Listenreich I: 21 Songs für 2021

Amanda Gorman (USA): „The Hill We Climb“
Quelle: youtube / ABC News
Susana Baca (Peru): „Sorongo“
Quelle: youtube
Steve Cropper (USA): „Fire It Up“
Quelle: youtube
Dos Santos (USA): „City Of Mirrors“
Quelle: youtube
Carwyn Ellis a Cherddorfa Genedlaethol y BBC (Wales): „Ynys Aur“
Quelle: youtube
Thiago França feat. Verônica Ferriani (BRA): „Carnaval Do Arco-Íris“
Quelle: youtube
Dobet Gnahoré (Côte D’Ivoire): „Yakané“
Quelle: youtube
Yumi Ito & Szymon Mika (Schweiz/Polen): „Float & Drift“
Quelle: youtube
Leléka (Ukraine): „Karchata“
Quelle: youtube
Sadiqa Madadgar (Afghanistan): „O Yak Shab Barani“
Quelle: youtube / Zeitgenössische Oper Berlin
Marisa Monte (BRA): „Medo Do Perigo“
Quelle: youtube
Gabriele Muscolino (Italien): „Il Ragazzo Che Saliva Sugli Alberi“
Quelle: youtube
Muthoni Drummer Queen feat. Sauti Sol (Kenia): Love Potion
Quelle: youtube
Katherine Priddy (UK): „Indigo“
Quelle: youtube
Guillem Roma & Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): „La Profecia“
Quelle: youtube
Tania Saleh (Libanon): Korneh Ni Albak“
Quelle: youtube
Ballaké Sissoko & Camille (Mali/Frankreich): „Kora“
Quelle: youtube
Becca Stevens & The Secret Trio (USA/Türkei/Macedonien/Armenien): „California“
Quelle: youtube
Urban Village (Republik Südafrika): „Dindi“
Quelle: youtube
Martha Wainwright (Kanada): „Malaise De Falaise“
Quelle: youtube
Barbora Xu (Tschechien/Finnland); „Olin Ennen“
Quelle: youtube

 

Listenreich II: 21 Alben für 2021

Rodrigo Amarante (Brasilien): „Drama“ (Polyvinyl)
Susana Baca (Peru): „Palabras Urgentes“ (RealWorld)
Purbayan Chatterjee (Indien): „Unbounded“ (Sufiscore)

Steve Cropper (USA): „Fire It Up“ (Provogue/Mascot Label Group)
Carwyn Ellis & Rio 18 (Wales): „Yn Rio“ (Légère  Records/Zebralution)
Florian Willeitner, Georg Breinschmid, Igmar Jenner (Österreich/Deutschland): „First String On Mars“ (ACT/edel)

Renaud García-Fons (Frankreich/Katalonien): „Le Souffle Des Cordes“ (e-motive records/Galileo)
Yumi Ito & Szymon Mika (Schweiz/Polen): „Ekual“ (Hevhetia/Unit)
Joan As Police Woman, Tony Allen, Dave Okumu (USA/Nigeria/Österreich): „The Solution Is Restless“ (PIAS)

Misagh Joolaee (Deutschland/Iran): „Unknown Nearness“ (Pilgrims Of Sound)
Fabia Mantwill Orchestra (Deutschland): „EM.perience“ (Xjazz Records/Membran)
Meretrio (Brasilien/Österreich): „Choros“ (Sessionwork Records)

Marisa Monte (Brasilien): „Portas“ (Sony)
Muthoni Drummer Queen (Kenia): „River“ (Yotanka)
Schaghajegh Nosrati (Deutschland): „Johann Sebastian Bach – Partitas BWV 825-830“ (Cavi Music/Harmonia Mundi)

Katherine Priddy (UK): „The Eternal Rocks Beneath“ (Navigator)
Tania Saleh (Libanon): „10 A.D.“ (Kirkelig Kulturverksted)
San Salvador (Frankreich): „La Grande Folie“ (Pagans/MDC/Galileo)

Becca Stevens & The Secret Trio (USA/Türkei/Armenien/Macedonien): „Becca Stevens & The Secret Trio“ (Ground Up)
Martha Wainwright (Kanada): „Love Will Be Reborn“ (Cooking Vinyl)
Barbora Xu (Tschechien/Finnland): „Olin Ennen“ (Nordic Notes)


…und in Ermangelung umfassender Live-Ereignisse wie in normalen Jahren hier immerhin 6 wirklich herausragende Konzerte:

Ian Fisher (USA) – Mensagarten Freiburg, 26.7.

Misagh Joolaee & Sebastian Flaig (Iran/Deutschland) – Innenhof Museum für Neue Kunst, Freiburg, 13.8.

Çemil Qoçgîrî (Kurdistan/Deutschland) – Innenhof Museum für Neue Kunst, Freiburg, 14.8.

Ron Carter Foursight Quartet (USA) – E-Werk Freiburg, 25.9.

John Sheppard Ensemble „LUFT“ (Deutschland) – Kirche Maria Magdalena Freiburg, 17.10.

Michel Portal & Roberto Negro (Frankreich/Italien) – Reithalle Offenburg, 18.11.

 

Der Schlüssel im Schnee

Martha Wainwright
Love Will Be Reborn
(Cooking Vinyl/Sony)

Die Wainwrights und Montreal, das ist eine Geschichte mit etlichen spannenden Kapiteln. Mit dem knarzig-zynischen Sänger Loudon Wainwright fing das in den Sechzigern an. Er heiratete Kate McGarrigle, die mit ihrer Schwester Anne franko-kanadisches Songwriting nicht nur in Folkkreisen bekannt machte. Und heute ist Kate und Loudons Sohn Rufus ein internationaler Star. Viel weniger bekannt ist bei uns seine Schwester Martha, unverdient: Denn Martha hat von ihrem Vater die bitterfeine Ironie, und von der Mutter diese ganz besondere Stimmkraft geerbt, die eindrucksvoll zwischen schneidender Resolutheit und ungeschönter Larmoyanz pendelt. Auf ihrem sechsten Album entlädt sich diese Kraft in einem Reigen kathartischer Songs.

„Dieses Leben zu leben, ist wie die Arbeit in einer Mine“, singt Wainwright im Song „Being Right“, und in „Rainbow“ sehnt sie sich nach der Leichtigkeit eines Regenbogens, der für Sekunden aufschillert und dann sterben darf. Toxisches Beziehungsende, Scheidung, Verlust von Liebe, Verlust auch eines Kindes im Sorgerechtstreit, all diese Umbrüche, zumeist selbst erfahren, formen Love Will Be Reborn. Wainwright ist dafür von New York in ihre Heimatstadt Montreal zurückgekehrt. Dort heißt ihr neuer Rückzugsort Café Ursa, eine Szenekneipe, die sie im Künstlerviertel Mile End eröffnet hat, nachdem sie das ganze Gebäude Immobilienspekulanten vor der Nase weggeschnappt hat. Der Keller diente ihr und Bandmusikern aus Toronto als Studio.

Schwankte der Vorgänger Goodnight City etwas ziellos zwischen Balladen und Punk, ist das neue Opus – gerade all der Verletzungen wegen – kraftvoller, geradezu trotzig geworden. Wainwright startet mit einer von E-Gitarre getragenen Liebeserklärung an den Rock’n Roll, der „dieses fürchterliche Leben lebenswert“ mache, schreit dann geradezu in höchsten Lagen ihr Ankämpfen gegen das Älterwerden in einer Art Country-Drama heraus. Die letzten, offenbar auch gewalttätigen Tage einer Beziehung arbeitet sie in „Body And Soul“ auf, und da wandelt sie sich zu einer so gequälten Furie, dass es einem das Herz zerreißt. In zärtlicher Verzweiflung, unendlich langsam entfaltet sie die Schmerzen einer Mutter, die allein im Haus zurückbleibt. Mit beiden Söhnen spielt sie im Videoclip zum Titelsong eine Mischung aus Artus- und Siegfried-Sage samt Plastikdrachen nach. Der verlorene Schlüssel zum Liebesglück, heißt es da, liegt tief im Schnee begraben, doch das Herz wird ihn im Frühling wiederfinden. Hymnisch und positiv ist dieser Song.

Nicht unbegründet, denn in „Hole In My Heart“ wird sie tatsächlich von neuer Liebe berichten, zu einem treibenden Arrangement, das sich in atemloser Glückseligkeit nach oben schraubt. Der außergewöhnlichste Moment aber am Ende: „Malaise De Falaise“, ein sprachspielerisches Bild für Höhenangst, ist eine schlafwandelnde Popballade über Pianotriolen, getextet in der für Montreal typischen Zweisprachigkeit: Zu Stimmverfremdungen, die richtig beunruhigend klingen, singt Wainwright: „Nachts klettere ich an den Klippen des Unwohlseins hinauf, regennass, ich zünde die Kanonen, zerreiße die Ketten.“ Starke Bilder einer starken Frau, die mit diesem Werk vielleicht ein wenig aus dem Schatten von Bruderherz Rufus treten könnte.

© Stefan Franzen

Martha Wainwright: „Malaise De Falaise“
Quelle: youtube

(he)artstrings #8: Ironie bei minus 30 Grad

Kate & Anna McGarrigle
„Complainte Pour Ste. Cathérine“ (Anna McGarrigle & Philippe Tatartcheff)
(aus: Kate & Anna McGarrigle, 1975)

Dass ich diesen Song irgendwann in den späten Achtzigern kennen lernte, verdankt sich einem Irrtum. Damals stand ich in Kontakt mit etlichen Kate Bush-Fans, die alles sammelten, was auch irgendwie nur einen Hauch von ihr versprühte. Und manchmal schossen sie dabei übers Ziel hinaus: Im Glauben, die Engländerin sänge hier im Duett mit einer Anna McGarrigle, wurde mir dieser Track auf eine Cassetten-Kompilation überspielt.
Zum Glück, denn damit offenbarte sich mir eine bis dato völlig unbekannte Welt: die der musique acadienne, der frankophonen Popmusik Ostkanadas. Die beiden Schwestern aus Montréal verkörperten wie kaum irgendwelche anderen Musiker diese Tradition, konsequent zweisprachig und neben tränenreichen Balladen gelegentlich mit espritvollen lokalen Folkeinflüssen angetupft.

Worum geht es in der „Klage für die Heilige Katharina“? Keine Spur von Hagiolatrie. Es könnte sein, dass sich Anna bei ihrer Schwester Kate darüber beklagt, dass sie in die USA übergesiedelt ist (sie lebte dort bis 1976).  Doch gedichtet hat den Text ja nicht sie, sondern der Verslieferant für die französischen Lyrics des Duos, Philippe Tatartcheff. Ganz sicher aber wird auf die berühmte Einkaufsstraße in Downtown Montréal angespielt. Das lyrische Ich sucht bei minus 30 Grad Schutz vor der Kälte im unterirdischen Part der Stadt unter der Straße und trägt mit leicht ironischem Ton seine Ansichten zu Politik und Gesellschaft vor.  Das spießige Leben der Québecois wird auf die Schippe genommen, samstags geht man brav zum Eishockey und sonntags wird der Hund spazieren geführt.

Alles bleibt aber derart unkonkret und rhapsodisch, dass man sich nicht am Text festhalten sollte, auch wenn die Phrase „vingt ans de guerre contr‘ les Moustiques“ sagenhaft ist. Zwanzig Jahre Krieg gegen die Mücken, bei 30 Grad minus? Die „Complainte“ scheint zu jenen Songs zu zählen, die einfach nicht zu entschlüsseln sind, zumindest für Non-Acadiens, auch wenn der Text nicht unter die Kategorie purer Nonsens fällt.

Es ist die Musik, die hier ausschlaggebend ist: Ein folkiger Rundgesang mit Akkordeon, Fiddle und Harmonika, und diesem immer wiederkehrenden jaulenden Quintsprung, der schon sehr klagend klingt, aber auf eine satirische Art und Weise. An der provençalischen Form der Complainte hat sich Tatartcheff vielleicht ein wenig orientiert, als er den Text schrieb: Wie bei den Troubadouren gliedert er seine Verse in Couplet und Refrain.

Erst viel später, als ich die LP in Händen hielt, ging mir die Kinnlade ob der Starbesetzung runter: Tony Levin am Bass, Steve Gadd an den Drums, David Spinoza an der Gitarre, um nur einige Mitstreiter zu nennen. Kate McGarrigle ist 2010 verstorben, das Erbe der Schwestern haben schon lange Kates Kinder Rufus und Martha Wainwright angetreten – wenn musikalisch auch weitestgehend anders gelagert. Doch bei beiden hört man stark das Timbre der Mutter durch. Eine fantastische Version der „Complainte…“ hat Kirsty MacColl 1989 auf ihrem Album Kite aufgenommen, deshalb gibt’s untenstehend sowohl Original (sorry, die Blende ist beschissen) als auch Cover.

Kate & Anna McGarrigle: „Complainte Pour Ste. Cathérine“
Quelle: youtube
Kirsty MacColl: „Complainte Pour Ste. Cathérine“
Quelle: youtube

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