Kate Bush: „The Sensual World“ (aus: Kate Bush – The Sensual World, 1989)
Die letzten 50 Seiten aus einem Klassiker der Weltliteratur als Initialzündung für einen Popsong – das dürfte einmalig sein. Molly Blooms Schlussmonolog aus James Joyces Ulysses zählt zu den sinnlichsten und sprachspielerischsten Passagen, die ein europäischer Schriftsteller je zu Papier gebracht hat, ein zu Buchstaben verfestigter, erotischer Gedankenfluss, der schon in sich Musik ist, wenn man ihm etwa in Siobhan McKennas Fassung lauscht. Kate Bush Pläne, den Joyce-Originaltext als Grundlage für den Titelsong ihres sechsten Studioalbums zu verwenden, scheiterten 1989, da es ihr die Erben des irischen Schriftstellers nicht erlaubten. Ihr blieb also nichts anderes übrig, als die Soliloquy zu paraphrasieren – und dabei wand sie den Kniff an, Molly Bloom aus den Seiten des Buches herausspazieren zu lassen, hinein in die sinnliche Welt, „stepping into the sensual world“.
„The Sensual World“ stellt eine radikale Abkehr von vielen der sirenenhaften Gesangslinien früherer Kate Bush-Songs dar. Nach ihrer eigenen Aussage ist es ein Song, der ihre neugefundene Weiblichkeit widerspiegeln soll, ohne feministisch zu werden. Auf früheren Alben, so Kate, hätte sie doch immer wieder versucht, männliche Kollegen zu imitieren. An frühere Zeiten erinnert allerdings noch das irische Flair: Dieses Mal wird es durch den Uillean Pipes-Spieler Davey Spillane, John Sheahan an der Fiddle und Donal Lunny an der Bouzouki gezaubert, mit letzteren hatte Kate schon auf den Alben Hounds Of Love und The Dreaming gearbeitet. Bruder Paddy trägt mit dem Schwingen einer Angelrute zur ganz besonderen Rhythmusstruktur bei. Die Melodie, die die Iren spielen, ist allerdings mazedonischer Herkunft: Verschiedenen Quellen zufolge soll es der Brauttanz „Nevestinsko Oro“ sein, das ein Fan dem ethnobegeisterten Paddy geschickt hatte.
Beim ersten Hören hat mich „The Sensual World“ grenzenlos enttäuscht – so weit weg war das von allem, was Kate Bush bis dato veröffentlicht hatte. Nach wiederholten Durchläufen hat sich dann der der tanzende, atmende Klangfluss mit der monologisierenden Stimme festgesetzt und mich mehr in den Bann gezogen als viele andere exaltierte Bush-Kompositionen. Die Idee mit dem Waldspaziergang im Video weckt zwar ein wenig unangenehme Erinnerungen an das umstrittene Wald- und Wiesen-Video von Wuthering Heights. Doch wo Bush zwölf Jahre früher mit exaltierter Eurythmie zugange war, folgt sie jetzt in ruhigen Tanzschritten dem Puls ihrer Worte.
Die Single-Vorauskopplung aus dem Album ist heute vor 30 Jahren erschienen – und ist für mich auf immer mit dem Ende des Zivildienstes und dem Anfang des Studiums verbunden. 2011 schließlich nahm Kate Bush das Stück erneut als „Flower Of The Mountain“ auf. Jetzt hatte sie die Erlaubnis, den Originaltext von Joyce zu verwenden – doch an die Version von 1989 reicht die Neuauflage bei weitem nicht heran.
Kate Bush
„Hello Earth“ (Kate Bush)
(aus: Hounds Of Love, 1985)
Heute feiert die englische Sängerin, Songwriterin, Pianistin und Produzentin Kate Bush ihren 60. Geburtstag. Seit dem Erscheinen ihrer Single „Wuthering Heights“ (inspiriert durch den gleichnamigen Roman von Emiliy Brontë, die heute 200 Jahre alt würde) im Februar 1978 hat mich ihre Musik begleitet, begeistert, fasziniert, verstört, getröstet, elektrisiert. Lange habe ich mir überlegt, wie ich ihren Geburtstag auf dieser Seite feiern kann. Und dann war mir klar: mit einer Würdigung ihres für mich überragenden Songs. Die Analyse habe ich vor einiger Zeit für morningfog.de geschrieben.
Eine gespenstische Szenerie war das, als mir diese sechs Minuten und zwölf Sekunden zum ersten Mal begegneten, der Song, der mir von allen aus Kates Werk bis heute am meisten bedeutet. Ich war siebzehn, mit ein paar Kumpels hatte ich gerade eine Nachtwanderung unternommen, in tiefer Nacht stiegen wir ins Auto und fuhren Richtung Tal zurück. Jemand stellte das Kassettenradio an, und während draußen im schemenhaften Licht die Baumkronen vorbeizogen, ertönte dieser unfassbare Chor. „Was ist das?“, fragte ich sofort entgeistert. „Das ist die neue Kate Bush-Platte“, meinte der Freund. „Kann nicht sein“, entgegnete ich. Bis dahin kannte ich nur die Klangwelten entfernte Singleauskopplung „Running Up That Hill“. Doch da begann die zweite Strophe und ich hörte ihre Stimme. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mir seitdem vielleicht nie mehr bei einem Hörerlebnis so die Haare zu Berge standen.
„Hello Earth“ weitet innerhalb von „The Ninth Wave“, das die komplette zweite LP-Seite von Hounds of Love einnimmt, die Sphäre des Persönlichen zum Kosmischen. Man kann die Suite ja nicht nur als konkreten Zeitstrahl lesen, als die Nacht einer Ertrinkenden im Wasser. Kate Bush hat hier ein vielschichtiges Psychogramm entworfen, spielt mit dem Schwebezustand zwischen Leben und Tod, liefert sich ein Pingpong mit dem Dies- und Jenseits. Dabei bieten sich viele Deutungen an, ganz gleich, ob die Erzählerin nun tatsächlich über Bord gegangen ist, oder auch das nur träumt. Ist das, was bis „Jig Of Life“ geschehen ist, Traum, Halluzination bei einer Schlaflähmung, Nahtoderlebnis, eine Art „Totenbuch“ à la Bush?
In „Hello Earth“ jedenfalls gewinnt das Jenseits an Einfluss. Die Stimme, die da singt, ist ganz weit hinauskatapultiert ins kalte All, was schon durch die NASA-Funksprüche signalisiert wird (die auch schonmal kurz in „And Dream of Sheep“ reingemischt wurden und wohl von der Landung des Space Shuttle Challenger im Jahre 1983 stammen müssen). Die Sängerin scheint ganz abgeklärt zu sein, hat sich abgefunden mit der Loslösung von der Erde, die fast liebevoll als Spielzeug, wie eine Murmel betrachtet wird. „Peek a boo, peek a boo, little earth.“ Kate Bush ist ganz alleine da draußen, und das ist auch grandios eingefangen auf musikalischer Ebene, denn sie sitzt ja zunächst allein am Piano, viel Hall um sie herum. Ein großer Balladenmoment, der auf der Achse von „The Man With the Child In His Eyes“ bis „Moments Of Pleasure“ einen Ehrenplatz einnimmt.
Doch dann, wie so oft während „The Ninth Wave“, wechselt die Perspektive ein ums andere Mal. Erst in ein rührendes Bild: Die Protagonistin fährt nach Hause, mit der schlafenden Erde auf dem Rücksitz. Eine tiefe Liebe zum Planeten kommt da zum Ausdruck, eine Liebe von jemandem, der wohl weiß, dass er seine Heimat verlassen muss. Man denkt fast an die wehmütigen Gefühle, die Gustav Mahler hatte, als er todkrank „Das Lied von der Erde“ komponiert hat. Das Orchester setzt ein, dazu sehr langsam eine rhythmische Stütze von Stuart Elliotts Drums. Sein Kollege Charlie Morgan erzählt, wie schwierig es für Stuart gewesen sei, den Takt zu finden, denn Bush hatte ihren Part zuvor ohne Click-Track auf den Ohren frei eingespielt und -gesungen. Und es wird sehr cinemaskopisch: Unter dem großen Nachthimmel, dem „big sky“ steht die Sängerin und beobachtet wie ein großes Licht näher kommt. Außerirdische? Eine Antwort auf das „little light“, das in „And Dream Of Sheep“ die ganze Suite eröffnet und das – wie man in ihrer Londoner Konzertreihe „Before The Dawn“ 2014 sehen konnte – aus ihrer Rettungsweste blinkt? Das würde dem Titel „Hello Earth“ noch eine ganz andere Bedeutung geben.
Und nun passiert einer der fantastischsten Stimmungswechsel der Popmusikgeschichte. Man kann erst mal draufschauen, was da harmonisch passiert. „Hello Earth“ beginnt mit einem Motiv aus drei Akkorden, das sich latent durchs ganze Album ziehen, „Cloudbusting“ und „And Dream of Sheep“ beruhen auf dem Motiv, in „Running Up That Hill“ steckt es auch drin, allerdings in einer anderen Tonart. Doch dann kommt ein Sprung von cis-moll nach F-Dur. Funktionsharmonisch gibt es da keinerlei Verwandtschaften, die Tonarten sind einen Tritonus voneinander entfernt, das Intervall, das Jahrhunderte lang als „Diabolus in musica“ galt. Der Effekt muss also naturgemäß für unsere Hörgewohnheiten gewaltig sein. Er bedeutet den Wechsel in ein radikal Anderes, den Einbruch des Jenseitigen. Verstärkt wird das natürlich nochmals dadurch, dass Kate hier einen Chor in einer fremden Sprache sprechen lässt.
Immer, wenn Kate Bush etwas aus dem Fernsehen aufgeschnappt hatte und unbedingt in ihr Universum einbauen wollte, hat das den betreffenden Song zu einem magisch funkelnden Ding gemacht: So geschehen mit „Wuthering Heights“, mit „Delius“, mit „The Red Shoes“, oder eben auch hier. Wie sie mehrfach bekräftigt hat stieß sie auf diesen Chor, als sie Werner Herzogs „Nosferatu“ (1978) schaute. Er wird in der Szene gegen Ende eingeblendet, als die Pest Wismar überrollt hat und Isabel Adjani über einen Platz irrt, auf dem Särge stehen, Leute den Veitstanz vollführen, ihr Henkersmahl nehmen und schon die Ratten das Zepter übernommen haben.
Werner Herzog: „Nosferatu“, Pest-Szene
Quelle: youtube
Herzog spielt gerne mit dem Bruch zwischen Bild- und Tonspur, und hier konfrontiert er die orgiastische Aushebelung des normalen menschlichen Alltags (visuell) mit dem ruhig vorgetragenen akustischen Signal einer fremden Macht / Welt (akustisch). Nicht nur fremd, ja, gruselig wirkt dieser Chor auf mich. Sowohl bei Kate Bush als auch bei „Nosferatu“, und es geht vielen so, mit denen ich über das Stück gesprochen habe. Die Bühnenumsetzung in der Londoner Liveshow bestätigte, dass der Chor auch für Kate „haunting“ ist: Zu den Chorklängen tragen sie die „fish people“ von der Bühne weg in ihr (Toten-)Reich.
Im Original allerdings ist diese Wirkung gar nicht beabsichtigt. Denn ursprünglich ist es ein georgisches Traditional namens „Tsintsqaro“ (es gibt verschiedene Schreibweisen in der Übertragung) aus den Regionen Kartlien und Karchetien. Der Text ist zarte Liebeslyrik: „Ich wanderte an der Quelle entlang und traf ein schönes Mädchen, das hielt einen Krug auf ihrer Schulter. Ich sagte etwas zu ihr und sie war empört, ging zur Seite.“ Es wäre also wahnsinnig spannend, von jemandem aus Georgien zu erfahren, wie er mit seinen/ihren anderen Hörgewohnheiten und dem Verständnis des Textes „Hello Earth“ rezipiert.
Für Kate Bush selbst war es nicht so wichtig, wo dieser Chor denn geographisch anzusiedeln ist. Im Abbey Road-Interview von 1985 kommt sie kurz in Verlegenheit, ob das denn nun ein „czechoslovakian or russian theme“ sei. (Zur Erinnerung: Wir sind hier ja noch vor dem Zusammenbruch des Ostblocks!) Im Hintergrund flüstert ihr jemand dann „russian“ zu, wahrscheinlich der Bruder Paddy.
Und als sie im Abspann von „Nosferatu“ gesehen hat, von wem das Stück stammt, wird sie ihren ethnomusikologisch bewanderten Bruder gefragt haben, ob er eine Aufnahme des Vokal Ansambl Gordela von 1969 in seiner immensen Plattensammlung hat. Ich habe keinen Zweifel daran, dass die da stand. Credits haben in den Liner Notes dann Werner Herzog und rätselhafterweise sein Soundtrack-Komponist Florian Fricke bekommen, nicht aber das Ensemble Gordela. Korrekt finde ich das nicht – denn wäre Kate nicht auf diese Stimmen gestoßen, wäre „Hello Earth“ eben nur halb so spannend. Es gibt übrigens etliche weitere Aufnahmen von „Tsintsqaro“. Aber weder kommt das Lied, wie auf youtube behauptet, in Ron Frickes Film „Bakara“ (1992) vor, noch war es ein Teil des Soundtracks jener ominösen, von einem Team um Carl Sagan kompilierten Goldplatte namens „Murmurs Of Earth“, die die NASA im August und September 1977 an Bord der Sonden Voyager 1 und 2 ins All geschossen hat – ein paar Wochen vor der Veröffentlichung von „Wuthering Heights“. Natürlich ist es ein schöner Gedanke: Die Musik, die einst in unbekannte Weiten hinausreiste, kommt nun zur Erde zurück. Und es ist tatsächlich auch ein georgisches Stück auf der Goldplatte, nur eben das wesentlich rustikalere „Tchakrulo“.
Das war ein langer Exkurs zu „Tsintsqaro“! Zurück zum Stück. Der Chor hat zuerst nur einen Durchgang, dann geht es in die zweite Strophe. Wieder sind wir im All, und da bleiben wir jetzt auch. Quasi aus einer Felix Baumgartner-Perspektive heraus wird die Sängerin hilflos Zeuge, wie sich ein Sturm über Amerika zusammenbraut und auf die See hinausbraust. Es ist der Sturm, der sie in diese missliche Lage gebracht hat und dessen Geburt sie jetzt außerhalb von Raum und Zeit selbst miterlebt. Sie sieht die mächtige, entsetzliche neunte Welle von oben. Die Strophe mündet in eine bewegende Warnung an alle, die auf dem Meer unterwegs sind, schleunigst „Land zu gewinnen“: „Get out of the waves, get out of the water“ wurde ja schon in „Waking The Witch“ eingeführt. Dazu bäumt sich das Orchester im breitwandigen Arrangement von Michael Kamen auf, und die irischen Musiker von Planxty stimmen ein. Wie hier die Uilleann Pipes von Liam O’Flynn aufheulen, das ist großartig. In geschichteten Vokalspuren „schreit“ Kate Bush dem Sturm „murderer, murderer of calm“ entgegen und fragt dann „Why did I go?“ Warum bin ich bloß aufs Meer hinausgefahren? Oder auch: Warum musste ich aus dem Leben gehen? Für mich ist diese Passage die grandioseste auf dem ganzen Album Hounds Of Love.
Und wieder setzt der Chor ein, dieses Mal mit drei Durchgängen. Der zweite wird teils im Forte gesungen (so laut wie in keiner georgischen Originalaufnahme), die jenseitige Macht tritt jetzt richtig dominant auf. Im ersten und dritten Durchgang bleiben fast immer die Violinen mit einem Liegeton über den Stimmen, am Ende auch ein Bordun von den Bässen. Das intensiviert die schaurige Wirkung noch, ebenso eine geisterhafte Stimme am Ende, die den Chor begleitet.
Und dann die nochmals erstaunliche Schlusswendung. Wir sind wieder im Meer, und zwar ganz weit unten. Der Geleitchor ins Totenreich hat sich verabschiedet, die Orchesterbässe saufen zu den Echolotpulsen richtig ab, von F-Dur geht es nach Fis-Dur (wieder eine ganz entfernte Tonart). Ein mächtiges tieftöniges Unterwasser-Soundscape aus Echolot, Schiffsmotor und Haltetönen im Orchester, Brausen und Pfeifen herrscht jetzt, gekrönt vom berühmten Satz „Tiefer, tiefer, irgendwo in der Tiefe gibt es ein Licht.“ Als sie diese Sounds zusammengestückelt hat, da wäre ich gerne dabei gewesen.
Warum driftet sie hier ins Deutsche? An anderer Stelle wurde das schon vor ein paar Jahren geklärt, mit Verweis auf einen „Stern“-Artikel, in dem Bush offenbarte, dass sie neben der erklärten Inspiration von Charles Frends „The Cruel Sea“ (1952) auch von Wolfgang Petersens „Das Boot“ gefesselt war. Ob der – von Gabi Zangerl, nicht von Kate Bush – gesprochene Satz im „Boot“ wörtlich auftaucht, müsste man mit Fleißarbeit mal ergründen. Das anfänglich aus dem All heranreisende Licht, es findet sich nun am Meeresgrund wieder. Die Pforte zum Jenseits liegt nicht „irgendwo in der Höhe“, sondern im Schoß der Erde. „Go to sleep little earth“, flüstert die fast Ertrunkene noch mit verträumter, ersterbender Stimme, als Gruß an den Heimatplaneten, den ihre Seele nun endgültig verlässt, während ihr Körper in seiner Tiefe bleibt.
Das ist EINE Deutungsmöglichkeit. Es gibt zahllose weitere, da bin ich mir sicher. Alles andere als zahllos sind die Coverversionen. Dieser Song ist zu einzigartig, zu sehr Kate Bush, da traut sich kaum jemand ran. Die einzige Version, die ich akzeptieren kann, ist die vom Dortmunder Musiker Theo Bleckmann, er hat sogar sein ganzes Bush-Tribut nach dem Song benannt. Und es bleiben immer noch ungeklärte Fragen: Was sagt die Funkstimme, die beim ersten und zweiten „Hello Earth“ kurz eingeblendet wird? Ist die „Geisterstimme“ am Ende ein verlangsamter Möwenschrei? Als ich „Hello Earth“ im September 1985 auf jener Fahrt durch den nächtlichen Wald zum ersten Mal hörte, wusste ich nicht, dass da so viel drin steckt. Aber vielleicht ahnte ich es schon, und war deshalb so verstört, gefesselt, überwältigt. Und das bis heute.
West Trainz beim Soundcheck im Club Soda Montréal, 2.3. (Foto: Stefan Franzen)
WINTER
Cristina Branco (Portugal) – Martinskirche Basel, 31.1.
Lizz Wright (USA) – Jazzhaus Freiburg, 15.2.
Matt Holubowski (Kanada) – Club Soda Montréal, 26.2.
Erik West Millette & West Trainz (Kanada) – Club Soda Montréal, 2.3.
Bears Of Legend – Club Soda Montréal, 7.3.
Kronos Quartet & Toronto Symphony Orchestra (USA/Kanada) – Roy Thomson Hall Toronto, 11.3.
Alejandra Ribera (Kanada) – Aeolian Hall London/Ontario, 16.3.
Sílvia Pérez Cruz, Theaterspektakel am Zürichsee, 29.8.,
Rosalia & Raül Refree, Kunstmuseum Basel, 19.8. (Fotos: Stefan Franzen)
Achref Chargui & Mohamed Amine Kalaï, Oriental Summer Academy Sulzburg, 2.9. Rafael Habichuela & Juan Angel Tirado, Casa del Arte Flamenco Granada, 21.10. (Fotos: Stefan Franzen)
HERBST
Yumi Ito Orchestra (Various) – Jazzcampus Basel, 1.9.
Achref Chargui & Mohamed Amine Kalaï (Tunesien) – St. Cyriak Sulzburg, 2.9.
Vein (Schweiz) – Volkshaus Basel, 9.9.
Paddy Bush (UK) – Forum Schlossplatz Aarau, 21.9.
Rafael Habichuela, Juan Angel Tirado, Alba Hereida & Luis de Luis (Spanien) – Casa del Arte Flamenco Granada, 21.10. Sílvia Pérez Cruz & Quinteto de Cordas (Katalonien) – Teatro Municipal Girona, 25.10.
Fleet Foxes (USA) – Palladium Köln, 1.12.
Doch nach etlichen Handshakes und Selfies mit den Gästen stellt mich Eva Keller ihm vor, und er setzt überhaupt keine zeitliche Begrenzung. Er hat nur eine Bitte: Eine Tasse Tee möchte er gerne haben. Und so sitzen wir in gemütlichen Ledersesseln in einem hohen Raum mit einem bemalten Fries unter der Decke und starten. Vielmehr: Paddy startet, denn wie sich schnell herausstellt, kann man diesen unvergleichlichen Geschichtenerzähler wenig lenken und erst recht nicht stoppen. Aus dem befürchteten Viertelstündchen werden sagenhafte 70 Minuten, während derer ich meinen Fragezettel bald wegwerfe und einfach zuhöre.
Wie wir auf das Eingangsthema kommen, ist mir im Nachhinein schleierhaft: Weit holt Paddy aus über die Unterschiede des Musizierens zwischen den 1920ern und 1960ern. Die Uilleann pipes, der irische Dudelsack und die sardischen Launeddas klängen auf alten Aufnahmen sehr kantig, Staccato-haft, sagt er, in den Sechzigern sei dann plötzlich ein Flow in die traditionelle Musik hineingekommen, an vielen Orten der Welt unabhängig voneinander. Ein Bewusstseinssprung, wie mit den Affen, die Kartoffeln waschen, werfe ich ein. Ja, oder wie mit den Schafen in Wales, die gemerkt haben, dass sie über das cattle grid rollen können und dann in die Gärten der Nachbarn eingedrungen sind, um sie zu verwüsten, meint Paddy. Das wird ein lustiges Gespräch, denke ich mir. Und nutze eine Sekunde, in der er am Tee nippt , um ihn zu fragen, wie er denn ursprünglich zur Musik gekommen ist.
Bush: Auf der Seite meiner Mutter gab es viele traditionelle Musiker aus Irland. Mein Großvater war auch ein Instrumentenbauer. Sie waren arm, um also Zugang zu bestimmten Dingen zu bekommen, mussten sie sie selbst herstellen. Und ich vertrete die gleiche Sichtweise: Einige Dinge, an die du nicht rankommst, musst du dir eben selbst bauen.
Keltische Musik war also der Startpunkt für dich?
Bush: Es war das Folkrevival der 1960er, das für mich den Ausgangspunkt bildete. Ich machte meine erste Feldaufnahme von traditioneller englischer Tanzmusik als ich dreizehn war. Ich hatte ein Tonbandgerät, das unglaublich viele Batterien verbrauchte, aber Aufnahmen von fantastischer Qualität machte. Das war noch das Zeitalter vor den Kassettenrekordern. Ich habe traditionelle Musik immer geliebt und hatte immer eine sehr fixierte Sicht auf Musik als die einzig wahre Religion. Aber es kamen eben immer wieder Dinge vorbei, die meinen Glauben komplett zerstört haben. Weiterlesen →
Paddy Bush
„The Beauty & Complexity of Malagasy Music“ Forum Schlossplatz Aarau, 21.09.2017
Bis in die letzte Stuhlreihe ist der kleine Saal im Forum Schlossplatz besetzt. Als ein „Ort der Reflexion und Debatte“ stellt sich die seit 1994 im schweizerischen Aarau bestehende Einrichtung dar. Das Publikum soll hier “zur Auseinandersetzung mit kulturellen und gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart“ angeregt werden. Dafür haben die Macher aber auch wirklich eine schöne Stätte gefunden: eine Villa, die hoch über der Aare thront, am Eingang zur Altstadt der Aargau-Metropole mit ihren trutzigen Häusern. Was hier gleich passieren wird, darauf weisen in diesem schönen Saal mit seinen knarrenden Dielenböden und dem Kronleuchter zwei Dinge hin: Vorne, auf einem kleinen Podest, ruht ein länglicher Metallkasten mit Saiten, den man als Experte vielleicht als die Zither Marovany erkennt. Und an der Wand ist eine kleine Karte von Madagaskar festgepinnt.
Von hinten erschallt ein „Good Evening“ und ein Mann mit grauem Wuschelkopf nimmt im Schneidersitz an der Marovany Platz. Im nächsten Moment ist der Raum erfüllt von filigranen Tongirlanden, die nicht nur Weltmusikfreaks bekannt vorkommen. Auf Kate Bushs Alben The Sensual World und The Red Shoes kann man solche auch entdecken. Kein Wunder, denn besagter Herr mit dem grauen Wuschel und dem fast zarten Lächeln ist ihr Bruderherz Paddy Bush. Klar, er hat sich schon ein wenig verändert, seit er in der Fernsehfassung des Songs „The Wedding List“ den Bösewicht spielte oder auf den Werbefotos für The Red Shoes posierte, doch man erkennt ihn sofort. Was um Himmels willen tut er mitten in der Schweiz? Die Antwort ist denkbar einfach: Er möchte Begeisterung wecken für seine größte Leidenschaft seit Jahrzehnten, die Musik Madagaskars. Weiterlesen →
Spannender Besuch in der Schweiz: Paddy Bush, Bruder von Kate, war vorgestern beim Forum Schlossplatz Aarau zu Gast, um über seine große Liebe, die madagassische Musik zu sprechen. Eingeladen hatte ihn die Ethnologin und Madagaskar-Expertin Eva Keller. Sie hat auch die Hör-Ausstellung Teny – Tany – Tantara kuratiert, die noch bis zum 1. Oktober läuft.
Mehr zu Paddys Vortrag und meinem Interview mit ihm, in dem er nicht nur über seine Forschungen auf Madagaskar, sondern auch seinen Instrumentenbau und seinen musikalischen Einfluss auf Kate Bush sprach, hier in Bälde!
Mein Beitrag über Paddy im Schweizer Radio SRF 2 Kultur ist am Dienstag ,den 26.9. um 20h in der Sendung Jazz & World aktuell zu hören, in der Wiederholung am Freitag, den 29.9. um 21h.
Am 16. September 1985, heute vor 30 Jahren, erschien ein Popalbum, das bis heute für meine Begriffe in der gesamten Sparte unerreicht blieb: Kate Bushs Hounds Of Love.
Zum Jubiläum erlaube ich mir, die Analyse des majestätischen, furchteinflößenden, berührenden Songs „Hello Earth“ aus der Konzeptsuite der B-Seite The Ninth Wave vorzustellen, die ich vor einiger Zeit für die deutsche Kate Bush-Fanseite geschrieben habe.
Kleine Warnung vorab: Das ist wirklich nur für Hartgesottene.
Eine gespenstische Szenerie war das, als mir diese sechs Minuten und zwölf Sekunden zum ersten Mal begegneten, der Song, der mir von allen aus Kate Bushs Werk bis heute am meisten bedeutet. Ich war siebzehn, mit ein paar Kumpels hatte ich gerade eine Nachtwanderung unternommen, in tiefer Nacht stiegen wir ins Auto und fuhren Richtung Tal zurück. Jemand stellte das Cassettenradio an, und während draußen im schemenhaften Licht die Baumkronen vorbeizogen, ertönte dieser unfassbare Chor. „Was ist das?“, fragte ich sofort entgeistert. „Das ist die neue Kate Bush-Platte“, meinte der Freund. „Kann nicht sein“, entgegnete ich. Bis dahin kannte ich nur die Klangwelten entfernte Singleauskopplung „Running Up That Hill“. Doch da begann die zweite Strophe und ich hörte ihre Stimme. Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, dass mir seitdem vielleicht nie mehr bei einem Hörerlebnis so die Haare zu Berge standen.
Zum Mithören der folgenden Analyse – den Song gibt es hier (das Begleitvideo ist nicht von Bush). Weiterlesen →