sehr ähnlichen Programm. Nur mit Stimme, Piano und ganz vereinzelt Gitarre ein Repertoire von Música Latina über Jazz und Pop bis zur sakralen Klassik zu bündeln, das kann leicht zum Sammelsurium werden. Nicht bei diesen beiden, die ein homogenes Universum daraus formen.

„MA“ geht auf das japanische Konzept des Raumes und der Stille zwischen zwei Dingen zurück – hier also des Atems zwischen zwei Noten, der Stille zwischen dem Verklingen und der ersten Reaktion der Lauschenden. Davon gibt es in diesem Konzert jede Menge. Wenn es auch noch recht „unauffällig“ mit Liedern aus der Feder von argentinischen und brasilianischen Cantautores eröffnet, geht es recht bald auf ungewöhnliche Pfade: Eine reizende Toy Piano-Miniatur von Radioheads „No Surprises“ und eine fast bluesige, in unterschiedliche Sektionen aufgefächerte Adaption des portugiesischen Volkslieds „Barco Negro“ schaltet das Duo nacheinander, die abgründige mexikanische Melancholiehymne „La Llorona“ wird mit perkussivem Piano vorgetragen. Wie Pérez Cruz‘ Stimme einen Folkklassiker improvisatorisch komplett umkrempeln kann, macht sie mit „The Sound of Silence“ vor, „Siga El Baile“ bringt dann überschäumende Tanzstimmung unters sehr zurückhaltende japanische Publikum. Am verblüffendsten dann das Medley aus Bruckners „Christus Factus Est“, „Lonely Woman“ und My Funny Valentine“: acht Minuten, die religiöse Erhöhung, eruptives Tastengewitter und verletzliche Jazz-Intimität in sich fassen. Das geht schlüssig nur bei solchen zwei Ausnahmetalenten.

Sílvia Pérez Cruz & Marco Mezquida: „Barco Negro“
Quelle: youtube

Listenreich III: 20 Konzerte für 2019

Sílvia Pérez Cruz, Café de la Danse Paris, 7.2.
WINTER
– Sílvia Pérez Cruz &  Marco Mezquida + Quinteto de Cordas (Katalonien) – Cafe de la Danse Paris, 7.2. + 8.2.
– Gyedu Blay-Ambolley (Ghana) – New Morning Paris, 8.2.
– Les Ballets de Monte Carlo (Monaco) – Théâtre des Champs-Elysées Paris, 9.2.
– Mayra Andrade (Cabo Verde) – Moods Zürich, 21.2.

Gyedu-Blay Ambolley, New Morning Paris, 8.2.
FRÜHLING
– JP Bimeni (Burundi/UK) – Schiff Freiburg, 19.3.
– Tonkünstlerorchester, Yutaka Sado (A/JP) – Gustav Mahler, Symphonie Nr.2 – Musikvereinssaal Wien 21.5.
– Franui & Guests (A/Verschiedene) – Festival „Gemischter Satz“, Konzerthaus Wien, 23.5.
– Anna Netrebko u.a. (Verschiedene) –  Umberto Giordano „Andrea Chénier“ – Staatsoper Wien, 24.5.

JP Bimeni, Schiff Freiburg, 19.3.
SOMMER
– Festivalensemble Boswil (Verschiedene) – Gustav Mahler, Das Lied von der Erde – Kirche Boswil 29.6.
– Ali Ghamzari (Iran) – Neumarkt Rudolstadt, 5.7.
– Ivan Vilela (Brasilien) – Theater im Stadthaus Rudolstadt, 7.7.
– Sudan Archives (USA) – Reithalle Riehen, 18.7.
– Andreas Gabriels Verändler (CH) – Museum Tinguely Basel, 30.8.

Ivan Vilela,  Theater im Stadthaus Rudolstadt, 7.7.
HERBST
– Danish String Quartet & Guests (Dänemark/Verschiedene) – Bygningskulturens Hus København, 3. – 5.10.
– Tony Allen (Nigeria/F) – Jazz No Jazz Zürich, 1.11.
– Daniil Trifonov (Russland) – Gewandhaus Leipzig, 7.11.
– Niels Frevert (Deutschland) – Jazzhaus Freiburg, 2.12.
– Arianna Savall Septett (Katalonien/N/D) – Forum Merzhausen, 7.12.
– Orchestre Philharmonique de Strasbourg, Ltg. Josep Pons (F/E) – Gustav Mahler, Symhonie Nr.6 – Palais des Congrès Strasbourg, 13.12.
– SWR Symphonieorchester, Ltg. Teodor Currentzis (D/GR) – Gustav Mahler, Symphonie Nr.9 – Konzerthaus Freiburg, 20.12.
Tony Allen, Jazz No Jazz Zürich, 1.11.
alle Fotos Stefan Franzen, außer Tony Allen Band (Marqs Kurz)

Freigeistiger Fluss

Chicuelo & Marco Mezquida
No Hay Dos Sin Tres
(DL/Galileo)

Wenn der Flamenco sich in Dialog mit Jazz und Klassik begibt, können dabei Höhenflüge entstehen. Das ist der Fall beim gemeinsamen Album des Gitarristen Chicuelo und des Pianisten Marco Mezquida. Vielleicht hat ihre Herkunft aus Barcelona und Menorca dazu beigetragen, dass sie weitab der reinen andalusischen Lehre mit dem Genre sehr freigeistig umgehen. No Hay Dos Sin Tres spielt – nur unterfüttert mit ein wenig Perkussion auf Cajón und Rahmentrommel (Paco De Mode) – hochvirtuos mit dem Urmaterial von Zapateado, Buleria, Tanguillo und gar einem Samba. Klavier und Gitarre formen daraus quasi Canciones ohne Vokalpart. Die acht Stücke strahlen im geistreichen Dialog und elegant tänzelnden Fluss, besonders Mezquida kostet die Register kontrapunktisch aus. Am ergreifendsten ist der melodische Überschwang in „Reloj De Arena“, wo sich sanfte Trompetenphrasen einfügen. Einen schöneren Sommersoundtrack kann man sich kaum wünschen.

Chicuelo & Marco Mezquida: „Romesco“
Quelle: youtube