Es mag zunächst weit hergeholt klingen: Norwegische Kirchenhymnen werden mit der afghanischen Sprache Paschtu neu eingekleidet und wechseln sich ab mit Texten des persischen Mystikers Rumi, die wiederum auf Englisch gesungen werden. Doch je tiefer die Beschäftigung mit spirituellen Traditionen, desto mehr lösen sich Grenzen auf, werden Parallelen von Islam und Christentum spürbar. Gerade mit musikalischem Fokus kann eine solche Verschränkung zu einem beglückenden Resultat führen. So wie bei What Was Said (ECM), dem gemeinsamen Album der deutsch-afghanischen Sängerin Simin Tander mit den beiden norwegischen Musikern Tord Gustavsen und Jarle Vespestad. Simin Tander im ungeschnittenen Interview.
Simin, du hast mehrfach betont, wie großartig du Tord Gustavsen findest, und dass mit dieser Zusammenarbeit ein Traum in Erfüllung geht. Was ist für dich das Besondere an seinem Spiel?
Er schafft es, auf eine natürliche Art und Weise sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er ist sehr leidenschaftlich und trotzdem oft reduziert, er traut sich das. „Trauen“ verbindet man ja oft mit einer sehr wilden Art zu spielen, aber ich finde, man muss es auch erst mal wagen, sich auf kleine Melodien, auf einen einzigen Ton konzentrieren, ohne das Gefühl zu haben, man müsste mehr machen. Ich glaube, es geht ganz vielen Musikern so, wenn sie sehr virtuos sein möchten, dass das auch ein Hindernis sein kann. Tord kann alles spielen, es mangelt ihm nicht an Virtuosität. Er fühlt sehr schnell, worum es ihm geht, was ist der Kern des Stückes, des Sounds. Es ist ein tolles Gefühl, mit einem Pianisten zu spielen, der jeden Atemzug von einem mitnimmt und trotzdem Freiraum gibt. Tord hat ja mit sehr vielen Sängerinnen gespielt und auch schon als er jung war viele Kirchenchöre begleitet, er ist also sehr stimmenorientiert. Er kann meiner Phrasierung genau folgen, er fühlt auch genau, wann es Zeit ist nah zu sein und wann, ein Stück zurückzugehen.
Wie kam der Kontakt zustande und wer hat das Konzept für die Platte aufgebracht?
Die Jazzwelt ist ja nicht so groß. Tord meinte, meine Stimme hätte ihm ohnehin schon gefallen und dann hat ihn auch noch der Klang des Paschtu fasziniert. Wir haben uns dann Schritt für Schritt angenähert, trafen uns bei einem Konzert in Köln, haben CDs ausgestauscht. Dann kam kurz darauf die Idee von ihm, die norwegischen Hymnen auf Paschtu zu übersetzen. Er wollte immer schon mal etwas mit den Hymnen machen. Zur gleichen Zeit hat er sich auch viel mit Sufigedichten beschäftigt, ein ständiger Prozess bwei ihm diese Beschäftigung mit religiösen Traditionen und Spiritualität. So fügte sich das dann zusammen: Seine Kindheit mit den Hymnen, die er seine Standards nennt, sein neu erwecktes Interesse an den Parallelitäten zwischen Sufismus und liberalem Christentum.
Vor anderthalb Jahren trafen wir uns in Oslo. Er hatte mir ein paar Stücke eingespielt, um zu testen, ob es mir gefällt. Ich saß im Zug, hatte schlechte Kopfhörer und die Demoaufnahmen waren auch sehr einfach. Und trotzdem war ich sofort gerührt von den Melodien, denn es passte auch so gut in meinen eigenen musikalischen Weg, denn ich spürte auch bei mir das Bedürfnis, auf einem Album es auch mal zu wagen, weniger zu machen, in die Tiefe zu gehen.
Zu diesem Zeitpunkt gab es die Übersetzungen noch nicht, nur die Texte auf Norwegisch. Ich habe sie dann mal auf meine Fantasiesprache gesungen, um zu hören, wie funktionieren diese Melodien mit meiner Stimme. Tord hat über Umwege einen afghanischen Dichter kontaktiert, der in Prag lebt, B. Hamsaaya. Der hat sich dann im Dialog mit uns und einem afghanischen Bekannten von mir, Naqib Sermelwall inhaltlich mit den Texten beschäftigt. Wie weit kann man gehen und die Texte so neu interpretieren, dass sie keinen direkt christlichen Bezug mehr haben, die Wurzeln trotzdem klar noch zu hören sind und dieser Raum entsteht, in dem sich Sufismus und liberales Christentum treffen, wo sind die Schnittmengen? Es war weniger ein krampfhaftes Suchen, als auch ein Sich-Öffnen, denn so bekam auch ich einen Bezug dazu. Denn ich bin nicht so aufgewachsen wie Tord, der sich von Kind auf mit der christlichen Tradition beschäftigt hat durch seine Familie. Mir war es wichtig, dass die Texte so geändert werden, dass ich auch wirklich persönlich etwas damit anfangen kann, damit ich nicht über etwas singe, wozu ich keinen Bezug habe. Es ist natürlich auch ein sensibles Thema und ich finde es wurde gut gelöst.
Simin Tander, Tord Gustavsen & Jarle Vespestad: „What Was Said“ EPK
Quelle: youtube
Ich war überrascht über diese kontemplative, mystische Komponente der norwegischen Texte. Ein Text wie „Sweet Melting“ könnte ja eins zu eins vom persischen Mystiker Rumi sein.
Genau darum geht es bei dem Projekt, das ist der Kern. Tords Bezug zum Christentum ist liberal. Er wollte die Texte, die im Original schon etwas konservativer waren als sie es jetzt sind, aus ihren Fesseln heben. Er sieht immer etwas Wunderschönes in den Texten und wollte das herauskristallisieren, hat vielleicht hie und da ein Wort weggelassen. Von ihm stammt die Konzentration auf das Mystische in den Texten. Das stellte sich nicht erst bei der Arbeit am Album heraus, er sah diese Anlage auch schon in den Stücken.
Ist das Album auch programmatisch hingedacht auf den „Culture Clash“, den manche Medien zwischen Christentum und Islam sehen wollen? Als Signal für eine jeweils friedliche Variante der beiden Weltreligionen? Oder wollt ihr dieses programmatische Mitschwingen eher im Hintergrund lassen?
Für mich ist es ein wichtiger Aspekt und ich sehe das auch so, dass das Album ein Zeichen setzen kann. Es ist aber auf jeden Fall nicht das Wichtigste. Für mich ist die Verschmelzung der Klänge und auch die Tatsache, dass das Paschtu die Meisten nicht verstehen werden, also das Kontemplative durch die Musik erfahren werden, der Mittelpunkt. Das entspricht mir auch nicht, „aggressiv“ rauszugehen und zu sagen: „Hört mal, so geht es auch!“ Da es ein sehr sensibles Thema ist, war auch mein Anliegen, dass da keine Missverständnisse entstehen. Deshalb war ich da auch in engem Dialog mit meinem afghanischen Bekannten Naqib Sermelwall, der mir auch schon bei den Texten für When Waters Travel Home geholfen hat. Geht das überhaupt auf Paschtu? Mein Vater lebt ja nicht mehr, deshalb war er meine erste Bezugsperson. Ich hab da jetzt Frieden mit, für mich ist das sehr stimmig.
Auch wenn Tord und ich von verschiedenen Hintergründen kommen, geht es uns beiden um einen leidenschafltichen und persönlichen Bezug zum Thema Spiritualität. Viel mehr als politisch ein Zeichen zu setzen. Es ist kein Konzept, weil man etwas erreichen will. Sondern die Verlängerung meiner schon vorhandenen Verbindung zur Spiritualität, die in der Musik natürlich weiterfließt. Es wäre schön, wenn das auch so ankäme. Das Paschtu war auch nicht bewusst gewählt, Tord wusste nicht, dass er es auf Paschtu machen wollte, bis er die Sprache gehört hat, es hätte auch eine andere sein können. Paschtu wird in Afghanistan gesprochen, ein islamisches Land, und natürlich passt es dann auch zum Thema Sufismus. Aber der Klang der Sprache war ihm noch wichtiger als die Tatsache, dass sie in einem islamischen Land gesprochen wird. Denn es geht ja es eben nicht um eine konrete Religion, sondern um eine Verschmelzung der Traditionen und der Klänge.
Kanntest du die ursprünglichen Versionen der Kirchenlieder und wenn ja, hast du dich an ihnen orientiert? Oder habt ihr die Originale ganz draußen gelassen, um bewusst etwas Neues zu schaffen?
Ich habe bis jetzt keine Gesangsfassungen der Originalstücke gehört. Das reizt mich natürlich, und das werde ich auch irgendwann mal tun, aber nicht vor der Tour. Es war tatsächlich so, dass Tord mir die Melodien einspielte und auch die Noten aus den alten Liederbüchern hatte. Natürlich änderte sich da auch die Phasierung, denn man kann ja im Paschtu nicht immer den gleichen Rhythmus wie im Norwegischen singen. Die Melodien sind ja relativ simpel, die hatte ich sofort im Ohr und dann haben wir es einfach ganz oft zusammen gespielt. Sie haben von der Phrasierung her ein Eigenleben entwickelt, ich musste mich gar nicht mehr darauf konzentrieren, sondern habe auf den Sound, wie ich mit dem Text umgehe, auf Dynamik und Zusammenspiel geachtet. Mit dem Paschtu bin ich ja immer etwas behutsamer als mit dem Englischen, denn ich weiß, dass sich mit einer anderen Betonung auch die Bedeutung ändern könnte oder es keinen Sinn mehr ergibt. Das habe ich dann auch mit meinem afghansichen Bekannten geübt. Der sagte dann unter Umständen: Nein, hier würde ich nicht nach oben gehen, sonst klingt es wie das und das Wort. Dadurch habe ich mich sehr intensiv mit den Stücken auseinandergesetzt. Denn ich wollte sie ja keinesfalls nur brav runtersingen.
Wer hat die Rumi-Texte ausgewählt und warum wurden sie nicht im originalen Farsi gelassen?
Dass die im Englischen sind, hatte einen ganz praktischen Grund. Tord hatte schon vor Jahren für ein klassisches Ensemble, von dem es glaube ich gar keine Aufnahmen gibt, sechs Stücke auf Texte von Rumi geschrieben. Die hat er mir in Notenform auch zugeschickt, er meinte, damit wollte er auch schon immer etwas machen, das würde jetzt passen. Die Melodie hat er da genau auf die englische Übersetzung hingeschrieben. Das sind kleine Stücke, in denen das Klavier genau die Melodie mitspielt, die Worte passen genau drauf. Die Übersetzungen stammen von Coleman Barks, einem der bekanntesten Übersetzer und Lyriker, die sich mit Rumi auseinandergesetzt haben. Es gibt viele Übersetzer, die vielleicht etwas zweifelhafter sind. Aber Barks‘ Übersetzungen passten sehr gut auf die Stücke. Ich singe ja auch gerne auf Englisch, und dieser Ansatz entspricht dem universellen Aspekt des Projekts.
Wie hat der Text von Kenneth Rexroth hineingefunden ins Repertoire, welchen Bezug hat er zu den spirituellen Texten? Als libertärer Lyriker der Beat Generation?
Die Musik zu „I Refuse“ hat Tord selbst geschrieben und er war sehr inspiriert durch den Text, er wollte da noch eine andere Note mit rein bringen. Wir mochten das Stück direkt, es kam erst sehr spät dazu. Es fügt sich vom Musikalischen sehr gut in das Gesamtkonzept, weil es etwas Dramatisches und trotzdem Kontemplatives hat. Eines meiner Lieblingsstücke, weil wir da auch sehr zu dritt agieren.
Hast du in diesem Kontext, der ja noch intimer, reduzierter ist als der mit dem Quartett, andere vokale Qualitäten oder Timbres in den Vordergrund gestellt, singst du anders?
Ja, diese Qualitäten habe ich schon gefunden. Und interessanterweise hat sich das nochmal weiterentwickelt nachdem das Album aufgenommen war. Ich empfinde es so, dass diese Stücke mir in der Zusammenarbeit mit Tord und Jarle die Möglichkeit bieten, mit einer Melodie voller Ruhe in einen gewissen Sound zu tauchen. Dieses etwas dunklere, geräuschhafte Singen ist schon eine neuere Qualität. Die Thematik ist die der Hingabe, ohne einen Hauch von etwas Forciertem. Ich merke, dass es mir und meiner Stimme gut tut, mehr Raum zu haben. Wenn du komplexere Themen und Taktwechsel hast, hast du dagegen weniger Möglichkeiten, dich auf andere Sachen zu konzentrieren und die dann sprechen zu lassen. Es fühlt sich etwas reifer an. Ich singe ja wirklich durchgängig sehr leise auf diesem Album. Früher habe ich immer tendenziell viel ausgestaltet, das ist immer noch eine positive Kraft, gerade auf der Bühne, auch das Impulsive. Aber auf einem Album alles so reduziert zu lassen, das hätte ich damals noch nicht gekonnt.
Der Titel What Was Said kommt ja von dem Rumi-Gedicht „What Was Said To The Rose“. Diese Zeile zum Albumtitel zu machen, ist das ein versteckter Aufruf, wieder mehr auf das zu hören, was ihm damals gesagt wurde, was einem offenbart werden kann in Stille?
Ganz praktisch und unromantisch stammte die Idee erst mal von den ECM-Leuten, weil es auch passt, dieses sehr Assoziative, dass es erstmal alles sein könnte, was etwas Mystisches hat. Doch dieser Satz trägt auch eine Kernaussage, wenn man ihn noch weiter liest: „What was said to the rose that made it open in my chest.“ Dass hat eben zu tun mit der Verbindung zum Göttlichen in uns, zu dem Nichtverstandesorientierten, zu dem was wir Liebe, Gott, Geist nennen, dass das in uns liegt. Es geht nicht um den Gott einer Religion sondern um das Göttliche in uns – das ist die Kernaussage des ganzen Projektes.
© Stefan Franzen
Simin Tander, Tord Gustavsen und Jarle Vespestad sind derzeit auf Tour, einige Daten spielt Simin auch mit ihrem Quartett. Termine auf ihrer Website: www.simintander.com
Hier noch eine Kostprobe vom Quartett: