Violinen-Verve von Vancouver Island

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The Fretless
Bird’s Nest
(Eigenverlag)

Folkmusik und Klassik rücken seit einigen Jahren enger zusammen, das ist ein unüberhörbarer Trend. Diese Dame und drei Herren von Vancouver Island, für ihr Schaffen in Kanada hochdekoriert, pflegen die Verknüpfung der Genres auf atemberaubendem Niveau. Fiddle-Melodien und Folksongs, teils aus schottischen, teils aus kanadischen Traditionen haben sie neu arrangiert und stecken sie ins Gewand eines Streichquartetts. Anders als bei einer herkömmlichen Folk-Kapelle wandern hier die Themen in raffinierter Art und Weise durch die Stimmen, Bratsche und Cello verleihen satte Konturen, einzelne Melodiepartikel verselbständigen sich, führen ihr Eigenleben. Trotz aller Detailarbeit grüßt nach wie vor der Tanzboden, ein Jig bekommt gar minimalistischen Flair, und über dem Titelstück liegt eine anrührende tänzerische Wehmut. So hat man Folk bisher selten gehört.

Bis zum 9. Oktober sind die Kanadier noch auf Deutschlandtournee, Daten gibt es hier.

The Fretless: „Bird’s Nest“
Quelle: youtube

 

Side tracks #19: Texas Eagle & Sunset Limited

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flagge-vereinigte-staaten-von-amerika-usa-flagge-button-50x75Billy Bragg & Joe Henry
Shine A Light
(Cooking Vinyl/Sony) 

Für einen Produzenten, der im Studio einen sehr eigenen, ausgetüftelten Sound schafft, müssen Feldaufnahmen wohl ein Graus sein. Nicht im Falle von Joe Henry: Mit seinem britischen Kumpan Billy Bragg nutzte er Schlafwagen, Gleise und Bahnhofshallen als Aufnahmeort. Die musikalische Zugreise quer durch die USA erscheint nun als Shine A Light. Zum Album habe ich Joe Henry interviewt.

Wenn die beiden Herren mit ihren Gitarren an diesem frühen Märzmorgen durch die große Halle der neoklassizistischen Chicago Union Station schreiten, fällt dem Zuschauer des Promoclips vor allem eines auf: die heutige Überdimensionierung des fast leeren Gebäudes. Bahnfahren in den USA scheint im Jahre 2016 kein großes Thema mehr zu sein. Fast beschwörend sagt Billy Bragg: „Wir wollen die Kunde verbreiten, dass es noch einen anderen Weg gibt, Amerika zu durchqueren.“ Die Idee des britischen Woody Guthrie-Verehrers und politisch engagierten Songwriters: Mit seinem alten Freund Joe Henry, der schon sein letztes Werk Tooth & Nail produziert hatte, die Staaten auf Schienen zu bereisen und die Unplugged-Reise auf einem Album zu dokumentieren. Weiterlesen

Seelenvoll in Basel

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Die musikalische Geschichte der Annie Goodchild, geboren in Boston, beginnt mit Klavierunterricht und Singen in Gospelchören. Doch das einschneidende Erlebnis trägt sich während einer Abenteuerreise in einer Tequilabar in Guatemala zu: Dort trifft sie den Gitarristen Maarten Swan während eines Open Mic-Abends und gründet mit ihm die Band Melou. Das Repertoire der Akustikcombo gründet auf der Arrangierkunst Swans, aber vor allem auf dem satten, flexiblen Alt von Goodchild, der sich in Soulstücken wohl fühlt. Aber – und das ist ihr großer Bonus – er kann auch orientalische und indische Färbungen annehmen.

Eine erste CD nehmen Melou in Barcelona bereits 2009 auf, aber es ist die Veröffentlichung „Skylark“ vier Jahre später, die Goodchilds Stimme, mittlerweile durchs Berklee Collge of Music geschult, in neue Dimensionen katapultiert. Man höre sich nur das Titelstück an, in dem sie mühelos arabeskes Umherschweifen und dichte Vokalsätze mit leicht psychedelischem Folkpop verknüpft. Weitere Erfahrungen sammelt sie in der britischen Theatertruppe Punchdrunk, bei der es ihre Aufgabe ist, vokales Flair der 1930er zu erzeugen. Einem ähnlich retro-orientierten Training unterzieht sie sich im Rahmen des US-Projekts Postmodern Jukebox, das aktuelle Pophits mit Vintage-Atmosphäre umsetzt. Goodchilds Beitrag „Roar“, im Original von Katie Perry, wird zum Youtube-Hit.

Seit drei Jahren ist ihr neuer Standort Basel, und diesen neuen Lebensabschnitt krönt Annie Goodchild nun mit der vor ein paar Tagen veröffentlichten EP. Im „Green Eyed Monster“ tastet sie sich mit einem fantastischen Sinn für Dramaturgie von den suggestiven Tiefen in die hohen Lagen empor – das mit Streichern kolorierte Stück mutet an wie eine Kreuzung aus einem schweren orientalischen Klanggemälde und psychedelischem Indie-Rock. Mit einem Touch Electronica sind die Arrangements des „Black Swan“ belegt, ein großartiger Hymnus, der zwischen geheimnisvollen Geigen, tribaler Percussion und einer Popmelodie voller Strahlkraft wechselt. Als Single hat Goodchild „Rooster“ ausgekoppelt, begleitet durch ein sinnliches Video, das die Weiblichkeit feiert – zu einem Arrangement, das Motown mit modernem R&B und House koppelt. Und schließlich noch der „Maneater“ von Daryl Hall und John Oates, den sie als betörenden Dub vertont.

© Stefan Franzen

Annie Goodchild tritt am 24.9. im Rahmen der Klangbasel in einem Doppelkonzert mit der ebenfalls in Basel lebenden Kanadierin Andrea Samborski auf.

Melou feat. Annie Goodchild: „Just Take The Edge Off“
Quelle: youtube

 

Klangreisen für Herbert George

Foto: George Charles Beresford, 1920

Ob er ein  Science Fiction-Autor war oder doch eher ein Meister der fantastischen Erzählung – darüber lässt sich trefflich debattieren: H.G.Wells wäre heute 150 Jahre alt geworden.

Sieben Reisen durch die Zeit zu Ehren seines bekanntesten Buches! Weiterlesen

Glühender Klangsturm

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Noura Mint Seymali
Arbina
(Glitterbeat/Indigo)

Guten Gewissens lässt sich sagen, dass die Frauenstimmen Mauretaniens die eindringlichsten aus dem ganzen Universum der Wüstenrock-Sounds sind. Auf ihrem zweiten internationalen Release entfesselt die Sängerin aus Nouakchott einen glühenden Sandsturm, der sich noch grobkörniger aufschwingt als zuvor. In den atemberaubenden, meckernden Vokalmelismen stecken dabei sehr alltagsnahe Texte über Brustkrebsvorsorge, dann aber auch philosophische Betrachtungen über göttliche Fügung. Unter den gitarristischen Widerhaken und der ruppigen Harfe windet sich ein abgründiger Bass in die Eingeweide, mal wird mit kantigen Tempowechseln gearbeitet, mal wird mit dubbiger, aber nie davondriftender Auffächerung der Horizont geweitet. Für diesen Rock braucht es keine Kasbah, nur den weiten Wüstenhimmel.

Noura Mint Seymali: „Na Sane“
Quelle: youtube

Eiserne Präzision

King Crimson
Liederhalle Stuttgart
08.09.2016

„Wenn Sie Visionen haben, gehen Sie zum Arzt“, riet bekanntlich der verstorbene Altkanzler Helmut Schmidt. Robert Fripp hat das zum Glück nicht getan. Am Tag als Englands zukünftiger König Georg geboren wurde, sei ihm eine neue Besetzung von King Crimson erschienen, beteuert der 70-jährige Gitarrist. Und in dieser Vision spielten drei Drummer vorne am Bühnenrand.

Die Annalen des Rock sind voll von Bands, in denen sich über die Jahrzehnte nur noch ein Gründungsmitglied gehalten hat und die ihren Sound immer wieder drastisch veränderten. King Crimson haben sich seit ihrem Gründungsjahr 1969 jedoch derart oft gehäutet, mit rund zwei Dutzend Mitgliedern und einem Dutzend Varianten, dass man eher von einer Auswechslung der DNA sprechen sollte. Umso erstaunlicher: Die Progressive-Pioniertaten des Anfangs, die brachialeren Ausflüge der Siebziger und die neueren Kompositionen, die an die etwas poppigere Achtzigerepisode anknüpfen, werden in der seit 2014 tourenden Verkörperung des „purpurnen Königs“ zu einer homogenen Handschrift gebündelt. Nicht nur dank Fripp, des akkuraten Masterminds hinter allen Phasen der Band, auch wegen eines auf allen Positionen herausragenden Line-Ups.

Als die sieben Musiker die Bühne im Stuttgarter Beethovensaal betreten, werden gleich einmal etliche Rock-Parameter ausgehebelt. Man trägt Weste und Schlips, eine Lightshow fehlt gänzlich, es fühlt sich fast an wie ein Klassikkonzert. Doch da sind eben jene drei imposanten Schlagzeugaufbauten in der ersten Reihe. Ihnen gebührt auch der Anfang eines jeden der zwei Sets: Ausgehend vom sehr physisch und bevorzugt in den Bassfrequenzen agierenden Gavin Harrison, der die Partituren für die Schlagwerker ausgetüftelt hat, fächert sich der Dreier räumlich zu Pat Mastelotto auf. Er arbeitet den Becken- und Hi-Hat-Bereich heraus, in der Mitte sitzt eher jazzig und feinmechanisch Jeremy Stacey, der aber auch Piano- und Mellotronarbeit zu leisten hat.

Dieses dreiköpfige Monster hat sein Eigenleben, wird aber durch die vier sehr diziplierten Herren dahinter förmlich im Zaum gehalten. Fripp bedient sein Instrument grundsätzlich im Sitzen und nahezu bewegungslos, ganz gleich, ob er in „Larks‘ Tongues In Aspic I“ martialische Rhythmen heraushämmert oder mit sturer Präzision komplexe Minimalkonstrukte im Siebenertakt liefert. Mitunter verzahnt er sich mit dem zweiten Gitarristen Jakko Jakszyk wie in einem unerbittlichen Uhrwerk, etwa im grandiosen „Fracture“, das wie eine Abfolge mathematischer Gesetzmäßigkeiten tönt. Jakszyk mit der verwegenen Lockenmähne ist der Einzige in der Altherrenband, der wirklich Rockgestus zeigt in seinen Soli. Er ist auch für die Vocals zuständig, allerdings ohne jegliches Vibrato oder Pathos, selbst wenn er zum Schrei ansetzt, klingt er noch eigentümlich beherrscht. Zur letzten Paarung sind der King Crimson seit langem verbundene Bassmann Tony Levin und Saxophonist und Flötist Mel Collins gruppiert, sie vebünden sich oft unisono in den bandtypischen chromatischen Ostinati zu einem mächtig stampfenden Biest. Doch in „The Court Of The Krimson King“ umspielt der wie eh und je entspannte Levin Collins‘ Flötenkaskaden auch mal warm und ganz unbeschwert.

Höhepunkte in der 150-minütigen Show zählt man reichlich: „Red“, das Titelstück der Siebziger-Kultplatte gerät in der neuen Version noch scharfkantiger, ein zähnefletschendes Ungeheuer mit großer Wirkung der drei Drumsets zu den emporkletternden Gitarren. In „Epitaph“, dieser großen Morbiditätshymne vom ersten Album, wirkt die perkussive Fülle dagegen überzeichnet, raubt der Melancholie Raum. Tiefer ist die Trauer am Anfang von „Starless“: Zu den düsteren Mellotronwolken und den bedrohlichen Tonwiederholungen, die wie eine hartnäckige Stechmücke ins Ohr kriechen, wandelt sich schließlich erstmals das Bühnenlicht: zu einem tiefen Purpur.

Kaum jemand hätte mit dem Aufgebot in der Zugabe gerechnet: Das Schlagzeugtrio begibt sich auf die Fährte der balinesischen Gamelan-Musik, nahtlos daran schließt sich David Bowies „Heroes“ an, mit dem wohl am längsten gehaltenen E-Gitarren-Ton der Rockhistorie – paradoxerweise wohl jener Ton, der Fripps Gitarre für immer unsterblich gemacht hat. Allerdings wird der Song durch Jakszyks Stimme zum Fremdkörper: Man kann ihn wirklich nur von Bowie hören. Unvermeidlicher Finalakzent: „21st Century Schizoid Man“ mit einer Free-Jazz-Orgie aus Collins‘ Sax über dem Trommelgewitter. Das Faszinosum King Crimson ist 47 Jahre nach der Gründung ungebrochen: Mit sieben fulminanten Persönlichkeiten, die sich zu eiserner, kühler Präzision vereinigen, dürften sie auch heute die beste Rockband des Planeten sein.

© Stefan Franzen

Nichelle, ma belle

Als das letzte Mal auf dieser Seite ein Trekkie auftauchte, war das mit dem Tod von Leonard Nimoy ein trauriger Anlass. Jetzt gibt es Grund zum Feiern: In der kommenden Woche wird Star Trek 50 Jahre alt. Den Soundtrack dazu liefert uns das Mitglied aus dem Bordpersonal, das am besten singen konnte, mit Abstand!: Nichelle Nichols alias Lieutenant Uhura von ihrer Soulplatte Down To Earth aus dem Jahre 1967. James „Scotty“ Doohans Version von „Muss i denn zum Städele hinaus“ hätte ich gerne kredenzt, habe sie aber nicht gefunden…

Herzlichen Glückwunsch!

Nichelle Nichols: Know What I Mean“
Quelle: youtube