Sandy Denny: „No End“ (aus: Like An Old Fashioned Waltz, Island 1973)
Am 21. April 1978 verstarb eine der größten Songwriterinnen Englands viel zu jung, mit gerade einmal 31 Jahren. Seit meiner Studienzeit haben mich ihre Lieder begleitet, und immer in Phasen von Verzweiflung und Verlust hat sich ihre Musik wie eine heilende Essenz um meine Seele gelegt.
Sandys Musik ist zeitlos und wirkt in erstaunlichen Ausprägungen immer weiter: So hat die Freiburger Musikerin Carla Fuchs ihre Songs nicht nur gecovert, sondern 2023 auch unveröffentlichte Gedichte aus dem Fundus von Tochter Georgia zu einem großartigen Album namens Songbird weitergesponnen, das ich nicht nur Denny-Fans wärmstens ans Herz lege.
Heute, zum 47. Todestag von Sandy Denny, teile ich einen ihrer größten Songs mit euch, der aber fast nie gespielt wird und nicht unter ihren „Hits“ rangiert. „No End“ stammt von ihrem dritten Solo-Album Like An Old Fashioned Waltz und wird von den fantastischen Orchesterarrangements von Harry Robinson getragen.
Why don’t you have any brushes any more, I used to like your style I see no paintings anywhere and there’s no smell of turpentine Did I really have no meaning? Well I never thought I’d hear those words from you Who needs a meaning anyway, I’d settle anyday for a very fine view (…)
Cuno Amiet: Der Maler (1959)
The day and then the night have gone, it was not long before the dawn And the travelling man who sat so stiffly in his chair began to yawn Having kept me here so long my friend, I hope you have a sleeping place to lend But the painter he just smiled and said: I’ll see you in a while, this one has no end
Mit multinationalem Team hat die deutsch-afghanische Sängerin Simin Tander ihr fünftes Album „The Wind“ (Jazzland Recordings/edel Kultur) eingespielt. Wie der Namensgeber fließt es grenzenlos zwischen Indien, Afghanistan, Europa und Amerika.
Es passiert etwa in der Mitte ihres neuen Werks: Für die stürmische Jagd einer Wolke über den Himmel greift Simin Tander zum Sprechgesang, rappt fast die Poesie des englischen Romantikers Percy Bysshe Shelley. „Diese Dramatik mit den archaischen Bildern von Natur und Donner, das hat mich berührt, weil es so klar ist und eine unglaubliche Kraft hat“, sagt sie. „Nursling Of The Sky“ ist zugleich ein Schaukasten dafür, was mit ihrer erprobten Rhythmusgruppe möglich ist: Die funky groovenden Kletterlinien des schwedischen Bassisten Björn Meyer und die tribal galoppierende Kraft des Schlagwerkers Samuel Rohrer vereinigen sich hier zu elektrisierender Energie. Die hat so gar nichts Romantisches mehr an sich und konnte „nur mit diesen beiden, die eine starke individuelle musikalische Sprache auf ihrem Instrument entwickelt haben“ gezündet werden. Mit beiden hatte die Deutsch-Afghanin schon auf dem Vorgänger „Unfading“ gearbeitet. Komplettiert wurde das Quartett damals durch die Viola d’Amore des Tunesiers Jasser Haj Youssef, was insgesamt zu einem eher gedeckteren Klangspektrum führte – ihr damaliger Ausdruckswunsch mit einer Stimme, die sich schwangerschaftsbedingt tiefer gefärbt hatte.
Jetzt ist aber Harpreet Bansal neue Partnerin im Quartettgefüge: Die indische Geigerin, geschult im Raga-System, sorgt für helleres Kolorit: „Ihr Ton ist sehr warm und voller als das, was man von einer Geige normalerweise kennt, aber sie hat auch dieses endlos in die Höhe steigende. Und sie ist eine Meisterin darin, meinem Gesang zu folgen. Bei manchen Stücken ist sie wie ein verschnörkelter Schatten der Melodie, bei anderen spielt sie bewusst nur in die Pausen der Gesangsmelodie. Die Herausforderung war, dass ich auf meinem Pfad bleibe, obwohl da eine weitere ‚Stimme‘ ungefähr den gleichen Weg direkt hinter mir geht. Nur so ist das Gesamte wirklich stark.“ Man kann dieses faszinierende Miteinander von Bansal und Tander tatsächlich als Tanz einer Persönlichkeit wahrnehmen, die sich in verschiedene Nuancen auffächert. Gewissermaßen als „Windspiel“ gleitenden und suchenden Charakters.
Das Album „The Wind“ beherbergt denn auch die verschiedensten Ausprägungen, die die Bewegung der Luft haben kann, vom Säuseln und Hauchen bis zur ekstatischen Entladung. Verblüffend, wie das Quartett eine Synthese zwischen packender Körperlichkeit und der Sphäre des Ungreifbaren in Töne gefasst hat. „Ich scheine eine Vorliebe für die Elemente zu haben“, schmunzelt Tander, die in ihrem neuen Werk Bezüge an die Wasser-Hommage „Where Water Travels Home“ von 2013 entdeckt. „Der Wind hat für mich eine symbolische Bedeutung für etwas, das durch die verschiedenen Epochen und Sprachen zieht und alles miteinander verbindet.“ Das wird durch das denkbar breite Repertoire auf dem Werk belegt. Als Gegenpol zur virilen Shelley-Vertonung wirft Tander die Hörenden mitten hinein in die Ära des neapolitanischen Liedes mit „I‘te Vurria Vasà“ von Edoardo Di Capua („O Sole Mio“), befreit es aber von allem opernhaften Schmelz und Pathos, nur mit begleitendem Geigenhauch. Eine Bearbeitung eines norwegischen Kirchenliedes und ein spanisches Lullaby schaffen weitere Klangräume aus europäischen „Randzonen“. Der inspirative Geist des Windes, er lässt sich von keiner Grenze stoppen.
Simin Tander – „The Wind“ Album Trailer
Quelle: youtube
Linguistische Challenges sind fester Bestandteil in Tanders Repertoire-Auswahl. Schon vor zwölf Jahren setzte sie sich das ehrgeizige Ziel, im komplexen Paschtu zu singen. Näherte sich der Sprache ihres Vaters, indem sie eines seiner Gedichte vertonte, phonetischen Unterricht bei einem Freund der Familie nahm, der ihr auch viele Lieder der Region erschloss. Seitdem ist das paschtunische Idiom fester Bestandteil ihrer Alben geworden. Populäre Songs der Region, die oft aus Bollywood-artigen Streifen stammen, finden sich auf „The Wind“ gleich dreifach und haben eine erstaunliche Metamorphose hinter sich. „Meena“ eröffnet das Album mit einem Gedicht aus dem 18. Jahrhundert, das Tander durch die populäre Sängerin Qamar Gula kennengelernt hatte. An „Jongarra“ zeigt sich, wie einfallsreich sie mit „jazzigen“ Reharmonisierungen arbeitet, das Original ist kaum noch zu erkennen: „Ich habe eine große Affinität zu Harmonien und Akkorden, die habe ich hier ausgelebt.“ Am lebhaftesten ist „Janana Sta Yama“, ein neckisches Stück der Schauspielerin Gulnar Begum.
Nie zuvor war Tanders Stimme ein so selbstsicheres, spielerisches Werkzeug. Vermehrt arbeitet sie nun mit Schichtungen. Eine der Eigenkompositionen, „Woken Dream“, zugleich einer der stärksten Momente des Werks überhaupt, zeigt, wie ein Song dadurch Zugänglichkeit auch für Hörende aus der Popkultur schaffen kann. „Natürlich ist es kein Pop-Album geworden“, stellt Tander klar. „Aber ich hatte schon den Wunsch, mich auf eine Art und Weise ganzheitlicher auszudrücken, weg von einer Nische zu gehen.“ Hier und da ist subtile, aber präsente Elektronik zu hören, getriggert von Rohrer am Schlagzeug. Überhaupt legt Simin Tander sehr viel Wert auf die Charakteristik des Sounds. Daher war es ihr wichtig, für den Mix und das Mastering Persönlichkeiten mit ausgeprägt „physischer Präsenz“ am Pult zu suchen. Gefunden hat sie sie im zweifach Grammy-nominierten Joshua Valleau und im Grammy-Gewinner Daddy Key, die mit der US-Pakistanerin Arooj Aftab, mit Kamasi Washington und Corinne Bailey Rae gearbeitet haben.
Ganz dem Wesen des Windes entsprechend schweift das Geschehen grenzenlos zwischen Indien und Afghanistan, dem Norden und Süden Europas und Amerika. Unser Interview findet in der heißen Phase vor der Bundestagswahl statt, die mit den bekannten Ereignissen die Selbstverständlichkeit solch schlagbaumloser Diversität künftig in Frage stellt. Mischt Simin Tander sich als kosmopolitische Künstlerin in politische Diskussionen ein? „Es geht heutzutage nicht mehr, dass man unpolitisch ist. Früher habe ich immer gesagt, dass mein Wunsch sehr persönlich ist, nämlich, den Reichtum der afghanischen und paschtunischen Kultur in die westliche Welt zu bringen. Das ist immer noch mein Hauptanliegen. Aber wenn es sich richtig anfühlt, mich nicht von der Musik zu sehr wegbringt, spreche ich jetzt auf der Bühne über Frauenrechte und die Situation in Afghanistan. Das ist auch eine Verantwortung, die ich als Künstlerin habe.“
Simin Tander: „Nursling Of The Sky“
Quelle: youtube
Eine riesige Ehre war es für mich, nach der Premiere im letzten Mai wieder mit dem großartigen Cellisten Matthieu Saglio aus Valencia auftreten zu dürfen, der zwei tief inspirierte Solo-Sets gespielt hat.
Ein großes Dankeschön an alle, die mitgeholfen haben – insbesondere Regine Burk, Matthias Hilpert, Nikola Koegel, Michael Rudigier, Sabine Schuernbrand, Thomas Schwabe und Kerstin Simon.
Ohren auf Weltreise macht jetzt Pause. Ich bin extrem glücklich, dass wir 5 ausverkaufte Veranstaltungen hatten und dass ich mit so grandiosen Musiker*innen die Bühne teilen durfte: Misagh Joolaee & Bakr Khleifi, Awa Ly & Lucie Cravero, Matthieu Saglio.
Fotos: Stefan Franzen, Nikola Kögel, Sabine Schuernbrand, Thomas Schwabe
Der Trompeter Peter Somuah beschreitet die Brücke zwischen seinen Wurzeln im ghanaischen Highlife und dem Jazz. Mit seiner Band tritt er nun beim Frühlings-Jazz-Fest im Forum Merzhausen bei Freiburg auf.
Als ich im September 2010 an der Küste Ghana westlich der Hauptstadt Accras spazieren ging, gesellten sich zum Rauschen der Atlantikwellen plötzlich jazzige Töne. Sie kamen aus der dichten Vegetation, die sich direkt an den Strand anschloss. Ein neugieriges Nachschauen ergab: Da stand im Blätterwerk ein einsamer Trompeter und spielte seine Melodien selbstvergessen auf den Ozean hinaus. Das Bild und die Töne sind auch nach vielen Jahren noch in der Erinnerung, denn es war in seiner Einfachheit wunderschön und stimmig.
Ghana und die Trompete, das ist eine Erfolgsgeschichte seit hundert Jahren. Für ihre Militärbands rekrutierten die britischen Kolonialherren einheimische Musiker, denen sie das Spiel auf den Blasinstrumenten beibrachten. Doch die lokalen Musiker nutzten die neuen Instrumente, um sie auf die lokalen Rhythmen und Melodien zu übertragen. Genau solche Mischformen kreierten sie auch ausgehend von den Dance Bands, mit denen sie ab den 1920ern in Casinos und Ballsälen für die britische Upper Class Walzer und Foxtrotts aufspielen mussten. Der Name „Highlife“ kommt von diesen Tanzveranstaltungen für die Elite, von der die ghanaische Bevölkerung ausgeschlossen war. Doch mit der Lockerung der steifen Rhythmen und swingenden Gitarrenriffs aus der akustischen Palmwine-Musik schufen sie eine genuin ghanaische Musik für alle, und die Trompete spielte dabei eine herausragende Rolle.
Als Louis Armstrong im Mai 1956 in der Hauptstadt Accra gastierte, hatte das einen anhaltenden Einfluss sowohl auf ihn selbst als auch auf die führenden Musiker der Highlife-Szene, allen voran E.T. Mensah. Der Highlife belebte dann weitere Fusionen, etwa mit Funk, der den Afrobeat im Nachbarland Nigeria hervorbrachte. Oder mit Disco, was als „Burger Highlife“ in Hamburg in den 1980ern geboren wurde, denn dorthin waren viele ghanaische Musiker nach einem Militärputsch ausgewandert. Heute wird die Geschichte des Highlife fortgeschrieben, er geht auf immer neue Tuchfühlungen zwischen Jazz und Afropop. Und eine Galionsfigur des afroeuropäischen Highlife Jazz ist Peter Somuah.
„Mit 14 Jahren fing ich an Trompete zu spielen, als Mitglied einer Marching Band“, sagt Somuah im Interview. „Ich spielte Highlife und hörte Musiker wie E.T. Mensah, transkribierte ihre Soli, versuchte, etwas Eigenes daraus zu machen.“ Eines Tages gibt ihm ein Freund ein Video von Miles Davis, und Somuah setzt sich in den Kopf unbedingt auch so spielen zu können, besitzt bald alle Miles-Platten. „Ich hatte keine Ahnung, was er und wie er das machte, versuchte aber die Noten rauszuhören und die auf meiner Trompete nachzuahmen. Wir sind ja mit den Afroamerikanern durch die Sklavengeschichte verbunden. Während ich Miles imitierte, war ich also in der Lage, eine tiefe spirituelle Verbindung aufzubauen, das ging ganz mühelos.“ Somuah tritt im Alter von neunzehn mit der Trompete eine große Reise an. Zwei Jahre lang lebt er als Musiker in China, fühlt sich dort sehr zuhause, absorbiert neue Einflüsse. Und kehrt dann nach Ghana zurück, tourt mit neuer Band durch Europa, bleibt schließlich, der Liebe wegen, in Rotterdam.
Auf seinen Alben schöpft er aus einer Tonsprache, die den Highlife mit zeitgenössischem Jazz, mit Einflüssen von Miles über Freddie Hubbard bis Roy Hargrove verknüpft. Auf seinem ACT-Debüt „Letter To The Universe” stellt er 2023 die Frage nach dem Zweck des Daseins auf er Erde. Er arbeitet dafür mit einer Band aus jungen holländischen Musikern, die sich verblüffend clever in die ghanaische Rhythmik hineinfuchst, koppelt Slam Poetry junger Benelux-Künstler mit Traditionen der Ashanti und des ghanaischen Nordens. Sein neues Werk „Highlife“ führt ihn mit seiner erprobten Band nun zu seinen Wurzeln, die er in einer intimeren Klangsprache erkundet.
Unglaublich entspannt sind diese Stücke geraten, in denen Somuahs meist sanfter, nie selbstdarstellerischer Trompeten-Ton mit einem Tenorsaxophon die kleine Horn-Sektion bildet. Zurückgelehnte Gitarren-Synkopen, federleichte Drums und neckische Keyboards bilden die Textur, die frühen Miles-Davis-Aufnahmen grüßen in modalen Melodien. Und als Gäste hat sich Somuah zwei Highlife-Legenden, Pat Thomas und Gyedu-Blay Ambolley eingeladen. „Gyedu-Blay ist für mich wie ein Vater, ich habe seine Musik schon gehört, als ich ein Baby war. Mit ihm zusammenzuarbeiten, war ein Traum“, strahlt der 28-jährige. Eine Brücke über Generationen, die zeigt: Die Wirkkraft des Highlife ist zeitlos.
Am 25. April 1974 jährte sich Portugals Nelkenrevolution zum 50. Mal. In der Nacht zuvor begann die Befreiungsarmee ihre Fahrt auf Lissabon, um der längsten faschistischen Diktatur, die Europa erlebt hatte, ein Ende zu setzen. Aufbruchssignal für den Sturz der Faschisten war ein Lied, das im Radio gespielt wurde: „Grândola, Vila Morena“ aus der Feder des Liedermachers José Afonso.
Bis heute ist der politisch aktive Sänger, den man in der Heimat liebevoll „Zeca“ nennt, eine ikonische Figur der portugiesischen Geschichte. Herzstücke aus seinem reichen LP-Katalog sind in den letzten Jahren auf dem Label Mais 5 (sprich: maisch sinku) wiederveröffentlicht worden. Zum krönenden Abschluss dieser gewaltigen Unternehmung hat Mais 5 nun anlässlich des runden Jubiläums der Revolution auf Initiative von Afonsos Sohn Pedro ein besonderes Projekt aufgegleist: Man brachte Musikerinnen und Musiker aus Portugal, aus Angola, Mosambik, Asturien und von den Azoren zusammen, um Zecas Erbe ins 21. Jahrhundert weiterzutragen. Mit den „Wanderer Songs“ feiert diese pan-lusitanische Band mit einer audio-visuellen Show und auf Tonträger die Klassiker seines Schaffens – in einer komplett neuen, aufregend zeitgemäßen Tonsprache.
Warum „Wanderer Songs“?
„Er war tatsächlich immer in Bewegung, immer am Laufen, ein unruhiger Geist“, sagt Tochter Lena Afonso, die viele lebendige Erinnerungen an ihren Vater hat. „Er hat dabei das ganze Land kennengelernt, vom Norden bis zur Algarve im Süden. Deswegen sagt man in Portugal sehr häufig: Zeca: Andarilho (Wanderer) und Sänger.“ José „Zeca“ Afonso: ein Rastloser, der alle Facetten der Volksmusik seines Landes erforschte, auch in den Kolonien auf die Suche der Klangvielfalt ging, all dies in seine Lieder einfließen ließ. Und der sich auf der anderen Seite unermüdlich gegen Faschismus und für Menschlichkeit einsetzte, dieses unerschrockene Engagement mit Schikane, Zensur, Verfolgung durch die Geheimpolizei und Haft bezahlte.
All diese Facetten einer spannenden Persönlichkeit arbeitet die „Wanderer Songs“-Band heraus. Sie entwickelte neue, dem 21. Jahrhundert gemäße Versionen der Afonso-Lieder, die nun von einem kraftvollen, manchmal experimentellen Indie-Rock-Sound getragen sind, parallel hierzu afrikanische und azorische Einflüsse erkennen lassen. Nach zwei Wochen Probezeit im April 2024 trat die Band im Teatro Faialense auf der Azoren-Insel Faial auf und spielte die Songs, die Afonso auch in seinem letzten Konzert im Lissabonner Coliseu am 29. Januar 1983 vor einem enthusiastischen Publikum vortrug. Nach ihrem Debüt auf der Atlantikinsel war die Band im vergangenen Sommer bereits auf dem Rudolstadt Festival zu hören, am 22. und 23. Januar 2025 folgten umjubelte Auftritte im Mutterland, in der Casa da Música in Porto und im Teatro Tivoli BBVA in Lissabon. Jetzt gehen die „Wanderer Songs“ hinaus in die Welt.
Dies geschieht in einem Moment, in dem sich erschreckend große Teile der Welt gegen Demokratie und Humanität und für die Verbreitung von Lüge und Hass entscheiden. Mehr denn je gilt es, sich in Europa und weltweit für die Ideale von „Zeca“ Afonso und der portugiesischen Revolution einzusetzen. Diese Musik erinnert uns machtvoll daran und macht uns Mut, denn ihre Botschaft ist: Wir sind nicht ohnmächtig.
Die Musiker
Die aus Mosambik stammende Sängerin Selma Uamusse ist eine der vielseitigsten afro-portugiesischen Stimmen unserer Zeit. Ihr Aktionsradius reicht vom Jazz über viele Teamworks in der Pop- und Songwriter-Szene bis zum Theater. In ihrer Solo-Arbeit beschäftigt sie sich in zeitgenössischer Art und Weise mit ihren Wurzeln, singt in mosambikanischen Idiomen und kombiniert den Klang traditioneller Instrumente mit Elektronik.
Seit einem Jahrzehnt steht PS Lucas für eine feinsinnige Songwriting-Kunst. Der von den Azoren stammende Musiker hat dabei eine Sprache entwickelt, die vom Wechselspiel zwischen Licht und Schatten, zwischen Ozean und Land, zwischen Stille und Eruption lebt. In seinen Liedern finden sich Echos von Leonard Cohen über Nick Drake bis Georges Brassens.
Den Angolaner Nástio Mosquito kann man einen wahren Multimedia Artist nennen. Er vereint die Eigenschaften eines Sängers, Schauspielers und Moderators, arbeitet mit Klang, Video und Installationen, verknüpft als unberechenbarer, provokanter Performer Tradition mit Futurismus. Seine Shows waren bereits im New Yorker MoMA und der Londoner Tate Gallery zu sehen.
Seit den 1990ern trägt Nacho Vegas prominent zur musikalischen Independent-Bewegung der iberischen Halbinsel bei. Als Vertreter der nordspanischen Region Asturien beweist er, wie grenzübergreifend wichtig José Afonsos Arbeit war und ist. Vegas zeigt in seinen Werken eine breite Palette von Inspirationen vom spanischen Alternative-Rock bis zur chilenischen Liedermacherin Violeta Parra.
Das portugiesische Duo Lavoisier (Roberto Afonso und Patricia Relvas) folgt dem Geist des Tropicalismo der späten 1960er, der brasilianische, europäische und US-Einflüsse „fraß“, um daraus neue Klangcollagen zu gebären. Ebenso orientieren sich die beiden Musiker an der Arbeit von Michel Giacometti, der zur gleichen Zeit wie die Tropikalisten in Portugal die traditionelle Musik der Regionen dokumentierte. Aus diesen Quellen schaffen sie eine neue, unerschrockene Musik mit historischer Erdung.
Tiago Correia-Paulo komplettiert das „Wanderer Songs“-Line-Up: Der Mosambikaner ist Musical Director der Band und steuert als Multiinstrumentalist E-Gitarren, Drums und Synthesizer-Spuren bei.
Einige Songs
– „Balada De Outuno“: Diese „Herbstballade“ stammt aus Zeca Afonsos Frühwerk und ist im Original noch vom höfischen Ton des Fados der Stadt Coimbra getragen. Afonso betrauert hier das Versiegen seiner Stimme, und die Trauer spiegelt sich im Weinen der Flüsse. In ihrer Adaption machen Selma Uamusse und Patricia Relvas zum Auftakt der „Wanderer Songs“-Show aus der Klage einen Kampfruf im rockigen Gewand.
– Venham Mais Cinco“: Ein halbes Jahr vor der Nelkenrevolution veröffentlichte José Afonso dieses übermütige Lied. In jeder Zeile lässt sich die Aufbruchsstimmung eines Volkes hören, das sich geeint gegen die Diktatur stellt, im „Tiririri“-Refrain kündigen sich schon prophetisch die fröhlichen Feiern nach der Befreiung an. Patricia Relvas und die Band wandeln den Klassiker in eine unbändige Afro-Tanzhymne, die in ein großartiges Rock-Finale mündet.
– „Milho Verde“ ist eines jener ikonischen Stücke, für die sich Zeca Afonso von der portugiesischen Folklore inspirieren ließ. Eingebettet in romantische Naturszenerie wird hier mit dem für den Alentejo typischen mehrstimmigen Gesang von neckischen Schäferstündchen erzählt. Die spielerische Atmosphäre weitet sich bei der „Wanderer Songs“-Band zu einem kraftgeladenen Popsong.
– „A Morte Saiu À Rua“: Dieses Lied schrieb José Afonso für den im Widerstand tätigen bildenden Künstler Dias Coelho. Die Geheimpolizei PIDE hatte ihn 1961 auf offener Straße ermordet. Im Dialog mit den E-Gitarren von Tiago Correia-Paulo und PS Lucas schwingt sich Selma Uamusse zu einer bitteren Anklage gegenüber faschistischer Gewalt empor.
– Redondo Vocábulo“: Eines seiner stärksten Lieder überhaupt schrieb Zeca über seine Einzelhaft im Gefängnis von Caxias. Die Worte beschwören die klaustrophobische Atmosphäre der Zelle herauf. Im treibenden Arrangement der „Wanderer Songs“-Band ist der ungebrochene Trotz des politischen Häftlings eingefangen, die fast tribalen, ekstatischen Vokallinien durchbrechen selbst Gefängnismauern.
– „Vampiros“ entwirft ein scharfzüngiges Bild des Unrechtsstaates und ist damals wie heute gültig. Die Machthaber werden gezeichnet als blutsaugende, alles auffressende, gesetzeslose Gewaltherrscher. Uamusse, Vegas und Relvas haben das Schreckensszenario in einen eindrücklichen Sprechgesang transferiert. Ein zeitloses Manifest gegen politische Willkür und Machtmissbrauch.
die Ohren auf Weltreise-Reihe geht Mitte März auf Tour an den Bodensee und den Hochrhein.
Wie bei der Premiere wird der Cellist Matthieu Saglio mit einem Solo-Set nach meiner Lesung den Konzertpart des Abends bestreiten.
Ich freue mich auf Freitag, den 14.3. im Barocksaal des Schloss Freudental bei Allensbach und auf Samstag, den 15.3. in der Stadtscheuer in Waldshut-Tiengen.
Der Abend in Allensbach ist leider bereits ausverkauft. Für Waldshut-Tiengen gibt es hier Karten:
Im Grundschulalter lauschte ich fasziniert der „Rapsodie Espagnole“ und dem „Boléro“ auf einer Platte meines Vaters (mit dem Orchestre de la Société des Concerts du Conservatoire Paris unter André Cluytens). Diese Platte liegt nun gerade vor mir, und wenn ich auf das grüne Cover mit dem Gemälde von Toulouse-Lautrec blicke, versetzt es mich sofort in diese Zeit zurück.
Seitdem hat mich die Musik von Maurice Ravel, dessen Geburtstag sich heute zum 150. Mal jährt, durchs ganze Leben begleitet, mit seinem einzigen Streichquartett als Lieblingskomposition. In seinem Belvèdere in Montfort L’Armaury war ich bis heute nicht.
Doch ich entdecke immer noch Neues aus seinem recht überschaubaren Werk, kürzlich etwa die Vocalise in Form einer Habanera, die hier in einer Kammermusikfassung mit der georgischen Sopranistin Lamara Chkonia (sie ist letztes Jahr steinalt verstorben) geradezu irisierend ins Ohr funkelt.
Maurice Ravel: „Vocalise en forme de Habanera“ (Lamara Chkonia, Moscow Chamber Orchestra)
Quelle: youtube
Mit ihrem Quartett gestaltet die Zürcher Violinistin Sophie Lüssi eine Klangwelt zwischen Jazz, klassischer Moderne und den Tönen ihrer zweiten Heimat Argentinien. Für ihr neues Album hat Lüssi als Titel einen Namen aus dem Vogelreich auserkoren: den Atlantic Puffin (Papageientaucher).
Warum die Wahl auf ihn fiel, welchen Einfluss Ornette Coleman auf sie hat, wie sie ihre Kompositionen stilistisch verortet und was es mit der Tenorgeige auf sich hat, darüber habe ich mit ihr gesprochen.
Meinen Beitrag sendet SRF 2 Kultur am Dienstag, den 4.3. in der Sendung Jazz & World aktuell ab 20h.
Sophie Lüssi: „Atlantic Puffin“ – Trailer
Quelle: youtube
In diesen schweren Zeiten ist eine weitere Trostspenderin gegangen.
Ihre Stimme war für mich immer jenseits der Barrieren von Soul und Folk, von Schwarz und Weiß angesiedelt. Sie verkörperte Stärke in der Verletzlichkeit, Zuversicht in der Hoffnungslosigkeit – den kräftigen Lichtstrahl über dem Abgrund.
Ihre Adaption des Paul Simon-Stücks ist für mich nach wie vor die unerreichte Coverversion.
Rest In Power, Roberta.
Roberta Flack: „Bridge Over Troubled Water“
Quelle: youtube
Transatlantische Klangwellen Alondra de la Parra, Thomas Enhco, Duisburger Philharmoniker Mercatorhalle Duisburg 19.02.2025
„Sind die Ohren noch dran?“ Der Herr am Merchandising-Stand zwinkert einem Konzertbesucher zu, der etwas benommen Richtung Ausgang wankt. Das überwiegend ältere Publikum in der Duisburger Mercatorhalle zwitschert aufgeregt bis aufgescheucht durcheinander, während man eher amorph als geordnet mit abklingender Gänsehaut auf die Garderobe zusteuert. Was war hier passiert?
Die Ehre gab sich die in Berlin lebende mexikanische Gastdirigentin Alondra de la Parra. Sie ist eine der heftig aufstrebenden immer noch wenigen Frauen ihrer Zunft. Und sie bricht seit Jahren eine Lanze für modernere lateinamerikanische Kompositionen, insbesondere die symphonischen Werke ihres Mutterlandes. Unter dem Titel Transatlantische Klangwellen schlägt sie an diesem Abend den Bogen von Frankreich über Spanien bis nach Mexiko.
De la Parra, die unter anderem bei Kurt Masur Dirigieren gelernt hat, erweist sich als grandiose Rhythmikerin, die in der „Rapsodie Espagnole“ von Maurice Ravel das Flirren der iberischen Nacht als spannungsgeladenes Vorspiel für die zündende „Malagueña“ und die glühende „Feria“ inszeniert. Die exzellente Akustik des Saals lässt die Instrumentationskunst Ravels differenziert aufblitzen.
Auftritt Thomas Enhco: Der Pariser Pianist steht mit einem Bein in der Klassik , mit dem anderen im Jazz, seiner prioritären Liebe. In Manuel de Fallas „Nächte in spanischen Gärten“, das er erstmals auf ener Bühne spielt, füllt er die eigenartige Position zwischen Solistenfunktion und Orchesterkolorierung virtuos. Mehr noch geht er in seiner Rolle auf, als er seine Eigenkomposition Sept Visions in der Uraufführung präsentiert. Variationen, die von einem pastoralen Oboen-Thema ausgehend, zwischen atmosphärischer Filmmusik und Jazz-Improvisation pendeln, kurzweilig, schwelgerisch und mitreißend. Als Encore nimmt er sich ein Mozart-Thema vor, re-harmonisiert und rhythmisiert es so clever, dass es zu einem rührenden Stück mit Pop-Appeal wird.
Das Finale gehört dem mexikanischen Komponisten Silvestre Revueltas (1899-1940) und seiner zu einer viersätzigen Symphonie gruppierten Filmmusik La Noche De Los Mayas. Alondra de la Parra führt mit Esprit in dieses Werk der Superlative ein, an dem allein 13 Perkussionisten beteiligt sind. Die Stimmung eines Maya-Rituals wird zu Anfang in fiebrige Streichertöne gegossen, gekrönt von dräuenden Bläserfanfaren und bombastischer Trommel, kontrastiert von einem wehmütigen Flöten-Interludium. Von Schrappholz, Xylophon und Pauken wird das Orchester im quertaktigen Scherzo angeheizt. Überraschend träumerisch, fast an Richard Straussens Rosenkavalier-Schmelz erinnernd, aber letztendlich doch in Mexikos Terzenseligkeit wurzelnd, taucht man in die „Noche de Yucatán“ ein.
Der 4 .Satz, die „Noche de Encatamiento“, wird dann zur ausufernden, ekstatischen Orgie, vorangetrieben von Muschelhorn-Signalen. Die Perkussionisten-Riege tobt sich in kontrollierter Schichtung aus, de la Parra steuert die Fieberkurve am Pult mit unbeirrbarem Puls. Mit immer neuer Intensivierung in Lautstärke und Tempo schreitet das Ritual in etlichen Wellen voran, die schiere Dezibel-Wucht presst einen in den Stuhl. Diesen polyrhythmischen Laden zusammenzuhalten, ein Orchester, das hier fast zur reißenden Bestie wird, erfordert höchste Disziplin von einer Maestra, die mit wehendem Beinkleid Einsätze wie Dolchstöße gibt, aber auch immer wieder feinsinnig hinunterzügelt. Und sich beim enthusiastischen Schlussapplaus scheinbar ungerührt von diesem Kraftakt zum Saal umwendet. Was für ein Energiesturm – und was für eine ungeahnte Traumpartnerschaft zwischen einer resoluten, sensitiven Kosmopolitin und den fantastisch präzis agierenden rheinischen Spitzenphilharmonikern.