Fotos: Stefan Franzen
João Bosco & Jacques Morelenbaum
Volkshaus Basel
22.10.2024
Sogar Polizisten haben geweint, als sie sein „O Bêbado E A Equilbrista“ auf Protestkundgebungen hörten, so ist überliefert. Mit diesem versonnenen Samba hat João Bosco seinem Volk Ende der 1970er eine hoffnungsvolle Hymne geschenkt, als die Dämmerung der brasilianischen Diktatur heraufzog. „Die Hoffnung tanzt mit einem Schirm auf dem Drahtseil, und mit jedem Schritt kann sie sich verletzen“, heißt es da. Als Bosco, der heute 78-jährige, dieses Lied am Ende seines Auftritts im Basler Volkshaus anstimmt, ist es andächtig ruhig. Viele wissen, es könnte das letzte Mal sein, dass sie den 78-Jährigen auf der Bühne erleben.
Man höre drei bis vier beliebige Platten von João Bosco aus verschiedenen Phasen seiner Karriere – und man erhält ein umfassendes Bild der modernen brasilianischen Musik. Mehr als alle seine gleichaltrigen Landsleute hat der Gitarrenpoet mit dem markanten Gesicht – Kennzeichen Vollbart und Barett – das ganze Kaleidoskop Brasiliens im Laufe von 50 Jahren beeindruckend gebündelt. Den Samba erhob er zu hochstehender lyrischer Kunst, integrierte Afrikanisches und Arabisches, Jazz und Soul in seine Kompositionen. Private Liebe genauso wie die große Politik fasst er in Vierminutengeschichten, kreiert meisterhafte Lautmalerei. Neben Gilberto Gil, Caetano Veloso und Milton Nascimento ist er ohne Zweifel die vierte männliche Säule der Música Popular Brasileira.
Eine Säule, die sich auf der Bühne noch hochlebendig und viril zeigt. Boscos Gitarrenspiel ist noch immer ausgefuchst, rhythmisch vielgestaltig, komplex und präzise. Seine Gesangsstimme ist ruppiger geworden, die Ecken und Kanten, die er vokal immer schon hatte, treten noch mehr zutage, er bellt besonders die afro-brasilianischen Anrufungstöne, die Verweise auf die Musik der indigenen Yanomami auch mal heraus, spielt geradezu rotzig und trotzig mit dem Klang des Portugiesischen, das nicht weich und rund, sondern fordernden Charakter annimmt. Eine ganz eigene Form von lusophonem Scat hat er da geformt.
Als lyrischer Gegenpol agiert sein Partner: Jacques Morelenbaum, noch Mitglied der letzten Band von Antônio Carlos Jobim, hat auch mit 70 wenig von seinem vollmundigen, empfindsamen Gesang auf dem Cello verloren. Große Gestaltungskunst ist es, wie er über die Ausgangsmelodien improvisiert, sei es bei einem Bossa-Klassiker wie „Desafinado“, oder in einem Intro, das aus dem „Concierto de Aranjuez“ von Joaquín Rodrigo gebaut wird. 90 Minuten mit zwei alten weißen Brasilianern, die doch die ganze Welt in ihrer Duokunst fassen – ein nicht nur nostalgisches, sondern aktuelles, kurzweiliges Ereignis.
© Stefan Franzen
João Bosco, Vanessa Moreno Jacques Morelenbaum, Mestrinho: „O Bêbado E A Equilibrista“
Quelle: youtube