Blue 50


„Die Bibel des Songwritings“ nannte Robin Pecknold von den Fleet Foxes Blue. Joni Mitchells intimer, kathartischer Meisterwurf wurde vor genau 50 Jahren veröffentlicht – und rangiert ohne Zweifel auch unter meinen zehn wichtigsten Alben des Genres. Das Titelstück, an dem jeder Coverversuch scheitern muss (Ausnahme: Rufus Wainwright), weil es so eng mit Jonis Stimme verbunden ist, schwimmt und schimmert wie ein rätselhaftes Artefakt, oben von der Sonne beschienen und oszillierend, unten im unergründlichen Ultramarin verschwindend. Ein Song, wie ihn heute niemand mehr schreiben kann, der sich über Versmaß und rhythmisches Korsett hinwegsetzt, der pure Ungebundenheit und Freisein verkörpert, auch wenn er von Verletzungen der Seele handelt. Hier in der Live-Version von 1974.

Joni Mitchell: „Blue“ (live)
Quelle: youtube

 

 

Pazifische Rückkehr

Fleet Foxes
Shore
(Anti/Indigo)

Es war ein hübscher Coup, mit dem die Seattler Folkrockband ihr viertes Album veröffentlichte: Pünktlich zur Tagundnachtgleiche am 22. September streamten sie “Shore”, ihr Album zur Pandemie, die Bandleader Robin Pecknold mit dem Rückzug in seine Küche, Plätzchenbacken und die gelegentliche Teilnahme an Black Lives Matter-Demos bewältigte. Und natürlich mit Songschreiben. Paradoxerweise öffnete Corona dem zu nagenden Selbstzweifeln neigenden Pop-Poeten neue musikalische Türen. Denn mehr als alle Fleet Foxes-Alben zuvor, allen voran dem düster-mythischen Vorgänger “Crack-Up”, verströmt “Shore” den lichten Charme des Optimismus.

Die fünfzehn Songs fließen oft in majestätischen Dur-Tonarten: „Jara“ erinnert an die strahlenden, verhallten Hymnen der Byrds, „Featherweight“ kleidet sich mit leicht verstimmten Schrammelgitarren als verträumter Schlafzimmer-Folk ein, „Quiet Air“ schichtet Pecknolds Stimme zu einem fast sakralen Chor. Mit „Maestranza“ besitzt das Album eine muskulös trabende Rocknummer, mit „Cradling Mother…“ eine strahlende Apotheose, in der sich der ohnehin voluminöse Bandsound zu Blechbläsern weitet. Und trotz der mächtigen Sounds bleibt „Shore“ intim und empfindsam mit Widmungen an zu früh gegangene Musikerkollegen und an die Laute der Natur, die zwischen den Songs aufscheinen. Ein großer, Weite atmender pazifischer Trip, begleitet durch einen Film von Kersti Jan Werdal mit Bildern von der US-Westküste.

© Stefan Franzen

Fleet Foxes: „Maestranza“
Quelle: youtube

Klarinetten in der Kirche

Great Lake Swimmers
The Waves, The Wake
(Nettwerk)

Unter Kanadas Indierock-Bands sind sie die meditativsten. Seit 15 Jahren suchen die Great Lake Swimmers um Sänger Tony Dekker ungewöhnliche Orte auf, um ihre von Naturbildern geprägten Songs einzuspielen. Auch auf ihrem siebten Werk The Waves, The Wake, das Dekker und Co in einer alten Kirche in London, Ontario aufnahmen, bleibt die Klangphilosophie introspektiv. Feinfühlig bauen sie die transparenten Texturen in Hall-verliebten Arrangements auf, zur fragilen Kopfstimme und dem Falsett-Satzgesang gesellen sich ungewöhnliche Instrumente.

Im lyrischen Opener „The Talking Wind“ ist das ein ganzes Klarinettenensemble, in „Falling Apart“ umwinden sich Piano und Harfe. Celli treten im trabenden „Root Systems“ mit den Vocals in Dialog, „Holding Nothing Back“ schichtet ein Gespinst aus Marimba- und Vibraphonen. Am Ende wächst in „The Open Sea“ eine gewaltige Ton-Kathedrale in den Himmel. Großartige Klanglandschaften von den kanadischen Brüdern der amerikanischen Fleet Foxes.

live: Swamp Freiburg, 15.12.

Great Lake Swimmers: „The Talking Wind“
Quelle: youtube

Pizzicato-Dramolette

Punch Brothers
All Ashore
(Nonesuch/Warner)

Von Produzenten, und der letzte war immerhin T-Bone Burnett, haben sich die fünf Amerikaner auf ihrem sechsten Album losgesagt. Doch auch in Eigenregie setzen die „Brüder“ ihren sehr elaborierten Kammer-Country fort: Noch delikater sind die Satzgesänge, noch verinnerlichter Chris Thiles Leadvocals. Grandios groovy, aber auch intellektuell wie nie das Teamplay zwischen den gezupften und gestrichenen Strings, mit der aberwitzig virtuosen Mandoline im Fokus. Die herkömmlichste Songstruktur hat noch der swingende „Jumbo“, voll ätzenden Spotts über einen White & Male-Profiteur. Nicht nur das siebenminütige Titelstück birgt eine kleine Suite für sich: „The Angel Of Doubt“ ist Pizzicato-Dramolett, akustischer HipHop und verzerrter Folkwalzer zugleich. Diese Tempi- und Taktwechsel!

„Jungle Bird“ klingt zunächst als würde es jede Tanzscheune zwischen den blauen Bergen und Oklahoma in Brand setzen, zerbröselt dann aber in purer Lust an der Dekonstruktion. Als Konzeptwerk kann man das Werk auch sehen: Thile ließ verlauten, es gehe in den Texten um die Isolation und Zerstreuung in der digitalen Ära, und um das, was an Verbindlichkeiten und Beziehungen im politischen Klima der Staaten gerade noch übrigbleibt. Philosophisch sind die Punch Brothers da durchaus ihren Popkollegen von den Fleet Foxes verwandt. Ist das noch Bluegrass, noch Americana? Diese Scheibe aktiviert phasenweise eher Hirnregionen, wie sie etwa beim Hören eines spätromantischen Streichquintetts angesprochen werden.

© Stefan Franzen

Punch Brothers: „Like It’s Going Out Of Style“
Quelle: youtube

Listenreich II: 20 Alben für 2017

Foto by Nancy
Alma (Österreich): Oeo (col legno)
Blue Rose Code (Schottland): The Water Of Leith (Navigator Records)
Cristina Branco (Portugal): Menina (O-tone)
Canzoniere Grecanico Salentino (Italien): Canzoniere (Ponderosa Records)
Fleet Foxes (USA): Crack-Up (Nonesuch)
Jesús Guerrero (Spanien):  Calma (Flamenco de la Isla)
The Heliocentrics (UK/Slowakei): A World Of Masks (Soundways)
Matt Holubowski (Kanada):  Solitudes (Audiogram)
Sharon Jones & The Dap-Kings (USA):  Soul Of A Woman (Daptone)
Masaa (Deutschland/Libanon): Outspoken (Traumton)
Nishtiman Project (Kurdistan): Kobane (Accords Croisés)
Sílvia Pérez Cruz (Katalonien): Vestida De Nit (Universal)
Alejandra Ribera (Kanada): This Island (Pheromone)
Oumou Sangare (Mali): Mogoya (NoFormat)
Saz’iso (Albanien): At Least Wave Your Handkerchief At Me (Glitterbeat)
Barbara Schirmer (Schweiz): Falter (hackbrett.com)
Omar Sosa & Seckou Keita (Kuba/Senegal): Transparent Water (World Village)
Tribalistas (Marisa Monte, Carlinhos Brown & Arnaldo Antunes) (Brasilien): Tribalistas 2 (Phonomotor)
Mônica Vasconcelos (Brasilien/UK):  The São Paulo Tapes (Galileo)
Vein (Schweiz): Vein Plays Ravel (Double Moon)

Listenreich III: 20 Konzerte für 2017


West Trainz beim Soundcheck im Club Soda Montréal, 2.3. (Foto: Stefan Franzen)
WINTER
Cristina Branco (Portugal) – Martinskirche Basel, 31.1.
Lizz Wright (USA) – Jazzhaus Freiburg, 15.2.
Matt Holubowski (Kanada) – Club Soda Montréal, 26.2.
Erik West Millette & West Trainz (Kanada) – Club Soda Montréal, 2.3.
Bears Of Legend – Club Soda Montréal, 7.3.
Kronos Quartet & Toronto Symphony Orchestra (USA/Kanada) – Roy Thomson Hall Toronto, 11.3.
Alejandra Ribera (Kanada) – Aeolian Hall London/Ontario, 16.3.
Sílvia Pérez Cruz, Theaterspektakel am Zürichsee, 29.8.,
Rosalia & Raül Refree, Kunstmuseum Basel, 19.8. (Fotos: Stefan Franzen)
FRÜHLING / SOMMER
John Smith (UK) – Parterre Basel, 29.4.
Andreas Schaerer, Hildegard Lernt Fliegen & Orchestra of Lucerne Festival Alumni (Schweiz) – Musicaltheater Basel, 6.5.
López – Petrakis – Chemirani (Spanien/Griechenland/Iran) – Neumarkt Rudolstadt, 7.7.
Faada Freddy & Awa Ly (Senegal) – Rosenfelspark Lörrach, 28.7.
Rosalia & Raül Refree (Katalonien) – Kunstmuseum Basel, 19.8.
Sílvia Pérez Cruz & Jaume Llombart (Katalonien) – Theaterspektakel Zürich, 29.8.

Achref Chargui & Mohamed Amine Kalaï, Oriental Summer Academy Sulzburg, 2.9.
Rafael Habichuela & Juan Angel Tirado, Casa del Arte Flamenco Granada, 21.10.
(Fotos: Stefan Franzen)
HERBST
Yumi Ito Orchestra (Various) – Jazzcampus Basel, 1.9.
Achref Chargui & Mohamed Amine Kalaï (Tunesien) – St. Cyriak Sulzburg, 2.9.
Vein (Schweiz) – Volkshaus Basel, 9.9.
Paddy Bush (UK) – Forum Schlossplatz Aarau, 21.9.
Rafael Habichuela, Juan Angel Tirado, Alba Hereida & Luis de Luis (Spanien) – Casa del Arte Flamenco Granada, 21.10.
Sílvia Pérez Cruz & Quinteto de Cordas (Katalonien) – Teatro Municipal Girona, 25.10.
Fleet Foxes (USA) – Palladium Köln, 1.12.

Die Überwindung des Hipstertums

Robin Pecknold, Palace Theater St. Paul, NY, September 2017, Foto: Andy Witchger

Fleet Foxes
Palladium Köln, 1.12.2017

Der kalte Kasten im Kölner Norden, der sich Palladium nennt, ist für diese Musik eigentlich denkbar ungeeignet, so die erste schockartige Erkenntnis bei der Ankunft an diesem Grau-in- Schwarz-Novemberabend. Denn verkörpern die Fleet Foxes aus Seattle nicht die romantischste Band der Bewegung zarter Americana-Folkies? Fördern ihre terzenseligen Melodien nicht Im-Frühtau-zu-Berge-Aufbruchstimmung für globalisierte Wandervögel?

Das war auf den ersten beiden Alben sicherlich so – doch mit dem Werk Crack-Up ist die Musik der Westküstler weitaus abstrakter geworden, eine konzeptartige Suite mit Verweisen auf aktuelle Politik genauso wie auf die Antike. Und wie sich beim Rundblick ins Publikum schnell zeigt, sind sie auch keine Hipsterband mehr, sondern ziehen ein heterogenes Völkchen an: aufgeregte amerikanische Studentinnen genauso wie Mittfünfziger, die darüber diskutieren, ob Alice Cooper die ersten beiden Zappa-Platten produziert hat (oder nicht eher umgekehrt), und eine bierselige Clique, die alle Lieder textsicher so falsch mitgrölen wird, als seien es Bon Jovi-Klopfer.

Crack-Up lebt von so komplex gebauten Stücken mit nahezu absurden Tempi- und Harmoniewechseln, dass eine Live-Präsentation wenig Raum für Improvisation lässt. Es am Stück zu spielen, würde in Langeweile enden. Sänger Robin Pecknold und seine Mitstreiter machen das einzig Richtige: Sie zerpflücken ihr drittes Werk auf der Bühne in drei Teile. Den grummelnden Beginn von der Platte ersetzen sie durch ein fanfarenartiges Klassikstück (Aaron Copland?) und steigen dann kraftvoll in „Arroyo Seco“ ein. Die tighten Gesangsharmonien, die auf Tonträger nach vielstimmigem Chor klingen, wuppt der Frontmann allein mit dem Bassisten Christian Wargo, sein enger Mitstreiter Skyler Skjelset konzentriert sich auf gitarristische Feinarbeit, streicht die Saiten auch mal wie es sein Kollege von Sigur Rós tut.

Die Trumpfkarten für die schöne Textur des Sounds hat Morgan Henderson in den Händen: Er umrahmt in den Tiefen mit wunderbarem Streichbass und Euphonium, in den Höhen mit einer nicht unnötig ätherischen Querflöte und ganz vereinzelt auch mit einem freien Sax-Ausbruch. Von der Auffächerung der Klangfarben her glaubt man sich in solchen Momenten in einer Genesis-Show Anfang der 1970er.

Sehr bald schon streuen die Flottenfüchse Hits aus ihrem Frühwerk ein: Zum jubilierenden „White Winter Hymnal“ laufen verschneite Felswände auf der Leinwand, andere landschaftstrunkene Klassiker wie „Blue Ridge Mountains“ oder „Battery Kinzie“ folgen. Gerade von diesem Wechsel zwischen den straighten folkigen Tönen und den philosophischeren Windungen der Jetztzeit lebt die Show. Und irgendwann steht Pecknold dann tatsächlich ganz allein unter einem gigantischen Sternenhimmel da. Seine Stimme kann das, was vielen Hipster-Sängern der ersten und vor allem zweiten Welle abgeht: völlig unblasierten, unprätentiösen Wohlklang liefern.

Kernstück des Abends ist die zweite Hälfte von Crack-Up in einem Rutsch ab „Mearcstapa“. Beim extrem räumlichen, großorchestralen Sound der CD-Vorlage muss die Band hier zwangsläufig Abstriche machen, doch die Brüche zwischen den Akkorden und fast polyrhythmischen Verwerfungen kommen flüssig, vor allem Ergebnis der großartigen Verständigung zwischen Skjelset und Pecknold und der souveränen Taktgebung von Mattthew Barrick.

Es gibt nur einen Moment kurz vor dem allerletzten Finalakkord, in dem die Vokalharmonien so dick aufgetragen werden, dass das Wort „Kitsch“ durch den Kopf schießt. Doch hätte man vor 50 Jahren auch nur im entferntesten daran gedacht, Simon & Garfunkel oder die Pet Sounds der Beach Boys als cheesy zu bezeichnen? Wer es schafft, den vorherrschenden, kalten Hauch des Zeitgeists von 2017 abzustreifen, der muss einfach zugeben, dass die Fleet Foxes auch live die perfekte Balance zwischen Hippie und Hirn gefunden haben.

© Stefan Franzen

Fleet Foxes Live at Down the Rabbit Hole,24.6.2017
Quelle: youtube

Bartlos in Seattle

Rochen diese Songs nicht nach würzigem Waldboden, nach Frühtau, der über den Wiesen liegt? Nach der Verheißung von Wurzeln jenseits des entfremdenden urbanen Getriebes? Gesänge, als hätte man die Vokalschichtungen von Beach Boy Brian Wilson mit einem gregorianischen Chor gepaart, als stünden vervielfältigte Simon & Garfunkels in einer romanischen Kirche. Drumherum: Akustikgitarren, Mandolinen, Pauken, Glockenspiel. Als die Fleet Foxes aus Seattle um Sänger Robin Pecknold 2008 ihr Debüt veröffentlichten, sättigten sie die Americana mit ruralen Farben. Und sie wurden zu den zwar nicht ersten, aber erfolgreichsten Ikonen für die neue Generation der Bärtigen und Flanellhemdenträger, wie ausverkaufte Hallen von Los Angeles bis Sydney bewiesen. Auch der Nachfolger Helplessness Blues von 2011 folgte dieser folkigen, mythischen Naturphilosophie, angereichert mit mehr Raffinesse, Tempowechseln, jazzigen Einsprengseln.

Dann war erst mal Schluss, derweil andere den Sound der neuen Empfindsamen pflegten. Mumford & Sons, Sufjan Stevens, William Fitzsimmons, Iron & Wine etwa – aber niemand hatte diese erhabenen Stimmenschichtungen der Füchse. Und während allerorten die Hipster ihre Bärte kultivierten, rasierte Oberfuchs Robin Pecknold sich die Manneszier ab, knabberte an einer Trennung, schrieb sich an der Columbia University in Kunst und Literatur ein, lernte surfen und kletterte am Everest herum. Neue Songs kamen ihm dabei vorerst nicht in den Sinn. Drummer Joshua Tillman ging im Streit, benannte sich in Father John Misty um und gibt den Apokalyptiker, der für die digitale Gesellschaft nur noch Zynismus übrig hat. Seine Ex-Band dagegen antwortet jetzt, nach sechs Jahren Pause auf das absurde Welttheater völlig anders.

Crack-Up („Zusammenbruch“) als Konzeptalbum zu bezeichnen, wäre untertrieben. Es ist Hörspiel, Folk-Oper und Traktat: Die Inspiration für den Titel empfing Pecknold aus einem Essay von F. Scott Fitzgerald, in dem dieser postulierte, ein großer Geist müsse völlig entgegengesetzte Ideen gleichzeitig verarbeiten können, ohne verrückt zu werden. Folgerichtig durchlebt die Hörerschaft während 55 Minuten unerwartete Moll-Eintrübungen und Dur-Aufhellungen, Wechsel von folkiger Stille in triumphale Breite, von introvertiertem Gemurmel, zu plötzlich aufstrahlendem Sologesang und diesen nach wie vor einzigartig kristallinen Chören. Anfangs mögen sich Vergleiche mit Pet Sounds von den Beach Boys aufdrängen.

Doch Pecknold collagiert weit mehr als Rock‘n‘Roll und Klassik wie einst Wilson: Streicherklänge kollidieren mit marokkanischen Kastagnetten, Gitarrenriffs aus dem Sahel, einem verlangsamten Cembalo und Orgelbrausen – all das allein vereinigt sich in „Mearcstapa“, einem Porträt des einsamen Biestes aus der Beowulf-Saga. Geigen gleißen am Horizont, Klavierlinien kreisen wie ferne Kirchenglocken, Mellotrone liefern glasige Liegetöne. Und auch wenn die Keimzelle oft nur ein Riff auf der Akustikgitarre ist, kaum gibt es ein Stück, das als herkömmlicher Song gelten könnte. Etliche sind Suiten mit Regieanweisungen: Mal befindet man sich auf dem weiten Meer, dann auf den Straßen einer Stadt, unvermittelt wieder in Pecknolds Studentenbude. In majestätischem Folkbombast berichtet die Single „3rd Of May“ von Pecknolds Freundschaft zum zweiten Band-Mastermind Skyler Skjelset, endet aber in einem nüchternen japanischen Klanggarten.

Fleet Foxes: „3rd of May / Odaigahara“ (live)
Quelle: youtube

Kryptisch sind die Texte, oft getragen von einem weihevollen Ton, trotzdem nicht weltfremd: Trauer über Muhammad Alis Tod wird verknüpft mit der über die Erschießungen zweier unschuldiger Schwarzer („Cassius“), „Naiads“ klagt die respektlose Behandlung von Frauen an, in Versen, die auch ein aus der Distanz kommentierender Chor einer griechischen Tragödie so vortragen könnte. Und tatsächlich werden antike Götter und Helden in den Lyrics wie als Gegengewicht zu den politischen Hanswursten von heute beschworen. „Wie konnte alles an nur einem einzigen Tag zusammenstürzen? Was für ein Staat wird uns erwarten?“, fragt Pecknold wie Millionen von Amerikanern am 20. Januar in „If You Need To, Keep Time On Me“. Als schlichter Folksong gemahnt er fast als einziger an die Frühzeit der Band. Am Ende gleicht „Crack-Up“ der epischen Irrfahrt eines modernen Odysseus und Orpheus in Personalunion, die, an den Schiffsmast gebunden, das (Her)einstürzen der Welt und der Wellen erleben. Hilflos? Wappnen können sie sich mit der Macht der Worte und Klänge, die eine neue Wirklichkeit erschaffen. Geht es nach den Fleet Foxes, heißt die Antwort auf den Wahnsinn nicht politische Agitation, sondern poetische Verfeinerung.

© Stefan Franzen

Fleet Foxes: „Fool’s Errand“
Quelle: youtube