Magdalena Ganter, der Name eurer Band ist sehr einprägsam, trotzdem wissen die Wenigsten, was sich dahinter verbirgt!
Ganter: „Mocke“ ist ein alemannischer Begriff für ein Stück, eine Einheit, und das Malheur ist ja im Französischen das Missgeschick. In der Kombination bekommt es bei uns aber eine etwas andere Bedeutung: ein schönes Missgeschick.
Auf eurem ersten Album Schwarzer Wald hast du noch Alemannisch gesungen, Riesen ist ausschließlich auf Hochdeutsch. Warum dieser Sinneswandel?
Ganter: Damals hat der Dialekt für mich Sinn ergeben, denn das war die Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln, die Besinnung auf die Herkunft, auch eine Art Verschlüsselung, da ich über die Region hinaus nicht verstanden wurde. Aber die nächste Stufe war: Hey, ich habe Lust verstanden zu werden und ich brauche mich nicht mehr verstecken. Denn jetzt fühle ich mich in Berlin angekommen, hier denke und schreibe ich auf Hochdeutsch. Es wäre ein Umweg, alles wieder ins Alemannische zu verpacken. Weiterlesen →
Sie sind die Hoffnungsträger ihres Volkes: Cynthia Pitsiulak und Annie Aningmiuq – zwei moderne arktische Frauen, die in ihrer zweiten Heimat Ottawa für die Bewahrung der Inuitkultur und -sprache kämpfen. Das tun sie durch ihre Arbeit für die kanadische Regierung und die Filmindustrie, aber auch durch die weltweite Vorstellung des Kehlkopfgesangs Katajjaq, der neben seiner spielerischen Komponente dazu dient, Kontakt mit mythischen Wesen und der Natur aufzunehmen. Ich konnte die beiden im Rahmen des KlangWelten-Festivals 2016 treffen.
Ganz bewusst stelle ich dieses Interview an den Anfang des Jahres 2017: Einige der gewaltigen Herausforderungen, denen wir uns in diesem und den nächsten Jahren gegenüber sehen, können nur bewältigt werden, wenn wir wieder mehr auf die indigenen Völker hören.
Innerhalb des Klangwelten-Festivals stellen Sie den Katajjaq vor, den Kehlkopfgesang der Inuit-Frauen. Erlebt der gerade ein Revival?
Cynthia Pitsiulak: Ja, es gibt auf jeden Fall ein Revival, der Katajjaq war lange Jahre nicht populär. Wann der Katajjaq angefangen hat, lässt sich nicht genau sagen, wir wissen, dass er Jahrhunderte alt ist und von Generation zu Generation übermittelt wurde. Als die Missionare in die Arktis kamen, verboten sie uns den Katajjaq. Wir haben ihn von den frühen 1900ern an verloren, bis er vor 40 Jahren wieder langsam zurück kam in die Inuitkultur. Heute ist er stärker denn je, es gibt viele Inuitfrauen und –mädchen, die ihn ausüben. Weiterlesen →
Als Nationalgenre übt der Fado in Portugal eine solche Gravitation aus, dass es schwierig ist, sich konsequent von ihm zu lösen. Cristina Branco hat es geschafft, genügend Fliehkraft zu entwickeln, indem sie sich mit der Indierock-Szene zusammengeschlossen hat. Kurioserweise ist Menina (VÖ 6.1.2017) gerade dadurch ihr reifstes Album geworden. In Köln konnte ich Cristina Branco zu ihrem neuen Werk befragen.
Auf Ihrem letzten Album Alegria sind Sie in die Schuhe von verschiedenen Persönlichkeiten geschlüpft. Auf Menina geht es weiter mit diesen Charakterporträts. Wie unterscheiden sich die beiden Alben?
Auf Alegria habe ich zwölf verschiedene Charaktere geschaffen, die ich verschiedenen Autoren gegeben habe. Die Charaktere waren nicht zwangsläufig Frauen, auch ein Clown war zum Beispiel dabei. Menina handelt aber ausschließlich von Frauen, ihrer Zerbrechlichkeit und ihrer Stärke. Im Portugiesischen können Frauen vom Moment ihrer Geburt bis zu ihrem Tod „menina“ genannt werden. Es ist das kleine Mädchen, die Tante, die eine alte Jungfer geblieben ist, die Witwe, die lange Beziehungsgeschichten hinter sich hat, auch die Prostituierte. Nur die verheiratete Frau heißt „senhora“. „Menina“ ist ein Kosewort, um Weiblichkeit zu feiern. Es wird auch verwendet, wenn man das Alter einer Frau nicht einschätzen kann. Ein blödes Beispiel: Als mir neulich ein Postbote ein Päckchen brachte, fragt er mich: „Sind Sie Menina Cristina Branco?“ „Und ich sagte: „Ja, das bin ich!“! Da war ich natürlich geschmeichelt. Ich fragte für dieses Album sehr junge Autoren an, sie kommen aus der portugiesischen Indierock-Szene. Ich bat sie, über mich zu schreiben. Sie sollten sich darauf konzentrieren, was ich heute bin, was ich bis jetzt getan habe, und versuchen, etwas über die Voraussetzungen zu schreiben, was es bedeutet, eine Frau zu sei. Eine Sichtweise junger Leute darauf. Und es geht nicht nur um mich: Es geht um ihre Mütter, ihre Geliebten, ihre Schwestern. Weiterlesen →
Trevor, wir kennen aus Kanada vor allem die Musik aus dem Osten mit Bands wie Arcade Fire. Was ist typisch für die Rockszene eurer Heimatstadt Edmonton?
Mann: Die Leute sind hier sehr entschlossen und zäh, das fördert die Kreativität. Stilistisch gesehen gibt es viel Countryverwandtes, damit sind wir aufgewachsen, auch wenn wir deisen Sound nicht unbedingt mochten. Selbst in unserem Indierock hört man die Prärie durch.
Das heißt die Natur hat einen großen Einfluss auf euer Songwriting?
Mann: Wenn du ein Produkt dieser Umgebung bist, dann passiert das organisch. Wir leben vier Stunden entfernt von den Bergen, aber genauso fährt man vier Stunden und landet im Herzen von Nirgendwo. Diese Weite spiegelt sich in unserer Musik wider, sie macht dich einsam, aber sie ist auch befreiend und öffnet deinen Geist. Wir versuchen, unseren Sound groß und weit zu machen, so dass die Leute denken, sie hören viel mehr als ein Trio.
Allein euer Bandname hört sich an wie eine Liebeserklärung an diese Weite…
Mann: Die Scenic Route to Alaska gibt es ja tatsächlich. Als wir auf der High School waren, sind wir da immer hingefahren und dachten: Was für ein cooler Name für eine Indieband! Er beschwört eine Menge Bilder herauf. Als wir dann unseren ersten Gig hatten, haben wir ihn ausprobiert, es kam positives Feedback, also haben wir ihn behalten.
Der CD-Titel Long Walk Home deutet darauf hin, dass die Songs weit weg von zuhause entstanden sind.
Mann: Ja, in Halifax im äußersten Osten, wo ich ein Praktikum gemacht habe. Da ich niemanden in der Stadt kannte, schrieb ich in meiner Herberge nachts all diese Songs. Ich musste außerdem eine Trennung verarbeiten, es steckt viel Heimatlosigkeit in den Texten. Es war, als ob mein Unterbewusstsein die ganze Zeit Geschichten nach oben spülte. Auf einen positiven Song könnte ich 100 traurige schreiben, aber ich sehe das nicht als etwas Depressives sondern Therapeutisches. Die Melodien zu den dunklen Texten sind ja teilweise trotzdem aufmunternd und positiv – diesen Gegensatz mag ich.
Kanadas Präsident Justin Trudeau hat den Kulturétat um 100 Prozent aufgestockt. Kommt davon auch etwas bei Bands wie Scenic Route to Alaska an?
Mann: Teile davon fließen natürlich in die Hochkultur. Gleichzeitig aber kommt Geld bis auf die Provinzebene durch, wir haben hier in Alberta etliche kulturelle Organisationen, die davon profitieren und das ist für junge Musiker wie uns absolut notwendig, wenn wir auf Tour gehen oder Studioaufnahmen machen. Gerade hier in Edmonton, das immer eine Arbeiterstadt war, schwimmst du als Musiker gegen den Strom, und wenn du als Indie-Band einen Teil vom Kuchen aus diesen Fonds bekommst, erlaubt das dir, dein Leben in eine ganz andere Richtung zu lenken.
Als Einstimmung zu den sicherlich rockigeren Konzerten hier ein akustisches Ständchen der drei aus dem Jahr 2013:
Scenic Route to Alaska: „Mountains“
Quelle: youtube
Tourdaten: 24.11. Nachtleben Frankfurt 25.11. The Great Räng Teng Teng, Freiburg 29.11. Unter Deck, München 30.11. De Gudde Wellen, Luxembourg 1.12. Wohnzimmer, Hildesheim 2.12. POSH Teckel, Berlin
Billy Bragg & Joe Henry Shine A Light (Cooking Vinyl/Sony)
Für einen Produzenten, der im Studio einen sehr eigenen, ausgetüftelten Sound schafft, müssen Feldaufnahmen wohl ein Graus sein. Nicht im Falle von Joe Henry: Mit seinem britischen Kumpan Billy Bragg nutzte er Schlafwagen, Gleise und Bahnhofshallen als Aufnahmeort. Die musikalische Zugreise quer durch die USA erscheint nun als Shine A Light. Zum Album habe ich Joe Henry interviewt.
Wenn die beiden Herren mit ihren Gitarren an diesem frühen Märzmorgen durch die große Halle der neoklassizistischen Chicago Union Station schreiten, fällt dem Zuschauer des Promoclips vor allem eines auf: die heutige Überdimensionierung des fast leeren Gebäudes. Bahnfahren in den USA scheint im Jahre 2016 kein großes Thema mehr zu sein. Fast beschwörend sagt Billy Bragg: „Wir wollen die Kunde verbreiten, dass es noch einen anderen Weg gibt, Amerika zu durchqueren.“ Die Idee des britischen Woody Guthrie-Verehrers und politisch engagierten Songwriters: Mit seinem alten Freund Joe Henry, der schon sein letztes Werk Tooth & Nail produziert hatte, die Staaten auf Schienen zu bereisen und die Unplugged-Reise auf einem Album zu dokumentieren. Weiterlesen →
Nive Nielsen ist eine der momentan auffälligsten Persönlichkeiten der kleinen grönländischen Songwriterszene. Die Frau aus Nuuk hat ihre Musik mit ihrer amerikanisch-dänisch-schwedischen Band The Deer Children zwischen der Wüste Arizonas und der Küste Westgrönlands zu einer verspielten bis melancholischen Indierock-Klanglandschaft entwickelt. Auf dem Rudolstadt Festival konnte ich sie zu einem – leider zeitlich knapp bemessenen – Interview treffen.
Ed, weil du die europäische Kultur so liebst, bist du nach Berlin übergesiedelt. Wie kommt man als Carioca mit den deutschen Temperaturen zurecht?
Motta: Kein Problem! In Rio hatten meine Frau und ich eine so starke Klimaanlage im Apartment, dass sie sich immer beklagt hat. Und jetzt in Berlin sagt sie: „Geh doch mal raus, du liebst doch die Kälte.” Aber ich bin ein Stubenhocker, gehe kaum vor die Tür. Meine Musik entsteht im Innern meines Hauses, nicht aus Erlebnissen von der Straße. Sie entsteht aus absolut intellektuellen Erfahrungen, aus dem Studium meiner Platten- und Filmsammlung, da geht es nicht um das „wirkliche Leben”. Aber irgendwie ist das doch auch das „wirkliche Leben“, oder nicht? Weiterlesen →
„Gott hat für die Kommunikation bestimmte Frequenzen vorgesehen“, sagt der Religionsgelehrte. „Es ist einer Frau erlaubt, mit einem Mann normale Konversation zu betreiben. Aber wenn sie singt, ist die Gefahr da, dass wir uns an dieser Art der Konversation erfreuen.“ Und er vergleicht den weiblichen Gesang mit einem Käse, dem viele Zutaten beigemengt werden: Dieser Genuss, so meint der alte Mann, der an einem Tisch voller Fruchtkörbe sitzt, würde einen ja auch verderben. Konsterniert schaut die Frau ihm gegenüber unterm Hijab hervor. Ihre Mission grenzt ans Unmögliche: Sara Najafi möchte entgegen aller Direktiven des Mullah-Regimes in Teheran ein internationales Konzert mit fünf Solosängerinnen auf die Beine stellen.
„Die weibliche Stimme ist sehr wichtig für mich in der Musik, und sie droht im Iran vergessen zu werden“, so die Komponistin. Man hat ihr geraten, doch ein Instrument zu studieren, sonst würde sie eh‘ in der Küche enden. Denn seit 1979 dürfen Frauen im öffentlichen Raum nur noch als Backgroundchor agieren, mindestens ein Sänger muss auf der Bühne dabei sein, um ihre Frequenzen zu „neutralisieren“. Schon einmal, vor fast hundert Jahren, eroberte sich eine Frau in Persien gegen alle Widerstände die Bühne, die legendäre Qamar, die mit ihren Liedern über Willkür und Tyrannei international Ruhm erlangte. Vor der Errichtung des Gottestaates gab es ein Vergnügungsviertel in der Stadt, die größten Stars der iranischen Musikszene waren Frauen wie Delkash und Googoosh, heute „Illegale“, deren Cassetten nur heimlich verkauft werden. Sie sind Leitbilder für Najafi, deren Bruder Ayat, ein in Berlin lebender Regisseur, aus dem Spießrutenlauf der Schwester einen genauso beklemmenden wie berührenden Film gemacht hat. Er feiert in der kommenden Woche (ab 9.3.) Deutschlandpremiere.
Man kann die Paranoia des Teheraner Alltags hautnah spüren: Immer wenn Najafi bei staatlichen Behörden vorspricht, bleibt die Leinwand konsequent zensurschwarz. Straßenverkäufer und Musikalienhändler blicken sich vorsichtig um, bevor sie den Mund aufmachen. Doch es gibt die privaten Oasen, etwa, wenn Najafi im Garten sitzt mit ihren Mitstreiterinnen. Dort berichtet Parvin Namazi wehmütig von einer Zeit, die noch musikalische Freizügigkeit kannte. Und die klassisch ausgebildete Sayeh Sodeyfi, die männliche Studenten unterrichten, ihnen aber nur die Theorie erklären darf, findet ein poetisches Bild für die heutige Unterdrückung: „Nicht singen zu dürfen, das ist, als hörte für einen Maler die Farbe Rot auf zu existieren.“
Von ihren Landsfrauen baut Najafi eine Brücke zu den Pariser Gesangesschwestern Élise Caron, Jeanne Cherhal und Emel Mathlouthi – auch wenn noch gar nicht klar ist, ob ihr gemeinsames Projekt auf die Bühne kommen kann. Engagiert und behutsam erarbeiten alle Beteiligten das Programm. Erleben einen absurden ideologischen Eiertanz, müssen Visa- und Zensurhürden überwinden. Suchen eifrig diskutierend Wege der Verständigung über die so unterschiedlichen Verhaltensregeln und Tonsysteme. Resignieren ob der bürokratischen Knüppel, die ihnen zwischen die Beine geworfen werden. Und schöpfen neue Hoffnung, als der liberalere Rouhani Präsident wird. Die vom Stimmenfestival auch bei uns bekannte Mathlouthi ist schon einen Schritt weiter als Najafi, hat in ihrer Heimat die Revolution singend begleitet. Und sie ist es auch, die tragischerweise das gesamte Unternehmen gefährdet, durch einen simplen Facebook-Eintrag.
Ob schließlich der beherzte Vorstoß der Frauen und ihrer männlichen Begleitinstrumentalisten glückt, sei hier nicht verraten. Man muss nach den 90 Minuten tief durchatmen, kann vielleicht kaum die Tränen zurückhalten. „No Land’s Song“ ist eine der wichtigsten Musikdokus der letzten Jahre, denn sie führt eindringlich vor Ohren: Wo immer sich eine Religion über Menschenrechte und kulturelle Freiheit stellt, dürfen wir nicht schweigen.
anlässlich des deutschen Kinostarts ist das No Land’s Song-Ensemble im Pavillon Hannover (21.3.) und in der Niedersächsischen Landesvertretung Berlin (22.3.) zu hören.
In Stuttgart konnte ich diese Woche die Frau treffen, die für mich sowohl das Album als auch den Song des Jahres aufgenommen hat. Die argentinisch-schottische Songwriterin Alejandra Ribera ist in Toronto aufgewachsen, und hat entlang von Klassik, Folk, Latin-Einflüssen, Vorbildern wie Odetta und Jane Siberry ihre eigene Stimme herausdestilliert – eine Stimme, die mit ihren vielen dunklen, hintergründigen, feinfühligen Schattierungen unter die Haut geht. Hier folgt das weitgehend ungekürzte Gespräch mit Alejandra, das ich anlässlich der deutschen Veröffentlichung ihres zweiten Albums La Boca mit ihr geführt habe.
Ribera: Meine Mutter und meine Großeltern hatten wunderschöne Singstimmen. Wir haben zuhause immer gesungen, einfach zum Spaß. Da kommt die starke schottische Tradition durch. Aber sehr früh zog mich auch die klassische Musik an und ich studierte mit einem Chor. Das hat mir die Basis für die Technik gegeben, ich lernte, wie ich die Stimmenmuskulatur aufbauen kann. Ich habe dann auch angefangen, faszinierende Stimmen zu entdecken, Odetta zum Beispiel, die hat mich völlig umgehauen und ich versuchte, sie zu imitieren. Ich experimentierte so lange herum, bis ein Destillat herauskam, dass ich meine eigene Stimme nennen kann. Weiterlesen →
Herr Alizadeh, nicht allen deutschen Hörern mögen Ihre beiden Instrumente, die Tar und die Setar vertraut sein. Führen Sie uns doch kurz in ihre Besonderheiten ein.